Der taz-zwei-Ethikrat : Zu Ostern nach Jerusalem?
Tausende Christen aus aller Welt, mehr als in den vergangenen Jahren, sind dieses Jahr nach Jerusalem gereist, um hier Ostern zu feiern. Ist das ethisch korrekt?
Was für eine Frage: Wo sonst soll man sich einer Welt vergewissern, die alles in allem nicht perfekt ist, aber doch viel besser aussieht als zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges oder noch vor 100 Jahren. Kolonialismus gibt’s nur noch in Randgebieten, Sklaverei lediglich in vorzivilisiert muslimischen Verhältnissen, etwa in Saudi-Arabien. Jerusalem ist die ewigste Stadt – sie lässt hoffen, in ihren Mauern wird es Frieden geben, wenn nur die Religionen endlich weniger zu sagen haben. Eine Stadt, die zu viel Heiliges aushalten musste, christliches, jüdisches, muslimisches und sonst welches. In ihr sollen Feste gefeiert werden, irdische, allzu irdische – und viel weniger Prozessionen. Jerusalem ist die Stadt gewordene Mahnung, im Streben nach dem Guten nicht innezuhalten. Fahren wir hin und loben das Diesseits! Sperrt die Orthodoxen aller Konfessionen in ihre Parallelwelten ein und lässt sie in eigenen Säften schmoren. Jerusalem, die Leidgeprüfte, soll ein Babylon werden – und wir müssen daran mitbauen. Eine steingewordene Hure des Multikulturellen, eine Person, die mit allen ins Bett geht, solange sie Religion nicht zum ersten Stab aller irdischen Maße machen. Jerusalem weiß nur dies: Frieden ist möglich, solange die Eiferer die Klappe halten.