: Recht haben wird unbezahlbar
VON JONY EISENBERG*
Scientology und Kai Diekmann, die Sekte Moon und der Olympiasieger Georg Hackl, Focus-Herausgeber Helmut Markwort und der rechtradikale Verleger Gerhard Frey – die Liste derjenigen, die schon gegen die taz geklagt haben, ist lang und illuster. Vor allem in den Anfangsjahren wurde die Zeitung, die unter dem Eindruck der Nachrichtensperre während des „heißen Herbsts“ 1977 als Instrument gegen staatliche konzertierte Berichtsverzichte und verlegerische Zensur gegründet wurde, mit einer Vielzahl von Strafverfahren überzogen – wegen Verleumdung von kritisierten Behörden und deren Funktionären oder wegen Unterstützung terroristischer Vereinigungen, wenn zum Beispiel Verlautbarungen von Guerilla-Gruppen veröffentlicht wurden. Diese Verfahren waren lästig, aber wirtschaftlich erträglich. Das Teuerste waren die Anwaltskosten, und die fielen wegen der häufig am Ende stehenden Freisprüche oft gar nicht an.
Mit ihren Rechtsstreiten hat die taz in der Vergangenheit vielfach eine Vorreiterrolle bei der Verteidigung der Freiheit der Berichterstattung gespielt.
Seit Herbst 2005 nun zeichnet sich eine neue, für die taz lebensbedrohliche Tendenz ab: Seitdem wird das Mittel der zivilgerichtlichen Auseinandersetzung immer häufiger benutzt, um unliebsame Berichterstattung von vornherein zu unterbinden. Die dabei entstehenden hohen Prozessrisiken drohen jede freie Berichterstattung zu unterbinden. Sie sind zudem bei der gegenwärtigen Rechtsprechungslage geradezu unkalkulierbar und unvermeidbar.
Bisher galt: Ist eine Formulierung, die eine Zeitung benutzt, mehrdeutig, so muss die Rechtsprechung zugunsten des Äußernden aufgrund von Art. 5 GG (Pressefreiheit) von dem Verständnis ausgehen, das die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen (Klägers) nicht verletzt. Im Oktober 2005 veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht die berüchtigte „Stolpe-Entscheidung“. Sie schloss ein Verfahren ab, in dem der ehemalige brandenburgische Ministerpräsident und spätere Bundesverkehrsminister einen Prozess gegen einen CDU-Abgeordneten führte, der ihn als Stasi-Mitarbeiter bezeichnet hatte. Die Klage war durch die Instanzen abgewiesen worden, nun stellt das Bundesverfassungsgericht (BVG) die bis dahin bekannte Rechtsprechung auf den Kopf und formulierte einen neuen Grundsatz: Die Meinungsfreiheit sei schon verletzt, wenn eine Formulierung deutungsoffen ist und eine dieser möglichen Deutungen das Persönlichkeitsrecht verletzt.
Auf Grundlage dieser Rechtsprechung wird jetzt geklagt, was das Zeug hält. Eine Gemeinde aus NRW, ein Landesverband einer politischen Partei, ein hoher BKA-Bulle, der dienstlich ins Visier der Presse gerät, ein ehemaliger Kanzler, ein internationaler Konzern, ein Vorstandsvorsitzender eines Energiemultis, sie alle machen „Persönlichkeitsrechte“ geltend und strangulieren die Presse. Die Instanzgerichte missbrauchen die Rechtsprechung, um willkürlich selbst fernliegende Textverständnisse buchstäblich an den Haaren herbeizuziehen, ihren kleinbürgerlichen Geschmacksmustern folgend, um mit diesen dann die Berichte zu verbieten – und zwar mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen. Ein einfacher Unterlassungsprozess kann leicht bei zwei Instanzen und einer Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH 30.000 Euro kosten. Bei einer konzernfreien Zeitung wie der taz ist das schnell ruinös.
Wir beobachten aber derzeit eine Tendenz der Medien, zur Vermeidung von Prozesskosten sehr schnell klein beizugeben. Die taz wird dies nicht tun, weil es dem Selbstverständnis der Zeitung widerspricht: Unter dem Dach der taz-Genossenschaft soll deshalb ein Prozessfonds entstehen, indem LeserInnen für die Durchsetzung der freien Berichterstattung spenden. So sollen die notwendigen Prozesskosten für Streitfälle zusammenkommen. Denn schon jetzt stehen der taz einige bedeutende Auseinandersetzungen bevor, deren Details wir aber aus den eben skizzierten Gründen an dieser Stelle nicht veröffentlichen können. Wer in den neuen Fonds einzahlt, kann aber per Post oder E-Mail detaillierte Informationen über die Auseinandersetzung erhalten. Wenn wir am Ende, und davon gehen wir aus, den jeweiligen Prozess gewinnen, sollen die Mittel in ähnliche Fälle der taz investiert werden, sodass sich die taz in Zukunft nicht mehr von den hohen Prozesskosten erpressen lassen muss.
*taz-Mitgründer, Presseanwalt und Genosse der taz