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Archiv-Artikel

Und es ward nicht

ATOM Es ist eine wunderbare Vision: Wer das Prinzip der Sonne kopiert, erhält unendlich viel Energie. Die EU pumpt Milliarden in ein Projekt, das diese Kernfusion schaffen soll. Erfolge? Bisher kaum. Nun soll ein niederländischer Ingenieur das Vorhaben retten

Der Iter

Das Projekt: Die Idee zum International Thermonuclear Experimental Reactor, kurz Iter, stammt aus den Achtzigerjahren, als US-Präsident Ronald Reagan und der russische Staatschef Michail Gorbatschow beschlossen, die Kernfusion in einem gemeinsamen Projekt zu erforschen. Bis zum endgültigen Startschuss im Jahr 2006 vergingen weitere zwanzig Jahre. Erst zu der Zeit stand auch fest, wo der Iter gebaut wird: in Cadarache, etwa eine Autostunde nördlich von Marseille in Südfrankreich. ■Die Kernfusion: Die Idee, Kernfusion zu nutzen, um Energie zu gewinnen, ist 1952 entstanden. Damals zündeten die Amerikaner im Pazifik die Wasserstoffbombe, die auf demselben physikalischen Prinzip beruht. Kernfusion kommt auf der Sonne vor, wo Atomkerne bei hohen Temperaturen verschmelzen und Energie freisetzen. ■ Die Finanzen: Milliarden D-Mark, Dollar und Euro sind über die Jahre in die Erforschung der Kernfusion geflossen. Allein der Bau des Iter wird nach heutigen Schätzungen 16 Milliarden Euro kosten, zu Beginn waren 5 Milliarden geplant. Der Betrieb wird weitere 10 Milliarden Euro in zehn Jahren kosten. Bis zur zivilen Nutzung der Energie werden insgesamt wohl noch mindestens 60 bis 80 Milliarden Euro benötigt.

AUS CADARACHE UND GREIFSWALD GORDON REPINSKI

An einem heißen Apriltag steht Remmelt Haange an seiner Baugrube in Südfrankreich und schwitzt. Die Sonne knallt ihm auf die Stirn, die Wangen leuchten, das Gesicht glüht. Aber das stört ihn nicht. Haange mag die Sonne. Er setzt auf sie. Manche sagen: Was die Sonne angeht, ist Haange der beste Mann der Welt. Er soll sie hierherholen, nach Cadarache in Südfrankreich.

„Da drüben soll die Sonne stehen“, sagt Remmelt Haange, 66 Jahre. Er zeigt zu einem Ort am Ende der Baustelle. Ein Erdloch, so groß, dass man zwei Modelle des Airbus A 380 darin versenken könnte, des größten Passagierflugzeugs der Welt. Einige Kräne ragen in den blauen Himmel. Hier hat Haanges Mission vor wenigen Monaten begonnen. Es kommt jetzt auf ihn an.

Für die Baugrube in Cadarache ist der Niederländer die letzte Hoffnung. Er soll nicht weniger tun, als die Prozesse der Sonne mit einem Kernfusionsexperiment zu imitieren. In einem Reaktorgebäude könnte dann 100 Millionen Grad heißes Plasma um eine Magnetspule wabern, die im Innern minus 269 Grad kalt ist. Atomkerne sollen verschmelzen und unendlich viel Energie fast ohne Risiko und Rückstände bringen.

Es ist die Vision von einer wundervollen Zukunft, und es gäbe nur einen Weg dorthin. Er führt über Haanges Baugrube, über den „Internationalen Thermonuklearen Experimentellen Reaktor“. Den Iter.

Ronald Reagan und Michail Gorbatschow haben dieses gigantische Gemeinschaftsprojekt 1985 beschlossen. Es sollte den Kalten Krieg genauso überwinden wie alle Energiesorgen der Menschheit. Auch heute, auch nach der Katastrophe von Fukushima klingt Iter für die Forscher noch nach Zukunft. Er soll die bessere Atomtechnik schaffen.

