: Darf man seine Feinde töten?
GEWALT Weltweit wird der Tod Osama bin Ladens gefeiert. Menschen tanzten auf den Straßen, Bundeskanzlerin Angela Merkel freute sich und der UN-Sicherheitsrat begrüßte die Aktion
Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt. Immer Dienstagnachmittag. Wir wählen interessante Antworten von Leserinnen und Lesern aus und drucken sie in der sonntaz.
JA
Philip Murphy, 53, seit 2009 Botschafter der Vereinigten Staaten in BerlinDie Vereinigten Staaten sind ein Rechtsstaat. Wir sind verpflichtet, Gefangenen in unserem Gewahrsam ein ordentliches Gerichtsverfahren zu gewährleisten. Diejenigen, die die Tötung bin Ladens als eine von der Regierung sanktionierte Hinrichtung bezeichnen, machen einen gravierenden Denkfehler: Die rechtlichen Standards der Fürsorge und Rechtsstaatlichkeit gelten erst, wenn ein feindlicher Kombattant sich im Gewahrsam der Regierung oder der Streitkräfte befindet. Die Vereinigten Staaten verfügen über die Technologie, um ein Ziel zu treffen, ohne dass für unsere Truppen ein Risiko besteht. Der Präsident hat sich aber gegen den Einsatz dieser Option entschieden. Nach monatelanger Planung hat Präsident Obama eine kleine Gruppe Soldaten entsandt, die Osama bin Laden unter großem Risiko für ihr eigenes Leben gefangen nehmen sollten. Sie waren angewiesen, ihn nach Möglichkeit in Gewahrsam zu nehmen, wenn dadurch kein unverhältnismäßig großes Risiko für ihr Leben und ihre Sicherheit entsteht. Es sind noch nicht alle Fakten zusammengetragen, aber hätte bin Laden sich ergeben wollen, hätte er die bewaffneten Personen auf dem Gelände anweisen können, keinen Widerstand zu leisten. Diejenigen, die behaupten, dass Osama bin Laden „exekutiert“ wurde, frage ich: Hätte seine Gefangennahme den Tod eines einzigen Soldaten gerechtfertigt? Unser Präsident war nicht dieser Ansicht. Eine gezielte Tötung sieht anders aus.
Michael Wolffsohn, 63, Historiker an der Bundeswehr-Uni in MünchenJa, man darf, weil man leider manchmal muss – um noch mehr Menschen zu retten. „Feinde“, das bedeutet: Krieg. Töten ist das schreckliche, auch vom Völkerrecht unter strengen Auflagen geltende Gesetz des Krieges. Sofern ihr Krieg gerecht ist, ist auch das Töten der Tötenden gerecht. Der Krieg gegen den Terror ist, weil defensiv, gerecht. Er billigt das Schreckliche, um noch Schrecklicheres zu verhindern: die Massentötung unschuldiger Zivilisten. Der dabei gezielt Getötete ist, obwohl in Zivil, faktisch Soldat und muss mit seinem Tod rechnen. Soldaten töten auf Befehl, Terroristen aus eigenem Willen. Das macht sie zu Mördern. Unsere Gesetze verhängen gott(?)lob auch über Mörder keine Todesstrafe. Weil aber der Mörder Osama im selbstverschuldeten Krieg Feind war, durfte, ja, musste er getötet werden. Wenn schon Krieg, dann die von Obama gegen Osama (und von Israel gegenüber Terroristen) gewählte gezielte Tötung. Sie richtet sich allein gegen den Urheber des Krieges, um diesen letztlich zu beenden. Das Zivil des Feindes ist dabei eigentlich tabu. Wenn Krieg, dann so, also human. Die Kirchen verurteilen Osamas Tötung und berufen sich auf die Zehn Gebote. Kennen sie den Urtext „Du sollst nicht morden“? Das bedeutet: Du darfst in Ausnahmefällen töten.
Franz Schart, 49, aus Gelsenkirchen, kommentierte die sonntaz-Frage auf taz.de
Man muss den Osama natürlich vorher sanft fragen und ihm seine Rechte langsam vorlesen. Und dann ganz ruhig und sachlich mit ihm sprechen per Dolmetscher; versierte Psychologen und SozialarbeiterInnen sollten auch dabei sein und einige Wellness-Therapeuten. Außerdem eine politisch korrekt besetzte Ethikkommission.
