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Archiv-Artikel

Mehr als nur Ikonen

Bilder, die den Unterschied zwischen Elizabeth Peyton und Daniel Richter zu erklären vermögen: Irving Penn bei Camera Work

VON BRIGITTE WERNEBURG

Nur dieses Foto von Sophia Loren hat Irving Penn für die Presse freigegeben. Eigentlich sollte an dieser Stelle die ganz und gar erstaunliche Modeaufnahme „Café in Lima“ (Peru, 1948) zu bewundern sein, die freilich mehr von der Zukunft der Mode handelt als von ihrer Gegenwart.

Noch ist das seidenschimmernde Cocktailkleid in seiner Konstruktion steif und förmlich. Aber das Benehmen des Models ist schon lässig und verweigert jene damenhaften Haltung, die das Gesellschaftskleid ausdrücken will. Im Gegenteil, das Model sitzt weniger an dem kleinen Kaffeehaustisch, als dass es an ihm lümmelt. Mit dem Oberköper entschieden zu weit zum männlichen Nachbarn vorgebeugt, gleichzeitig die Beine lang in den Raum gestreckt und die Pumps längst von den Füßen gestreift, kaut es auf seiner Perlenkette herum.

Selten wurden so unterschiedliche Vorstellungen von Öffentlichkeit und öffentlichem Benehmen derart dicht in einem Bild verhandelt. Noch rettet das formelle Kleid die junge Frau vor ihrer Verurteilung, keine Manieren zu haben. Noch verkörpert es die Schicklichkeit und Eleganz der bürgerlichen Frau. Schon aber weist das Benehmen des Model darauf hin, dass diese Idee im Begriff ist hinfällig zu werden und es nicht mehr allzu lange dauern wird, bis die Welle der Jugend- und Popkultur sie unter sich begräbt.

Völlig zu Recht sieht Irving Penn im Kaffeehaus den vermittelnden Raum, der den Zusammenprall von Tradition und Revolte vorwegnimmt. Denn das Kaffeehaus repräsentiert zwar bürgerliche Öffentlichkeit, gleichzeitig weist es aber über sie hinaus, in die Öffentlichkeit der Bohème, der politischen wie ästhetischen Subkultur. Das Kaffeehaus ist denn auch einer der wesentlichen Orte, an denen die Revolte der 60er-Jahre ihren Ausgang nehmen wird.

Wer ein solches Bild zu entwerfen vermag – indem er seine Mitarbeiter zur Verzweiflung treibt, weil er tagelang kein einziges Foto aufnimmt, bis sie Auftrag und Haltung vergessen haben –, der ist ein großer Künstler. Der sollte es nicht nötig haben, die künstlerische Bedeutung seiner Aufnahmen auch noch über eine totale Kontrolle ihrer Veröffentlichung und Präsentation abzusichern. Doch der inzwischen 90-jährige Irving Penn hält, obwohl er selbst viel dazu beitrug, traditionelle Grenzen in Kunst und Fotografie zu verflüssigen, an der Unterscheidung von High und Low fest. Und weil seine Arbeiten in den Bereich des High gehören, sind sie wie alte Meister zu behandeln.

Tatsächlich kann man, anlässlich des 10-jährigen Bestehens von Camera Work, in der Kantstraße eine ganze Reihe von Klassikern bewundern. Ikonen, so berühmt, dass es gar nicht mehr interessiert, von wem sie stammen: Picasso im Halbprofil, alle Aufmerksamkeit auf das zwischen Hut und Matadormantel dunkel und listig glühende Auge gelenkt („Cannes“, 1957); das ärmlich, aber korrekt gekleidete Indianerpaar, das sich feierlich an einem runden Tischchen aufgebaut hat und einen stets in Zweifel darüber stürzt, ob die beiden nicht doch winzige Erwachsene sind und keine Kinder („Cuzco Children“, 1948); oder die fragile, dunkle Silhouette von Lisa Fonssagrives-Penn als „Woman with Roses“ (1950).

Schade nur, dass das beste von Penns formal extrem eleganten, minimalistischen Stillleben fehlt. „Salad Ingredients“ (1947), das Ende der 90er-Jahre schon einmal bei Camera Work zu sehen war. Ein Bild, wie Christoph Ribbat gerade in der Festschrift zum 60. Geburtstag von Ute Eskildsen, der Leiterin der Fotosammlung des Folkwang Museums, feststellt, das den Unterschied zwischen Warhol und Beuys, den Ramones und Fehlfarben oder auch Elizabeth Peyton und Daniel Richter zu erklären vermag. Weil es eine folgenreiche Scheidung dokumentiert, zwischen Amerika, in dem die Moderne aus der Fülle heraus nach Einfachheit strebt, und einem hungernden Nachkriegsdeutschland, in dem sie die Leere zu füllen versucht.

Was zeichnet große Kunst aber anderes aus als die immer akute Virulenz ihres Vermögens, komplexe Spannungsbögen in Vergangenheit und Zukunft zu schlagen? Aber gut, auch das Porträt von Sophia Loren ist mehr als nur eine Ikone.

Bis 23. Juni, Camera Work, Kantstraße 149, Di.–Sa. 11–18 Uhr