Der Iter ist eines der größten Forschungsprojekte weltweit geworden. Mit 45 Prozent zahlt die EU den größten Anteil der Mittel, daneben beteiligen sich die USA, Russland, Japan, China, Indien und Südkorea. Über eigene Logistikagenturen werden weltweit die Aufträge abgewickelt. Neue Straßen müssen gebaut, komplizierte Bauteile erfunden werden. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung zahlt mit ihren Steuern das Riesenprojekt. Alles am Iter ist gigantisch.

Außer den Erfolgen. Den Fortschritten. Den Perspektiven.

Bisher ist in Südfrankreich nur präzise planierter Lehmboden auf der Fläche eines ganzen Dorfes zu besichtigen. Von der Sonne auf Erden zeugt höchstens die Rötung in Remmelt Haanges Gesicht.

Das Projekt wurde immer wieder verschoben. Zuletzt verdreifachten sich die erwarteten Kosten auf 16 Milliarden Euro. Das Management wurde fast vollständig ausgetauscht. Der Erfolg ist ungewiss, die Finanzierung aus dem aktuellen EU-Haushalt nicht geklärt. Selbst ehemalige Befürworter wenden sich ab. „Wir wollen zurück zu den alten Zahlen“, sagt der Europapolitiker Jorgo Chatzimarkakis von der forschungsfreundlichen FDP. Es klingt fast verzweifelt.

Niemand weiß genau, ob Menschen die Kernfusion jemals dauerhaft gelingen kann. Die wichtigsten technischen Fragen sind offen. Und dass die Fusion die Energie- und Klimaprobleme der näheren Zukunft lösen könnte, behaupten nicht einmal ihre größten Fürsprecher. Im Energiekonzept der Bundesregierung bis 2050 steht kein Wort von der Kernfusion. Sie sei „eine langfristige Option für die Energieversorgung“, sagt Forschungsstaatssekretär Georg Schütte. Und mit der sei vor 2050 „nicht zu rechnen“.

Aber die Welt nach Fukushima sucht einen Weg aus dem globalen Energiedilemma. Eine Lösung muss bis Mitte des Jahrhunderts gefunden sein. Nicht irgendwann.

Haange ist seit dem 17. Januar der Technische Direktor des Iter. Er steht wie niemand sonst für die Hoffnungen, Probleme und internationalen Verflechtungen der Kernfusion. Sein Leben lang beschäftigt er sich mit Reaktoren und deren Innenleben. Er hat außer in Frankreich schon in Japan, Großbritannien und Deutschland gearbeitet. Wo immer ein wichtiges Kernfusionsprojekt läuft, steht Haange an der Baustelle und guckt, was klappt.

In nüchternem Ton vergleicht er die Kernfusion mit dem Traum vom Automobil – „daran hat ja auch keiner geglaubt“ – oder mit der Raumfahrt. Er weiß, dass seine Gegner in der Politik das Projekt beenden wollen, bevor die Schwertransporte auf das Gelände in Cadarache rollen.

Haange hat in Greifswald den deutschen Ableger des Kernfusionsprojekts aus dem Chaos geführt. Jetzt soll er den Fusionierern der Welt ihr Projekt retten.

Zu all den Problemen, die es ohnehin schon gibt, kommt nun auch noch „dieses Desaster da in Japan“, muss Haange feststellen. Alles werde in einen Topf geworfen, „Kernfusion“ klingt für Laien plötzlich gefährlich. Das bedroht die Baustelle zusätzlich. „Eine heikle Lage“, sagt Haange.

Der Traum von der Kernfusion beginnt, als Remmelt Haange 8 Jahre alt ist, Schüler in einem kleinen Ort an einem niederländischen Naturpark. Am 1. November 1952 um 7.15 Uhr explodiert auf der Pazifikinsel Elugelab eine Wasserstoffbombe. „Ivy Mike“ ist die stärkste Kernwaffe der Welt, ihre Wucht 800-mal so groß wie die der Atombombe von Hiroshima. Kilometerweit fegt die Detonation alles davon.

Die Insel Elugelab verdampft, die Forscher jubeln.

