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Archiv-Artikel

Essen auf der Haut

DUSCHZEUG Heute wieder den Frühstücksjoghurt mit dem Duschgel verwechselt? Nicht schlimm. Schuld ist die Warenwelt

Nahrungszweitverwertung

■  Für den Körper das Frühstück: Vermischen Sie in einen Becher Jogurt mit zwei Handvoll geriebenen Mandeln, zwei Löffeln Honig und dem Saft einer halben Zitrone. Jetzt stellen Sie sich unter die Dusche und rubbeln Körper und Gesicht mit dieser Mischung intensiv ab. Ab und zu nippen Sie an der Flüssigkeit, die Ihnen über die Haut läuft. Wenn Sie Ihren Körper damit warm gerieben haben, duschen Sie sich ab. Den Mund können Sie dabei natürlich offen lassen.

  Für die Hände das Hauptgericht: Reiben Sie zwei große Möhren und mischen Sie drei Eßlöffel Quark und einen Teelöffel Weizenkeimöl dazu. Oliven-, Kürbiskern-, Lein- oder Sesamöl geht auch. Diese Paste schmieren Sie sich auf die gewaschenen Hände, die von – sagen wir mal der Gartenarbeit – sehr rau geworden sind. Setzen Sie sich in Ihren Lieblingssessel und legen Sie ein Tuch auf ihren Schoß. Jetzt genießen Sie fünfzehn Minuten Nichtstun. Danach lecken Sie die Hände ab.

■  Fürs Gesicht das Abendbrot:

Zerdrücken Sie eine reife Avocado, mischen Sie ein schaumig geschlagenes Eigelb, einen Schuss Olivenöl, ein Löffelchen Honig und Apfelessig darunter. Sollten Sie auch noch Rosenwasser oder Orangenblütenwasser zur Hand haben, nicht zögern und einen kleinen Schuss davon hinzugeben. Den Brei schmieren Sie sich ins gewaschene Gesicht und lassen ihn eine halbe Stunde ruhen. Danach abwaschen oder besser noch mit den Fingern abstreichen und aufessen.

VON MARTIN REICHERT (TEXT) UND JULIANE PIEPER (ILLUSTRATIONEN)

Lalala … Zwei Apfelsinen im Haar und an der Hüfte Bananen – so trällerte einst somnambul die französische Sängerin France Gall. Heute muss man nicht mal mehr unter der Dusche singen, um solch entrückte Zustände herbeizuführen. Man nehme ein „Balea Volumen Shampoo Lotusblüte & Orange“ sowie das „Tropen-Duschgel Banane-Mango“ und lasse es ordentlich schäumen, lalala …

Man kann sich die Bananen auch ins Haar schmieren, „The Body Shop Bananen Shampoo“, und die Orangen mittels „Yves Rocher Duschgel Orange & Mandel“ im Beckenbereich verteilen. Dem ein oder anderen mag das lieber sein, weil nämlich „The Body Shop“ laut eigener Aussage auschließlich fair gehandeltes Bananenpüree für seine Produkte verwendet. Gleichzeitig steht das letztgenannte Unternehmen, das heute zum Mega-Kosmetikhersteller L’Oréal gehört und ursprünglich britisch war, auch ein wenig für den Siegeszug der sogenannten „Naturkosmetik“, die ihre Wurzeln in der Lebensreformbewegung hatte und seit den Sechzigern des letzten Jahrhunderts neuen Aufschwung bekam.

Zurück zur Natur – aber nur ein bisschen: Die meisten Anbieter von Naturkosmetik arbeiten mit modernen, industriellen Techniken, vermeiden aber giftige, krebserregende Inhaltsstoffe. Es gibt kaum Anbieter, die wirklich Eins-zu-eins-Naturprodukte anbieten. Stattdessen haben die Großkonzerne von Procter & Gamble bis Henkel die Zeichen der Zeit erkannt, und verrühren ihre Substanzen mit ein wenig Natur, garniert mit Wellness: „Dove go fresh mit Pflaumen- & Sakura Blütenduft“. Der Vorgang des Waschens soll nämlich nicht nur sauber machen, sondern auch glücklich & entspannt.

In der dunklen Jahreszeit muss man daher, geht es nach der Philosophie der Rossmann-Eigenmarke Isana, am besten mit der „Winterdusche Weiße Schokolade & Honig“ in die Duschtasse schreiten. Das Glück ist in diesem Fall perfekt, denn würden diese Ingredenzien aus Gründen der Winterdepression gegessen anstatt verduscht, verblieben sie womöglich an den Hüften, anstatt von ihnen abzuperlen.

Glibbernde Verheißung

Wahrhaft biblische Verheißungen glibbern aus den Schraub- und Klips-Verschlüssen der Konzerne – ist nicht im Alten Testament stets die Rede von einem Land, in dem Milch und Honig beständig flössen? „Palmolive Dusch & Creme mit Milch & Honig“ ist nach 125 Millilitern erschöpft, aber immerhin.

