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Archiv-Artikel

Der Sex der anderen

THEATER Stöhnen, Schmatzen, Stoßen – Yael Ronens Inszenierung, „Erotic Crisis“, hatte am Maxim Gorki in Berlin Premiere. Ein Dreier tat gut

VON ESTHER SLEVOGT

Das wesentliche Requisit auf der Bühne ist ein großes Doppelbett. Die nächsten zwei Stunden wird es zu immer neuen Arrangements durch den Raum geschoben, zerteilt und wieder zusammengestellt. Ein junges Paar schlüpft unter die Decke, gibt sich einen Gute-Nacht-Kuss, dreht sich voneinander weg. Man sieht den Schauspielern Orit Nahmias und Thomas Wodianka beim Einschlafen zu, und ein stetig anschwellendes Konzert der Lustlaute ist zu hören.

Stöhnen, Schmatzen, rhythmisches Stoßen, kleine anfeuernde pornografische Sätze. Irgendwann sieht man: Es sind die Schauspieler Aleksandar Radenkovi und Anastasia Grubareva, die diese Wohllaute produzieren. Das Publikum gluckst vergnügt. Sex hat ja auch etwas Komisches. Der Sex der anderen zumindest.

Und um diesen ging’s an diesem Abend von Yael Ronen im Maxim Gorki Theater, der mit „Erotic Crisis“ überschrieben war: um den Sex der anderen, der scheinbar immer besser als der eigene ist. Der Sex der Promis mit den Promikörpern in den omnipräsenten Hochglanzmagazinen. Der Sex in den Pornofilmen sowieso. Sonst ist die israelische Regisseurin eher an den inneren Fronten politischer Konflikte unterwegs, oder im deutsch-jüdischen Dickicht der Erinnerungspolitik. Oder auf der Suche nach dem „Common Ground“, so ihre zuletzt gefeierte Inszenierung über den Jugoslawienkrieg. Nun bricht sie mit fünf Schauspielern ins erotische Krisengebiet großstädtischer Thirtysomethings auf: zwei Paare, eine Singlefrau (Mareike Beykirch), irrlichternde Joker und Fleisch gewordene Fantasie, wie sie auch der virtuellen Vorstellungswelt entstammen könnten.

Wir treffen Maya und Jan (Orit Nahmias und Thomas Wodianka), deren erotische Krise von der Geburt ihres Kindes ausgelöst wurde. Die erotische Krise, in die Kumari (Anastasia Grubareva) und Rafael (Aleksandar Radenkovic) stürzen, ist das Ergebnis der unterschiedlichen Vorstellungen, die beide von „gutem Sex“ haben. Und des Stresses, den diese Leistungsanforderung produziert. Während Rafael an Kumaris Körper durchexerziert (von ihr mit gequälter Miene erduldet), was ihn die Pornofilme lehrten, die ihm sein Vater einst als diesbezügliches Lehrmaterial besorgte, fühlt sich Kumari beim Sex gar nicht gemeint. „Du behandelst nur meinen Körper, wie eine kaputte Waschmaschine.“

Sadomaso mit der Hamas

Damit wäre der Problemhorizont in etwa skizziert. Das, was Yael Ronen und ihr Ensemble in abgründigen Sketchen und Szenen daraus destillieren, ist weder besonders originell noch überraschend: das Heteroelend bürgerlicher Großstädter, der Erfolgsdruck, den sexualisierte Bilder der Werbung bei Normalopaaren produzieren. Zu einem erfolgreichen Dasein gehört guter Sex, whatever that means, ob virtuell oder real kommuniziert.

Und doch ist es ein starker Theaterabend geworden. „Erotic Crisis“ erzählt mit eisigem Kalkül an den boulevardesken Rändern der Allgemeinplätze entlang, um in tragische Einsamkeitsabgründe zu stürzen. Es beginnt mit einem Parcours der sexuellen Fantasien. Zum Sound von Jimi Hendrix’ „Foxy Lady“ treten die Akteure in Fetisch-Kostümen an die Rampe und versuchen sich an der Formulierung ihrer Fantasien. Die meisten scheitern – zum Vergnügen des Publikums. Nur Orit Nahmias fantasiert in Dominakorsett, mit schwingenden Hüften, wie sie in einem Luxushotel in einem Golfstaat den Hamas-Führer durch ausgefeilte Sadomasotechnik zum Friedensschluss mit Israel bringt.

Immer dichter fügen sich die Szenen aus dem Beziehungsalltag zum trostlosen Gegenwartsbild einer Generation, die viel über Sex weiß, aber wenig über die Liebe. Da sind Maya und Jan, die sich lieben. Aber Jan kann Maya den Sex nicht geben, den sie braucht, so dass die Beziehung zerbricht. Rafael und Kumari dagegen finden sich am Ende. Über den Umweg eines „Dreiers“ lernen sie, reinen Sex von Zärtlichkeit zu unterscheiden.

Klingt banal? Ja, doch es ist die alte immer neue Geschichte, von der vor fast 200 Jahren schon Heinrich Heine wusste: „Und wem sie just passieret / Dem bricht das Herz entzwei.“