„Ivy Mike“ explodiert und liefert die Idee

Während Remmelt die Grundrechenarten lernt, denken in den Forschungszentren der Welt die Wissenschaftler darüber nach, wie sich so viel Energie nutzen lässt. Wie es theoretisch funktioniert, wissen sie: Die Wasserstoffisotope Tritium und Deuterium müssen zuerst auf 100 Millionen Grad Celsius erhitzt werden und so den sogenannten vierten Zustand der Materie erreichen. Die Isotope sind dann nicht fest, flüssig oder gasförmig – sondern ionisiert. In diesem Zustand bildet sich ein Plasma, in dem die Teilchen durcheinanderfliegen; sie kollidieren miteinander und verschmelzen zu Helium.

Das Ergebnis: Energie im Überfluss. Ein Gramm Wasserstoff entspricht der Leistung von elf Tonnen Kohle. Es war das Märchen von den unendlichen Ressourcen. Es fühlte sich an, als wäre man auf Ozeane voller Öl gestoßen. Der Durchbruch schien greifbar. Und das alles ohne die Gefahr eines GAUs. Bei einer Störung würde sich der Reaktor sofort abkühlen.

Trotzdem feuert die EU Unmengen an Energie und Geld in das Projekt. Geld, das an anderer Stelle fehlt

In den Sechzigern geht Remmelt Haange zum Studieren nach Deutschland, Maschinenbau an der RWTH Aachen. Nach dem Studium zieht er weiter nach England. Sein erster Job in einem Hochtemperaturreaktor. „Damals hieß es: Es sind noch 25 Jahre“, erinnert er sich. „Hurraideen passten in die Zeit“, sagt die Vorsitzende der Grünenfraktion im Europäischen Parlament, Rebecca Harms.

Über Jahre feuerten die Forscher Unmengen Energie in den Ofen, um die 100 Millionen Grad Betriebstemperatur zu erreichen. Heraus kam nichts. Kaum hatte man die Teilchenverschmelzung einmal geschafft, fiel sie wieder in sich zusammen wie ein Ballon, aus dem man die Luft lässt. Denn das widerspenstige Plasma verflüchtigt sich in Sekundenbruchteilen, berührt die Wände des Reaktors – und kühlt sich ab.

Auch riesige Magnetspulen, die in den Reaktor hineingebastelt sind, können das Plasma nicht kontrollieren. Der Reaktor Tokamak, der auch im Iter verwendet werden soll, muss andauernd weitergeheizt werden. Als wollte man einen nassen Baum mit dem Feuerzeug anzünden. 1991, Haange arbeitete jetzt für das Projekt Jet, den Vorgänger des Iter, gelang der Prozess für zwei Sekunden im britischen Culham. Dann war der Sonnenofen wieder aus.

Damals glaubten Physiker, es werde drei Jahrzehnte dauern, bis man endlich Strom erzeugen könne. Nichts ist in all den Jahren der Forschung so stabil wie die Zeit, die angeblich jeweils noch bis zur kommerziellen Nutzung der Zauberenergie gebraucht wird. Es sind immer drei bis vier Jahrzehnte. Dafür ist ein zynisches geflügeltes Wort entstanden: die Fusionskonstante.

Immer größer – der Eisbär gilt als Vorbild

Die technischen Schwierigkeiten haben dazu geführt, dass im Laufe der Jahre immer neue Materialien und Verfahren gebraucht wurden. Die neuen Stoffe brachten neue Probleme. Bis heute ist kein Material für eine Reaktorinnenwand gefunden, die 100 Millionen Grad erträgt, ohne zu schwächeln. Es gibt auch noch keine Magnetspule, die bei mehr als minus 269 Grad funktioniert.

Ideen haben die Forscher immer gleich mitgeliefert. Um das Problem mit dem widerspenstige Plasma zu lösen, werde nur ein größerer Reaktor benötigt, sagten sie stets. Darin würde sich die Ionensuppe nicht so schnell abkühlen. Fusionierer wie Haange erzählen gern die Geschichte vom Eisbären. Der könne am Nordpol auch nur überleben, weil er dank seiner Größe nicht so viel Wärme abgebe.

Am Ende bedeutet das: Wenn so ein Gerät in 60 Jahren erst zwei Sekunden lang funktioniert hat, findet sich immer noch eine Schraube, eine Spule oder Stütze, die sich verbessern lässt. Und jede dieser Ideen wird ein Unikat und kostet sehr viel Geld. Wenn man das Geld anderswo einsparen will, kostet das Zeit. Und diese Zeit kostet dann wieder Geld.

