FÜR DEN ERHALT DER SIXTINISCHEN KAPELLE VON ALT-MITTE : Yuppie scum, your time has come
VON ULRICH GUTMAIR
Als Yuppie beschimpft mich aus sicherer Entfernung ein Endzwanziger in der Stadtbibiothek Mitte Philipp Schaeffer, wo ich grade „Jim Knopf und die wilde 13“ verlängere. Liegt's am frisch gefönten Fünftagebart? Fragt man sich und stellt eine spätmorgendliche These auf: Die Leute sind dermaßen vergiftet von ihren sogenannten Sozialen Netzwerken, dass sie zwischen Zeichen und Wirklichkeit nicht mehr unterscheiden können. Alles eine Sauce auf der Pinnwand. Gefällt mir nicht.
Was sind ein paar Yuppies auf der Brunnenstraße gegen einen regierenden rot-roten Senat, dem seit Jahren nüscht zum sozialen Wohnungsbau und jar nüscht zum nachhaltigen Gebrauch der innerstädtischen Kieze einfällt? Statt für bezahlbaren Wohn- und Arbeitsraum in der Stadt zu sorgen, setzen sie Kuratoren ein. Die sollen eine Leistungsschau von Künstlern aus Berlin kuratieren.
Wenn Kunst die neue Politik ist, versteht man nicht so recht, warum sie gerade das Tacheles plattmachen. Vor kurzem hat die HSH Nordbank die Gastronomie und das Kino für eine Million aus dem Kunsthaus rausgekauft. An strategisch wichtigen Punkten verteidigt nun Security diese territorialen Gewinne des Kapitals und sorgt dafür, dass der neuen Mauer nichts passiert.
Die wurde vor Kurzem im großen Durchgang hochgezogen und wird bewacht wie weiland der antifaschistische Schutzwall. Wer die Potemkin’sche Shantytown im noch begehbaren Teil des Hofs hinter dem Tacheles besuchen will, muss außen rum. Checkpoints, über die man auf die große Freifläche hinterm Tacheles gelangen könnte, gibt es keine. Früher steckten Autos kopfüber im Sand, heute gähnt hier die stadtentwicklungspolitische Leere.
Das Treppenhaus erstrahlt im Glanz antiker Graffiti. In der kleinkunstgewerblichen Freihandelszone im zweiten Stock ist alles beim Alten. In der Bar im ersten legt ein DJ Twostep-Platten mit fetten Bässen auf. Ich schau mir die Touristen an, während sie sich das alles anschauen, als befänden sie sich in der Sixtinischen Kapelle von Alt-Mitte. Stimmt ja auch.
Seit fast zwei Jahrzehnten bekriegen sich im Tacheles verschiedene Fürstentümer, was den Laden in der Kulturszene als nicht ernst zu nehmenden Kleingartenverein erscheinen lässt. Trotzdem ist es kurzsichtig, das Symbol des Nachwendeberlins irgendwelchen Bankern zu überlassen, damit am Oranienburger Tor noch ein Komplex für gehobenes Shopping aus dem Boden schießen kann. Liebe Touristen, lasst uns mit den Berlin-Provinzlern nicht allein!
Die Touri-Boheme, die sich am Samstag zum Latteschlürfen vors Café Oberholz am Rosenthaler Platz begeben hat, kriegt für ihr Geld auch die formschönen neuen Polizeiuniformen geboten, die mir schon bei der großen Anti-AKW-Demo aufgefallen sind. Meine Beobachtung hatte ich nachts zuvor mit einer Geburtstagsgesellschaft im Wedding geteilt, nicht ohne ausdrücklich Farbgebung, stoffliche Robustheit und Schnitt der Krawallfunktionskleidung zu loben, woraufhin ich von Kapitalismuskritikern als Fetischist verunglimpft wurde. Von Otl Aichers Preisung der Militärkleidung als letzter marktunabhängiger Designleistung (1970!) haben sie noch nicht gehört.
Auf der Torstraße gehen die Rolläden runter
Unter dem korrekten Mitte-Motto „Wir bleiben alle!“ marschiert die Demo zügig vom Rosenthaler los. Im Hipsterbekleidungsladen No. 74 auf der Torstraße gehen, peinlich, peinlich, die Rolläden erst runter und dann, als der Zug vorbei ist, gleich wieder hoch. Im gegenüberliegenden Happy Shop dagegen gehen die Geschäfte weiter. Da skandiert der schwarze Block einen alten Hausbesetzerslogan. „Die Häuser denen, die drin wohnen?“, fragt der Fetischist in mir. „Kennst du wieder nicht, bist ja nicht auf Facebook“, sagt der innere Yuppie. „Das ist der neue Claim von Kolle Belle, Marthas Höfen und Vereinigten Baugruppen.“
Als wir die Kollwitzstraße erreichen, läuft einer mit schwarzem T-Shirt vor mir her. Hinten drauf steht: Yuppie scum, your time has come. „Gefällt mir“, sagt der Uniformfetischist. Der Yuppie findet's albern.