: Ausbau von Ökostrom contra Landschaft
Der Energiekonzern Vattenfall plant eine Höchstspannungsleitung zum Transport von Windenergie von Sachsen-Anhalt bis Bayern. Anwohner und Naturschützer befürchten Beeinträchtigungen und ökologische Schäden
DRESDEN taz ■ „Thüringer Strombrücke“ nennt Vattenfall die geplante rund 210 Kilometer lange neue Höchstspannungsleitung von Sachsen-Anhalt bis nach Bayern. Der Energiekonzern hält die Trasse für notwendig, weil sich die Netzeinspeisung aus erneuerbaren Energien in den nächsten drei Jahren verdoppeln soll. Außerdem will er für den zunehmenden europaweiten Stromhandel gerüstet sein. Doch die 380-Kilovolt-Leitung ist umstritten: In Thüringen haben sich elf Bürgerinitiativen mit insgesamt etwa 3.000 Mitgliedern zusammengeschlossen, weil sie befürchten, dass der Bau böse ökologische Schäden verursacht. In Stadtilm am Rande des Thüringer Waldes haben sie für Ostermontag zu einem Protestmarsch aufgerufen.
Die unter der Web-Adresse „Vorsicht380KV.de“ im Internet präsenten Initiativen kritisieren vor allem die Zerschneidung der Landschaft durch die bis zu 100 Meter hohen Masten, die Auswirkungen auf den Tourismus und den Elektrosmog. Zerstritten sind sie allerdings in der Frage, ob die Leitung generell verhindert werden muss – oder ob sie nur eine verträglichere Trassenführung einfordern sollen. Dabei geht es vor allem um den Leitungsabschnitt zwischen den Umspannwerken Vieselbach bei Erfurt und Altenfeld nahe der bayerischen Grenze. Das Thüringer Landesverwaltungsamt hatte Anfang der Woche das Raumordnungsverfahren dafür abgeschlossen und damit den geplanten Baubeginn 2008 genehmigt.
Die Trasse bringt die Grünen und die Linkspartei, die mit den Bürgerinitiativen sympathisieren, in ein argumentatives Dilemma. Anfang März stritt die Thüringer Linkspartei auf ihrem Energiekongress, was Vorrang habe: der durchaus wünschenswerte Ausbau der Windenergie oder der Schutz der Anwohner.
Die Windenergie fällt derzeit überproportional im Norden an, während die verbrauchsstarken Regionen im Süden liegen. Eine – allerdings von Vattenfall mitfinanzierte – Studie der Deutschen Energieagentur war zu dem Ergebnis gekommen, dass das Netz stärker ausgebaut werden müsse. Der Thüringer Linkspartei-Exponent Bodo Ramelow, inzwischen im Bundestag, hatte die Trasse als „ökologisch bedenklich“ und „Profitmaximierung auf Kosten der Umwelt“ bezeichnet. Die Thüringer Grünen zweifeln den Bedarf für die gigantische Leitung an, obschon sie sich selbstverständlich für den Umstieg auf regenerative Energien einsetzen. „Wir vermissen eine überzeugende Berechnungsgrundlage“, sagte ihr energiepolitischer Sprecher Roberto Kobelt der taz. Dem angestrebten regional ausgewogenen Energiemix werde so vorgegriffen. „Wenn es sich wirklich nur um die Weiterleitung von Windenergie handelt, genügt auch der Ausbau des vorhandenen 110-KV-Netzes“, so Kobelt. Vattenfall mache sich außerdem unglaubwürdig, weil es weiter Braunkohle-Großkraftwerke ausbaue und offenbar auf den Handel mit polnischem Billigstrom spekuliere, kritisieren die Grünen.
Die Alternative eines gasisolierten Erdkabels hatten Vattenfall-Vertreter bei Diskussionen mit den Bürgerinitiativen stets als überteuert abgelehnt.
MICHAEL BARTSCH