So wurde der Iter im Laufe der Jahre immer teurer, der Start immer weiter verschoben. 1986, als Reagan und Gorbatschow das Projekt planten, wollten sie in den neunziger Jahren fertig sein. Mittlerweile muss man im Kalender für den Betriebsstart bis 2026 blättern.

Erreicht wäre dann noch nicht viel. Denn nach dem Iter müsste ein Nachfolgemodell, ein Demonstrationskraftwerk, gebaut werden. Erst danach könnte ein Kraftwerk folgen, das ans Netz geht. Ein einziges würde noch einmal so viel kosten wie der Iter.

Doch allein für den Iter steigen die Kosten mit fast jeder Projektrevision. Waren vor zehn Jahren in den Planungen noch 5 Milliarden Euro für den Bau angesetzt, sind es nun 16 Milliarden Euro, mehr als dreimal so viel. Die Schätzung für Europas Anteil hat sich in der Zeit auf 7,2 Milliarden Euro erhöht. „Das ist eine gigantische Geldvernichtung“, sagt der Pariser Energiefachmann Mycle Schneider, „ein Beschäftigungsprogramm für arbeitslose Physiker.“

Erst 2010 hatten die Europäer von den Kostensteigerungen genug und begrenzten den eigenen Anteil auf 6,6 Milliarden Euro.

Am Tag, als Remmelt Haange sich an der Baugrube in Cadarache einen Sonnenbrand holt, beraten die Beamten der EU-Kommission gerade, wie die Mehrkosten des Iter aufgefangen werden können. In dem provisorischen Verwaltungscontainer auf dem Gelände hetzt Haange von Krisenrunde zu Krisenrunde, zwischendurch klingelt das Telefon. Es sind unangenehme Gespräche. Das Verständnis für die dauernden Kostensteigerungen in Cadarache – für 2012 und 2013 allein sind es 1,3 Milliarden Euro – sinkt allmählich. Haange meint wohl auch das, wenn er von einer „heiklen Lage“ spricht.

Die EU-Kommission, das geht aus internen Entwürfen hervor, will nicht genutzte Landwirtschaftsmittel verwenden und mit anderen Forschungsmitteln die übrigen Löcher im Budget stopfen. Welche, darüber gibt die Kommission keine Auskunft. „Der Iter kannibalisiert andere Forschungsvorhaben“, sagt die Grüne Rebecca Harms.

Zum Beispiel die regenerativen Energien. Jährlich werden etwa 130 Millionen Euro in die deutschen Fusionszentren gesteckt – ein Drittel des Energieforschungsetats. In Europa fließen nach offiziellen Angaben der EU-Kommission allein in den Jahren 2012 und 2013 zwei Milliarden Euro in die Kernfusion. In die Erforschung der regenerativen Energien steckt die EU auch etwas mehr als zwei Milliarden – in sieben Jahren.

1.700 Kilometer nordöstlich von Cadarache, im Gewerbegebiet der Stadt Greifswald, lässt Thomas Klinger seinen Gefühlen freien Lauf. Der Turbulenzplasmaphysiker steht mit gehärteten Spezialschuhen und Schutzhelm in der Produktionshalle des Max-Planck-Instituts vor seinem unfertigen Fusionsexperiment. Ein Schwerlastkran fährt mit seinen gelben Greifarmen an der Decke entlang.

Klinger ist der Chef hier in Greifswald, vor seinen Augen vollzieht sich ein entscheidender Montageschritt. Alles sieht aus, als würde gerade ein U-Boot verschraubt. Doch bei den vermeintlichen Bullaugen handelt es sich um Einlasslöcher für empfindliche Messgeräte. Hier entsteht der Vorzeigereaktor der deutschen Fusionscommunity, der Wendelstein 7-X.

Das Finanzgeflecht

Die Beteiligten: Der Iter ist ein Gigaprojekt. Mit der EU, den USA, Russland, China, Japan, Indien und Südkorea finanziert mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung das Experiment. Die Verwaltungsbehörde für die Aufträge – „Fusion for Energy“ – sitzt in Barcelona, die Iter-Zentrale in Cadarache, im Süden Frankreichs.

