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Archiv-Artikel

Das Ende der Weltmusik (wie wir sie kennen)

HYBRIDER POP Im neuen urbanen Underground der Welt verschmelzen globale Clubkultur und lokale Szenen

Exotismus bleibt im Spiel, wenn die Roots-Elektronika-Kapelle aus dem Kongo im Techno-Bunker des Berliner Berghain auftritt oder der syrische Hochzeitsmusiker Omar Suleyman einer Horde Raver anheizt

Von DANIEL BAX

Ausgerechnet Abidjan! Die Hauptstadt der Elfenbeinküste stand kürzlich erst wieder am Rande eines Bürgerkriegs. Doch glaubt man den Musikvideos, die sich im Internet finden, dann fließt in den Clubs der Metropole der Schampus in Strömen, während Jungs mit Sonnenbrillen und Basecaps sowie Mädchen in engen Jeans und knappen Tops zu aufgedrehten Elektrorhythmen die Hintern kreisen lassen.

Ein Typ namens Baborlay „Bab“ Lee hatte dort mit dem Track „Sous les Cocotiers“ („Unter den Kokosnüssen“) vor Jahren einen Riesenhit. Fette, rockige Synthie-Riffs, ein hypnotischer Kirmestechno-Groove, ein blechern schepperndes Steeldrum-Sample und ein simpler Melodie-Loop sorgen für gute Laune. „Coupé-décalé“ – der Name leitet sich von einem ivorischen Slangwort für „Unfug treiben“ ab – nennt sich der Stil, der Anfang des Jahrtausends in den Vorstädten von Paris entstand und sich von dort aus rasend schnell in ganz Afrika verbreitete.

Auch das DJ-Team von Radioclit legt gerne „Coupé-décalé“ auf. Radioclit, das sind der Franzose Etienne Tron und der Schwede Johan Hugo, die im „Arts Club“ des Londoner Multikulti-Bezirks Notting Hill seit 2008 eine Partyreihe namens „Club Secousse“ abhalten. Dort servieren sie ihrem Publikum ein buntes Potpourri trashiger Billigelektro-Tunes aus aller Welt. Ihre Lieblingshymnen der Nacht haben sie auf dem Sampler „The Sound of Club Secousse“ vereinigt. Sie fügen sich zu einem verwirrend urbanen Echo des Kontinents – von der Elfenbeinküste bis Sierra Leone, von Angola bis Südafrika.

Das Gegenstück dazu bilden ihre Londoner DJ-Kollegen Hugo Mendez, Frankie Francis und The Mighty Crime Minister, die unter dem Namen „Sofrito“ bereits seit sechs Jahren an wechselnden Orten wilde Warehouse-Partys feiern. Bei „Sofrito“ wird stets ein wildes Gebräu aus tropischen Stilen längst vergangener Zeiten aufgetischt, von altem Calypso, Zouk und Soca aus der Karibik, Sokous aus dem Kongo und Highlife aus Ghana bis hin zu Salsa und Cumbia aus Kolumbien. Die Klänge von alten Tonträgern aus den 50er bis 80er Jahren werden dabei behutsam mit Basslines und Sounde-Efekten aufgepimpt, um sie auf die Höhe der Zeit zu bringen. „Tropical World Clash“ nennen die drei Sofrito-DJs ihren Stil. Denn „Tropical“ ist beim Online-Künstlerportal MySpace zur Kennmarke geworden, wann immer Clubkultur auf globale Folklorismen trifft.

Früher galten die Beatschmieden von London und New York, vielleicht noch Bristol oder Berlin, als Nabel der Dancefloor-Welt. Doch die Globalisierung hat längst auch die Tanzflächen der weltweiten Clubszene ergriffen. Heute gelten pumpender Baile Funk aus den Favelas von Rio, überhitze Cumbia-Mutationen aus Kolumbien oder selbst gebastelten Dance-Tunes aus afrikanischen Metropolen als letzter Schrei. Als In-Stile gelten Kuduro aus Angola, der Partysound Funana von den Kapverden und Shangaan Electro, ein Pop-Bastard aus Südafrika.

Wer als Musik-Hipster etwas auf sich hält, schaut sich deshalb heute in Caracas, Lissabon oder Kinhasa um. Trendsetter-Labels wie Souljazz, Soundways oder Analog Africa aus Frankfurt graben in den entlegensten Winkeln der Welt goldene Grooves aus besseren Tagen aus, während sich ihre Kollegen bei Sublime Frequencies, Man Recordings in Berlin oder Outhere in München eher den urbanen Ghettos der Gegenwart zuwenden.

Von jener gediegenen Weltmusik, wie sie Leute wie Ry Cooder, Paul Simon oder Peter Gabriel einst populär machten, ist beides jedoch denkbar weit entfernt: zu vulgär, zu kommerziell und zu trashig ist es dafür. Urbane Genres wie „Coupé-décalé“ zerstören die romantischen Illusion, Musik aus Afrika müsse ein Gegenentmodell zum anglophonen Pop bieten. Dafür erliegt die Clubszene immer mehr den Reizen archaischer Elektronik, billiger Soundeffekten und seltsamer Grooves aus dem Kongo, Kolumbien oder der Karibik: ein Paradigmenwechsel.

„Die alte, saubere und sanfte Weltmusik wird attackiert und ersetzt durch neue, unbequemere Sounds“, meint der Schweizer Musikwissenschaftler Thomas Burkhalter und prägte dafür das Wort von der „Weltmusik 2.0“. Aber passt der Begriff überhaupt noch? Der genaue Migrationshintergrund ist der Musik ja oft nicht mehr anzuhören, sie ist längst das hybride Produkt einer transnationalen Kulturindustrie. Die WDR-Welle Funkhaus Europa, auf dem Gebiet globaler Klänge in Deutschland führend, verzichtet deshalb inzwischen ganz auf das Schlagwort „Weltmusik“ und fasst die neue Vielfalt lieber unter dem unverfänglichen Begriff „Global Pop“ zusammen.

Natürlich ist auch jetzt noch eine gehörige Prise Exotismus im Spiel, wenn etwa die kongolesischen Musiker der Roots-Elektronika-Formation Konono No 1 im Techno-Bunker des Berliner Berghain auftreten oder der syrische Hochzeitsmusiker Omar Suleyman in traditioneller arabischer Tracht zu synthetischen Dabke-Rhythmen aus der Konserve eine Horde Raver anheizt.

Doch das Faible westlicher DJs, Produzenten und Clubheads für exotische Elektro-Tunes, die, nach dem Do-it-yourself-Prinzip zusammengeschraubt, in den Favelas, Townships und anderen Wellblechsiedlungen dieser Welt wider hallen, ist mehr als nur musikalischer Armutstourismus. Es ist auch eine respektvolle Verbeugung vor der Innovationskraft, der Kreativität und dem musikalischen Genie der Peripherie.

■ Radioclit: The Sound of Club Secousse Vol I (Crammed Discs / Indigo); Sofrito: Tropical Discotheque (Strut/!K7)