Steven David, 59, Politikwissenschaftler, Johns-Hopkins-Universität, Baltimore
Die Vereinigten Staaten befinden sich in einem bewaffneten Konflikt mit al-Qaida, deshalb ist es rechtlich erlaubt, diejenigen ins Visier zu nehmen, die Amerika und seine Bündnispartner angreifen. Und genau so, wie es legal ist, seinen Feind im Krieg zu töten, ist es legal, einen Terrorführer zu töten. Im Falle bin Ladens ist die Tötung gerechtfertigt – als Vergeltung für den Tod Tausender Unschuldiger.
NEIN
Gernot Erler, 67, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion
Niemand darf seine Feinde töten, auch nicht die Weltmacht Amerika. Aber es gibt das Recht auf Selbstverteidigung. Einen Tag nach den Attacken von Washington und New York, die von bin Ladens al-Qaida verübt wurden und denen fast 3.000 Menschen zum Opfer fielen, hat der UN-Sicherheitsrat am 12. September 2001 die Terrorakte mit einem Angriffskrieg gleichgesetzt und billigte den USA das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung zu. Die Nato beschloss daraufhin erstmals den Bündnisfall. Eine weitere UNO-Resolution vom 28. September 2001 verpflichtete alle Staaten, im Kampf gegen den Terror zusammenzuarbeiten und Terroristen weder Unterschlupf zu gewähren noch ihre Aktivitäten zuzulassen. Washington kann sich bei seinem Vorgehen in Abbottabad auf diese Beschlüsse berufen. In Erklärungsnot steht eher Pakistan, das offensichtlich bin Laden Unterschlupf gewährte. Und eine Bundeskanzlerin, die ihre Freude über die gewaltsame Tötung eines Menschen äußert.
Corinna Ponto, 52,Tochter des früheren Dresdner-Bank-Chefs Jürgen PontoGezielte Tötung bei Notwehr oder Geiselnahme muss man wahrscheinlich vereinzelt zulassen. Hier, bei diesem so hochbrisanten politischen Chefterroristen, wäre eine dokumentierte Festnahme und ein Verfahren vor einem internationalen Gericht für mich respektabler gewesen. Sehr verstört haben mich die weltweiten Reaktionen auf den Tod Osama bin Ladens – sich freuen oder es als Vergeltung empfinden, dazu noch das Feiern am Ground Zero, finde ich falsch. Terrorismus ist eine asymmetrische Kriegsform, deshalb muss man vor allem mit Sprache den Gegnern den Spiegel vorhalten. Gerade ein Innehalten und das Suchen nach klugen Worten wäre am Ground Zero eine Chance gewesen – so stehen sich ähnliche Bilder von falschem Triumph gegenüber. Der Westen ist nicht im Krieg, sondern befindet sich in der asymmetrischen Kriegsform, deshalb müsste er sich mehr Mühe um starke Worte machen als um Waffengefechte.
Wolfgang Grenz, 64, stellvertretender Generalsekretär von Amnesty International Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte schützt das Recht auf Leben. Dieses Menschenrecht steht allen Menschen zu – Freund oder Feind. Das Völkerrecht und die internationalen Menschenrechte erlauben eine gezielte Tötung nur in wenigen Ausnahmen. Etwa, wenn sie das letzte Mittel ist, einen Menschen in Gefahr zu retten. Auch das Kriegsvölkerrecht erlaubt Tötungen nur in engem Rahmen. Die Parteien eines bewaffneten Konflikts dürfen gegnerische Kombattanten nicht-staatlicher Gruppen töten. Die USA beanspruchen für sich, einen weltweiten bewaffneten Konflikt gegen al-Qaida zu führen. Diese Auffassung sprengt den Rahmen des Kriegsvölkerrechts, das für territorial begrenzte Konflikte entworfen wurde. Die USA hatten also nicht das Recht, den unbewaffneten bin Laden auf der Stelle zu töten. Er hätte einem fairen Gerichtsverfahren zugeführt werden müssen.
Anna Goppel, 34, Philosophin an der Universität Zürich, Fachgebiet EthikWenn nach einer moralischen Erlaubnis gefragt ist, lautet die Antwort „nein“. Dies gilt in Kriegs- wie in Friedenszeiten. Denn auch in Kriegen, in denen Töten grundsätzlich gerechtfertigt ist, dürfen nicht alle Menschen getötet werden, die als Feinde bezeichnet werden. Es kann ethisch nur erlaubt sein, die zu töten, die sich an Feindseligkeiten beteiligen. Dann muss ihre Tötung aber militärisch notwendig sein. Auch außerhalb von Kriegen ist der Begriff „Feind“ nicht hilfreich, um die, die getötet werden dürfen, zu identifizieren. Man darf nur Angreifer töten – und nur in Notwehr oder Nothilfe.