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Archiv-Artikel

Kampf mit Flüchtlingen auf hoher See

Eine Gruppe afrikanischer Migranten im Atlantik trieb eine spanische Patrouille in die Flucht. Jetzt droht ihnen ein Prozess in Mauretanien. Nach dem Rekordjahr 2006 hat jetzt die neue Wandersaison aus Westafrika Richtung Kanaren begonnen

Die Flüchtlinge im Boot bewarfen die spanische Patrouille mit Brandsätzen

AUS MADRID REINER WANDLER

Einer Gruppe von 57 Immigranten aus Afrika ist zu Ostern auf Gran Canaria ein ganz besonderer Empfang zuteil geworden: Ein Großaufgebot an Polizei wartete auf die Besatzung eines Flüchtlingsboots, das in der Nacht von Sonntag auf Montag den kleinen Fischerhafen Arguineguín erreichte. Unter den spanischen Grenzschützern befand sich einer, der eigens aus Mauretanien angereist war. Die Flüchtlinge wurden der Reihe nach an ihm vorbeigeführt. Wen er herauswinkte, wanderte sofort in eine Zelle. In den nächsten Tagen geht für diese Flüchtlinge die Reise zurück nach Mauretanien. Dort erwartet sie ein Prozess wegen Angriffs auf ein Boot der EU-Grenzagentur Frontex.

Grund für das Schnellverfahren ist ein Vorfall vom Mittwoch vergangener Woche. Für die Besatzung des spanischen Patrouillenschnellboots „Río Duero“ hatte alles nach Routine ausgesehen, als sie vor der mauretanischen Küste ein Flüchtlingsboot sahen und sich näherten, um die Afrikaner aufzunehmen und von der Weiterfahrt Richtung Kanaren abzuhalten. Doch diese hatten keine Lust auf ein vorzeitiges Ende der Reise. Sie bewarfen das spanische Schiff mit Brandsätzen. Als mehrere Beamte sich in einem Schlauchboot näherten, stachen die Flüchtlinge mit Messern auf das Boot ein. Den spanischen Polizisten blieb kein anderer Ausweg, als sich geschlagen zu geben. Das Boot flüchtete. Frontex überwachte es aus der Luft, bis es in den Hoheitsgewässern von Gran Canaria ankam. Dort wurde das Fischerboot von der spanischen Küstenwache aufgebracht und in den Hafen von Arguineguín geschleppt.

Noch nie zuvor ist es bei den vielen Dramen der afrikanischen Seemigration Richtung Europa zu einer solchen gewalttätigen Aktion gekommen. Der Zwischenfall beweist einmal mehr die Machtlosigkeit von Frontex. Die EU-Agentur zum Schutz der Außengrenzen operiert seit vergangenem Jahr mit zwei Schiffen und zwei Flugzeugen im Atlantik vor der westafrikanischen Küste. Hinzu kommt die Küstenwache der Spanier direkt vor den Kanaren. Im Jahr 2006 hatte die Rekordzahl von 31.200 Migranten per Boot die kanarischen Inseln erreicht. Mehrere tausend weitere – einige Quellen sprechen von über 4.000 – verloren bei der riskanten Überfahrt ihr Leben.

Doch seit der Winter vorbei ist und sich der Atlantik beruhigt hat, gelangen immer wieder neue Flüchtlingsboote auf die Kanaren. In der vergangenen Woche brachte Frontex ein Fischerboot auf, das 138 Menschen an Bord hatte; am Ostermontag meldete das Rote Kreuz auf den Kanaren die Ankunft von drei Booten mit 112 Passagieren. Vor Mauretanien fing die spanische Küstenwache am Karfreitag 120 Senegalesen und Gambier ab und übergab sie an die mauretanischen Behörden.

Weiterhin ungeklärt ist das Schicksal von 369 meist asiatischen Flüchtlingen, die im Februar von den Spaniern gestoppt und in einen mauretanischen Hafen gebracht worden waren. Sie wurden dort von der spanischen Polizei in eine alte Lagerhalle gesperrt, um sie nach und nach abzuschieben. 23 von ihnen befinden sich noch immer in dem Hangar, der einst als Fischlager diente und von afrikanischen Menschenrechtlern mittlerweile als „afrikanisches Guantánamo“ kritisiert wird. Seit Samstag befinden sie sich in einem Hungerstreik, um gegen ihre Situation zu protestieren.