Dialoge und Digitales

Schriften zu Zeitschriften: Die jüngste Ausgabe von „kolik.film“ aus Wien pflegt das Gespräch

Aus flüchtigen Gebilden „eines zu machen, das fest ist und dauert“ – so hat Virginia Woolf vor knapp achtzig Jahren ihre Vorstellung von der Kritikertätigkeit formuliert. Leider ist ein derartiger Anspruch im auf Aktualität bedachten journalistischen Tagesgeschäft im Normalfall nur selten einlösbar. Die halbjährlich publizierte österreichische Zeitschrift kolik.film, deren siebte Ausgabe soeben erschienen ist, bietet Autoren seit März 2004 ein Forum, damit sie ausgiebig und facettenreich über Entwicklungen und Tendenzen im Kino reflektieren. War der Fokus der ersten Ausgabe noch auf die österreichische Filmlandschaft gerichtet, so hat sich die Perspektive im Verlauf der letzten drei Jahre erweitert und globaleren Themen zugewandt.

In einem Dossier wird in der aktuelle Ausgabe von kolik.film die Frage nach der Bedeutung von Digitalvideo im Gegenwartskino ausgelotet. In diesem Zusammenhang stellen Marc Ries und Dennis Lim Überlegungen zum High-Definition-Kino eines Michael Mann und zu David Lynchs auf einem Sony Camcorder aufgenommenem, radikal subjektivem Experimentalfilm „Inland Empire“ an. Beide Arten des Filmemachens – auf der einen Seite Manns hochauflösender Ästhetizismus, auf der anderen Lynchs grobpixelige, enigmatische Bilderwelten – stehen zwar an verschiedenen Enden der Skala des technisch Machbaren, sind jedoch gleichzeitig in ihrer Digitalität miteinander verbunden.

Die Frage, die beide Essays als Leitmotiv durchzieht, lautet: Wird es zu einer mimetischen Annäherung der digitalen an die fotografische Ästhetik kommen? Oder werden die elektronischen Aufnahmen letztlich zu einem visuellen Paradigmenwechsel führen? Dabei umkreisen beide Autoren das Thema, ohne die Frage abschließend zu beantworten: Während Ries in seinem Text zu einer Phänomenologie der digitalen Aufzeichnungsmethode vordringen möchte, nähert sich Lim Lynchs Film eher soziologisch, indem er sich den Entstehungsbedingungen widmet.

Interessant ist die in kolik.film praktizierte Idee, mehrere Kritiker gemeinsam ins Kino zu schicken und ihre vor und nach den Vorführungen stattfindenden Gespräche zu protokollieren. Den Anfang machte in der zweiten Ausgabe „Ein Tag im CinemaxX“, im aktuellen Heft folgt nun „Ein Tag im Arthouse“. Besonders angenehm an dieser dialogischen Form der Kritik ist, dass in ihr die Subjektivität der Urteilenden durchscheint. Argumente werden frei diskutiert; indirekt wird dabei der Pluralismus ästhetischer Wahrnehmungen thematisiert. So kann sich Filmkritik als sich potenziell ins Unendliche fortspinnender Dialog artikulieren – was so ziemlich das Gegenteil ist von der Vorstellung eines Rezensenten, der seinen Text im stillen Kämmerlein hermetisch gegen eventuelle Einsprüche abzudichten versucht.

Überhaupt zieht sich diese erfreulich offene Gestalt des Gesprächs durch das gesamte Heft. So diskutieren der Historiker Siegfried Mattl, der Kulturwissenschaftler Roman Horak und der Schriftsteller Robert Menasse über den Dokumentarfilm „Keine Insel – Die Palmers-Entführung 1977“ und reflektieren dabei gleichzeitig ihre Erinnerungen an das in der Dokumentation verhandelte Thema des österreichischen Linksterrorismus der Siebzigerjahre. Da der Film als Plattform für weiterreichende Überlegungen dient, ist es für den Leser schon beinahe unerheblich, ob er ihn tatsächlich gesehen hat oder nicht.

Eine noch direktere Art der Filmkritik und -vermittlung, als sie in kolik.film betrieben wird, hat der amerikanische Theoretiker Vachel Lindsay in seinem Buch „The Art of the Moving Picture“ vorgeschlagen. Darin regt Lindsay Kinogänger dazu an, bereits während der Vorstellung über das Gesehene zu diskutieren. Allerdings stammt sein Vorschlag aus dem Jahr 1915 und somit aus der Stummfilmära, weshalb zu befürchten ist, dass ein derartiges Vorgehen bei heutigen Kinobesuchern wenig Gegenliebe finden dürfte.

ANDREAS RESCH

Von heute an ist „kolik.film“ mit Lieblingsfilmen und Gesprächsrunden zu Gast im Berliner Arsenal-Kino. -Programm unter www.fdk-berlin.de