Es geht, man ahnt es, bei den Lebensmitteln auf unserer Haut vor allem um Gefühle – um Wohlbefinden. Die meist nur sehr geringen Dosen von Orange, Minze und Traube haben sowieso kaum eine Chance, während des Duschens etwas auf unserer Haut anzurichten, der kurzen Verweildauer wegen, Wash ’n’ Go. Aber müssen es ausgerechnet Lebensmittel sein? Reinhold Brunke, Geschäftsführer von Icada, sollte das wissen, denn sein Verband (International Cosmetic and Detergents Association) berät Unternehmen aus der Kosmetikbranche und betreibt Lobbying: „Soja, Palmöl, Kakaobutter – diese essbaren Rohstoffe wurden eigentlich schon immer in der modernen Kosmetikherstellung benutzt. Aber jetzt beginnen die Hersteller, bestimmte natürliche Rohstoffe für den Kosmetiknutzer sichtbarer auszuloben – erst jetzt wird uns bewusst gemacht, dass die Kosmetik- und die Lebensmittelindustrie auf die gleichen Rohstoffquellen zurückgreifen.“

Es ist ähnlich wie beim Tanken – man fährt mit Weizen und Raps, will das allerdings nicht unbedingt im Bewusstsein haben. Warum will der Konsument von heute dann ausdrücklich Schokolade und Passionsfrüchte in seinem Duschgel? „Der Mensch des 20. Jahrhundert war zunächst sehr technikgläubig. Er bevorzugte daher die neu geschaffenen synthetischen Grundstoffe. Die natürlichen kannte er ja schon seit Jahrtausenden von der Seife. Heute kommt die Natur wieder stärker ins Spiel, und zwar nicht nur, weil man ihre heilende Kraft mit modernen wissenschaftlichen Methoden nun auch beweisen kann, sondern weil man heute auch bessere Messmethoden zum Nachweis der Inhaltsstoffe hat. Die Hoffnung in die Kräfte der Natur wird konkreter“, sagt Reinhold Brunke.

Der Dove-Blütenduft lässt einen schwindeln – man fühlt sich, als sei man betrunken im Botanischen Garten eingenickt

Klar, niemand würde ein Duschgel, ausgestattet mit den üblichen Tensiden, Parfüms und Perlglanzmitteln, mit dem Slogan „Jetzt auch mit Erdöl“ anpreisen. Sicher aber mit „Jetzt mit Pflaume und Anis“. Die entsprechenden Supermarktregale erinnern daher an Eisdielen: „Fa Joghurt Cocos“. Und die Kundschaft schnuppert meist ausgiebig mit den Verschlüssen klappernd, bevor sie zugreift. Duscht mit mehr Obst! Wer will, bekommt übrigens auch Gemüse: „Duschdas Fresh & Care mit Minze & Gurken-Extrakt“ zum Beispiel.

Die hinter dem Duschvorhang schimmernde Ideologie verdeutlicht erst der Gender-Test: Männer bekommen unter der Dusche in der Regel nichts zu essen. Stattdessen müssen sie wacker mit den Gezeiten ringen („Florena Men mit Meeresmineralien“), Bäume fällen („Palmolive For Men Wild Forest“) oder sich der Metallbearbeitung widmen („Nivea For Men Silver Protect Dynamic Power“). Männer sollen, so scheint es, unter der Dusche eher Stress haben.

Richtig ist, dass das Duschen ursprünglich militärischer Natur war – die ersten deutschen Duschen standen in preußischen Kasernen. Doch längst sind die meisten Deutschen den Wannen entsprungen, die tägliche Dusche – häufig auch mehrmals vorgenommen – gehört selbstverständlich zum Alltag. Sogar das deutsche Mietrecht erlaubt diese Hygienetätigkeit – die dank moderner, mehrdüsiger Brauseanlagen längst zur Wellness-Beregnung ausgeufert ist – rund um die Uhr.

Im Selbstversuch mit spartanischer Duschbrause erwiesen sich einige spontan ausgewählten Produkte zu früher Morgenstunde als ambivalent. „Dove go fresh ‚rebalance‘ Pflaumen- & Sakura Blütenduft“ etwa lässt einen eher schwindeln. Man fühlt sich, als sei man aus Versehen betrunken unter einem bizarr blühenden Baum im Botanischen Garten eingeschlafen. Man riecht danach auch so. „Isana Dusch Peeling Melisse Orange“ verschafft einem, im Vergleich, eine Atempause. Und von „Bübchen Shampoo & Shower für Kids Himbeere“ bekommt man tatsächlich Appetit. Gibt es eigentlich auch Duschgels mit „Schinkenbrötchen & Kaffee“? Lalala …