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Archiv-Artikel

Fingerschnippen, der Jazz und vielleicht schon nicht mehr: Neues von Schneeweiss und Rosenrot und Schultzing

Und wenn man jetzt noch ein paar Schritte weiter macht hin zum Kunstsinnigen, kommt man auf ein Terrain, auf dem man sich mit Vorsicht bewegen muss, weil sich hier die Worte und Werte auch gern gegen sich selbst wenden und sogar das gut Gemeinte plötzlich geschmäcklerisch klingen kann. Bei der Beschreibung und bei der Musik selbst. Man ist also beim Vocal Jazz. Ein eher schwieriges Genre. Drängt am liebsten zum Pop und auch zu einer Art Coffee-Table-Musik, also auf jeden Fall elegant und feinsinnig gemacht in allen Fragen, dass es sich einfach apart macht, wenn die Musik dann im Player und der Wohnung herumliegt, zur gefälligen Beachtung und ohne, dass man sich an ihr stören würde. Eigentlich muss man gar nicht wirklich zuhören, was dann im Fall von Schneeweiss und Rosenrot allerdings dazu führen mag, dass die Musik auch nerven kann beim Nebenbeihören. Weil man so die Zusammenhänge nicht mehr richtig mitbekommt. Weil man die feinen Quengelgeräusche, die bei „Pretty Frank“, dem zweiten Album des international besetzten Berliner Quartetts um die Sängerin Lucia Cadotsch, mit in der Spur liegen, nicht mehr richtig zuordnen kann.

Im offenen Ohr aber setzt sich das alles plausibel zusammen, diese sacht portionierten Störgeräusche und der hingebungsvolle Pop, das Überkandidelte, das melodische Understatement, die kleine Dosis Paranoia und der Jazz, der hier eigentlich nur noch ein Gefühl ist, gespielt wie ein Fingerschnippen mit dem abgespreizten kleinen Finger. Was sich hübsch macht, das Gezierte, bei dem sezierenden Kalkül von Schneeweiss und Rosenrot und einer Kunstsinnigkeit, die nicht auf sich selbst reinfällt, und deswegen auch nicht in die Sackgasse der Virtuosität reinrennt und andererseits die Konstruiertheit der Musik nicht leugnet. Weil man sich ja was gedacht hat dabei. Was wiederum jetzt gleichfalls nicht besonders ausgestellt wird. Komplex ja, ohne aus dem Um-die-Ecke-denken-können gleich einen Fetisch zu machen. Früher hätte man dazu Art-Rock-gesagt. Man muss sich wiederholen: Tolles Album, wie bereits das Debüt.

Den Vocal Jazz hat man auch mit Schultzing, und das sogar in der Besonderheit, dass hier mal in Deutsch gesungen wird, bei einigen Titeln wenigstens, und bei den restlichen macht es Hanna Jursch eben lautmalend und textlos auf „Federleicht“, dem dritten Album des Quintetts mit Berliner Spielbeinen, bei dem der Pop dann eher klein geschrieben wird und das Fingerschnippen dafür deutlich größer. Die eigentliche Zielmarke bleibt der Jazz mit der Tradition, sich auch mal solistisch tüchtig ausspielen zu dürfen. Bis zum energischen Freispiel geht es dabei, und überhaupt wird der Jazz von Bossa und der Ballade über Morgenlandfahrten bis zum milden Jazzrock in seiner ganzen Bandbreite abgelaufen. Alles gediegen. Alles Qualitätsarbeit, die sich so richtig aber sowieso erst live entscheidet beim Jazz. Nächsten Mittwoch präsentieren Schultzing „Federleicht“ im A-Trane, zusammen mit dem polnischen Geiger Mateusz Smoczynski, der auch auf dem Album zu Gast war. THOMAS MAUCH

■ Schneeweiss und Rosenrot: „Pretty Frank“ (Enja) ■ Schultzing: „Federleicht“ (Jazzhausmusik) live am 11.5. A-Trane