Die Probleme: Da jedes Land vom gewonnenen Wissen aus dem Projekt profitieren will, ist ein bürokratisches Monster entstanden. Durch die unklaren Hierarchien wurde besonders die Arbeit von „Fusion for Energy“ kritisiert und das Management im Jahr 2010 ausgetauscht. Zudem bauen alle Länder alle Bauteile unabhängig vom technischen Vorwissen.

Der Ausstieg: Das Projekt noch zu stoppen ist sehr schwer möglich. Europa müsste gemeinsam aussteigen, der erste Zeitpunkt für eine mögliche Kündigung ist im Vertrag erst für 2016 festgelegt. Wenn Deutschland allein aussteigen wollte, müsste der Vertrag der EU-Atombehörde Euratom gekündigt werden. Ein Ende des Projekts würde teuer werden. Die EU-Kommission schätzte die Kosten im Jahr 2010 auf mindestens 4,5 Milliarden Euro.

Die Website: www.iter.org

„Wie eine Niederkunft“, sagt der Plasmaphysiker

Ein Stück gebogene Metallschale, groß wie ein Hausdach, wird mit einem Spezialkran auf den Wendelstein 7-X hinabgelassen. Darauf sitzen zwei Ingenieure und lassen sich mit verladen. Nur von oben können sie sehen, ob die Schale exakt auf den Testreaktor passt. Der Kran surrt. Klinger schaut zu. Er ist immer dabei, wenn so etwas passiert.

Mit seinen Kupferadern und Schräubchen habe der Wendelstein 7-X etwas von Gunther von Hagens’ Körperwelten. „Faszinierend“, sagt Klinger. Während die Schale sinkt, wird er euphorisch. „Es ist wie eine Niederkunft“, sagt er, die vielen Magnetspulen sind wie Kinder: „Jede ist anders.“

Viele Jahre hat Remmelt Haange den deutschen Ableger des Fusionsprojekts mit Klinger geleitet. Jetzt hat Haange Klinger verlassen, weil er in Cadarache dringender gebraucht wird. Klinger nennt Haange den Red Adair der Fusionstechnologie. Adair war ein Feuerwehrmann, spezialisiert auf brennende Ölfelder.

Der Wendelstein 7-X ist so etwas wie das Gegenprojekt zum Iter geworden. Sein Reaktortyp Stellarator hat gegenüber dem in Frankreich geplanten Tokamak-Modell den Vorteil, dass er durchgängig laufen soll und nicht immer wieder neu gezündet werden müsste. Der Nachteil: Der Stellarator hat zwanzig Jahre Forschungsrückstand. Deswegen wird er wohl nur in Greifswald gebaut – danach nirgends mehr. Trotzdem kostet er rund eine halbe Milliarde Euro, überwiegend vom Bund bezahlt. Angela Merkel nennt den Wendelstein 7-X „ein Zukunftsprojekt“.

Wer sich nun fragt, warum es dieses Projekt auch noch geben muss, landet wieder beim Iter. Die meisten Länder haben sich nur unter der Bedingung daran beteiligt, dass die eigenen Forschungsvorhaben profitieren. Frankreich musste in Europa deshalb am meisten Überzeugungsarbeit leisten. Der Iter ist nicht nur ein großer Energietraum, sondern auch ein milliardenschweres Konjunkturprogramm für die Region Provence. In einer französischen Karikatur von 2007 jubelte der damalige Präsident Jacques Chirac nach dem Zuschlag für Cadarache als Standort seinem Premier Dominique de Villepin zu. „Wir haben das Ding – nun sagen Sie mir, was es bringt, Villepin!“

Die Antwort findet sich in den Statistiken, die Frankreich regelmäßig herausgibt. Sie zeigen, wie viel von den internationalen Iter-Geldern im eigenen Land landen. Im Moment sind es bei einem Projekt, für das die halbe Weltbevölkerung zahlt, bemerkenswerte 46 Prozent. Deutschlands Unternehmen dagegen verlieren langsam die Lust an den Ausschreibungen, ihr Anteil an den vergebenen Aufträgen ist derzeit zwei Prozent. Wirtschaftsvertreter schimpfen auf die Verfahren, sie seien „vordemokratisch“.

Deutschland wurde damit geködert, dass die EU den Greifswalder Wendelstein 7-X zu einem Drittel mitfinanziert. Spanien bekam die Behörde „Fusion for Energy“, China Unterstützung für ein Hybrid-Kraftwerk, in dem Atome erst fusioniert und dann gespalten werden. Die USA schließlich erhalten Förderung für ihre Laserfusionstechnik, mit der sie militärische Tests imitieren, weil im Pazifik keine Bombentests mehr erlaubt sind.

Das Ergebnis: Gigantische Mehrausgaben durch Ausgleichsgeschäfte, die noch nicht einmal im Iter-Budget auftauchen. Die Steuerzahler müssen dafür trotzdem aufkommen, sie merken es nur nicht.

Dass in diesem Gemeinschaftsprojekt alle ganz besonders auf sich selbst achten, hat noch mehr kuriose Folgen: Per Vertrag wurde festgelegt, dass alle Länder befähigt werden, alle Elemente des Reaktors bauen zu können – unabhängig von der technischen Vorbildung der Fachleute.

Wie soll Haange das bloß alles löschen?

So werden die 18 Toroidalfeldspulen (siehe Grafik, Seite 21) in sechs verschiedenen Ländern gefertigt. Die riesenhaften Spulen, die eines Tages aussehen wie haushohe, kupferfarbene Torbögen, sollen einmal das Plasma im Reaktorkern einschließen. Ohne sie läuft nichts.

Wenn die Spulen später, aus aller Welt kommend, in Südfrankreich zusammengeschraubt werden, kann schon eine Millimeterabweichung ausreichen, und der gesamte Reaktor funktioniert schlechter oder gar nicht mehr. Doch Toroidalfeldspule Nummer eins wird in Japan gebaut, Nummer zwei in Europa, Nummer drei in den USA. Das sei sicher nicht optimal, urteilen Fachleute.

Man fragt sich, wie Remmelt Haange das alles löschen soll – es brennt so viel. Nur nicht seine Sonne.

Niemand weiß genau, ob Kernfusion funktionieren kann. Wichtige technische Fragen sind nicht gelöst

EU-Staaten stehen vor dem Bankrott, es müssen Rettungsschirme gespannt, Staatshaushalte gerettet werden. Und trotzdem fließen weiter Milliarden in ein Projekt, das bisher nicht viel mehr als eine Idee ist. Rechtfertigt die Hoffnung von der Kernfusion all diese Investitionen, die Verstrickungen und Absurditäten? Oder muss man sich irgendwann vom Iter verabschieden?

Als der Streit über die fehlenden Haushaltsmittel im vergangenen Jahr eskalierte, ließ die EU-Kommission die Folgen eines Ausstiegs errechnen. Das Ergebnis: Allein durch Verträge mit Baufirmen und dem eigenen Personal wären für die EU im Fall eines Abbruchs knapp 4,5 Milliarden fällig.

Das erinnert an das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Als die Proteste eskalierten, präsentierte die Deutsche Bahn ein Gutachten. Der Ausstieg koste 1,5 Milliarden Euro. In Stuttgart wurde so eine besondere Atmosphäre geschaffen, eine Atmosphäre der Ausweglosigkeit.

So argumentiert auch das Papier der EU-Kommission: Diese Schätzung schließe „mögliche Schadenersatzklagen Dritter ein“ nicht ein, schreiben die Autoren, genauso wenig das bereits ausgegebene Geld von „mehr als einer weiteren Milliarde Euro“.

Die Zahl 4,5 Milliarden wird von den Fraktionen im Europäischen Parlament mittlerweile als unverrückbarer Fakt hingenommen. Von einem Gegengutachten ist nichts bekannt.

Selbst wenn die Bundesregierung die immensen Ausstiegskosten aber hinnehmen wollte: Es wäre ungeheuer kompliziert. Deutschland beteiligt sich nicht als Land an der Finanzierung des Iter, sondern über Beiträge an der EU-Unterorganisation Euratom. Damit Euratom aus dem Projekt aussteigt, müsste Deutschland Länder wie Frankreich und Spanien überzeugen. „Wenn das Ding in den USA stehen würde, könnten wir sagen, wir steigen aus“, klagt ein Insider. „Die Internationalisierung ist der letzte Trick der Fusionierer“, stellt Energieexperte Mycle Schneider fest.

Kein EU-Land will der Spielverderber sein

Der Spielverderber zu sein traut sich in der Staatengemeinschaften niemand. Dann lieber weiter Geld ausgeben.

Der Iter wirkt wie ein Monstertruck, der ohne Bremsen einen Berg hinunterrauscht. Aussteigen unmöglich.

Ans Steuer dieses Trucks haben sie jetzt Remmelt Haange gesetzt, der versuchen muss, doch noch eine Kurve zu kriegen.

Während draußen die Planierraupen über die Erde rollen, diskutiert er dann in seinem Verwaltungscontainer mit den Ingenieuren, die wieder einen Plan umwerfen wollen. „Die haben jeden Tag eine neue Idee“, sagt er. Er muss sie ihnen ausreden.

„Wenn das Ding in den USA stehen würde, könnten wir sagen, wir steigen aus“, klagt ein Insider

Alternativlos, sagt Angela Merkel, wenn sie etwas durchsetzen will. Basta, sagte Gerhard Schröder. Der Iter wurde von Anfang an als alternativloses Basta-Vorhaben vorgestellt.

„Den jungen Politikern wurde von den älteren klargemacht, dass es sich um ein langfristiges Projekt handle, an dem nichts geändert werden kann“, erinnert sich der SPD-Politiker René Röspel an seine ersten Sitzungen im Forschungsausschuss im Jahr 1998. Er wunderte sich damals über die astronomischen Summen bei der Kernfusion. Die Details der einzelnen Projekte zu verstehen, würde einen Abgeordneten und seine Mitarbeiter allerdings viele Nächte kosten.

Und wenn sich bei einem Projekt kaum jemand auskennt, es kaum Öffentlichkeit gibt und ein möglicher Ausstieg extrem teuer scheint, dann haben es die Lobbyisten leicht. Alle paar Wochen treffen sich die Vertreter der interessierten Wirtschaftskreise, dem Iter Industrie Forum, zusammen mit den Fusionsforschern und den Spitzenbeamten im Bonner Bundesministerium und besprechen die Lage. Dann werden zwischen Politik, Forschung und Wirtschaft in vertrauter Atmosphäre die aktuellen Fragen geklärt. Es ist ein geschlossener Kreis.

Während sie hinter verschlossenen Türen diskutieren, muss Remmelt Haange jetzt den Eindruck vermitteln, als könnte er die Sache in den Griff bekommen. In diesem Jahr muss der Haushalt durchs Parlament, vor allem in diesem einen Jahr müssen die Zahlen stehen. Sind die Mauern des Reaktors erst einmal hochgezogen, wird ein Abbruch noch unwahrscheinlicher.

Wenn man Haange fragt, was er machen würde, sollte der Iter doch teurer werden, sagt er deshalb: „Es gibt jetzt die Deckelung der Kosten, also halten wir sie ein. Basta!“ Kann Grundlagenforschung mit Deckelung funktionieren? „Nein“, sagt Haange. Aber nun muss sie eben. Auch wenn es gar nicht geht.

Da steht Remmelt Haange also an der Baugrube in Südfrankreich. Die Sonne auf dem Kopf, dem grauweißen Haarkranz, auf dem schwarzen Anzug.

Hat er manchmal Zweifel, dass der große Traum Wirklichkeit wird? „Nein, gar nicht“, sagt Haange.

„Wissen Sie, Fusion ist doch naturgegeben. Es gibt sie milliardenmal, milliardenmal“, wiederholt er. „Überall, auf der Sonne, auf jedem Stern gibt es sie.“

Er dreht sich um, er muss jetzt weg. Sein Büro hat angerufen. Es gibt wieder Ärger.

Gordon Repinski, 33, ist Parlamentskorrespondent der taz. Seine Recherche zum Iter hat die Otto-Brenner-Stiftung gefördert: Mit einer Recherche-Skizze gehörte der Autor zu den Gewinnern beim jährlich ausgeschriebenen „Otto Brenner Preis für kritischen Journalismus“. Das Projekt wurde vom Netzwerk Recherche unterstützt und begleitet. Infos: www.otto-brenner-preis.de