Raketen treiben Union

Koalition streitet über US-Abwehrschild. Union würde Raketen sogar in Deutschland stationieren. SPD dagegen

„Vor allem in der CSU scheinen weite Teile erstarrt in der Tradition des Kalten Krieges“

BERLIN taz ■ Die jüngsten Provokationen aus Teheran haben in der großen Koalition die Debatte über das geplante US-Raketenabwehrsystem neu entfacht. Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad hatte verkündet, sein Land gehöre von nun an zu den Atommächten dieser Welt.

Unionspolitiker forderten daraufhin eine wirksame Abwehrstrategie für Deutschland. Ihrer Meinung nach muss die Bedrohung durch iranische Atomraketen eine größere Rolle spielen, wenn über den geplanten US-Abwehrschirm diskutiert wird. Die Rede ist von einem System zur Abwehr von Langstreckenraketen. Die USA hegen solche Wünsche schon seit der Ära Reagan. Jetzt gibt es konkrete Pläne, den Raketenschirm in Polen oder Tschechien aufzubauen. Alternativ oder ergänzend dazu denkt die Nato über ein eigenes Schutzsystem nach. Die Distanz Teheran – Berlin beträgt 3.500 Kilometer und wäre nur von Langstreckenraketen zu schaffen.

Am weitesten geht der CSU-Außenpolitiker Eduard Lintner: „Der US-Abwehrschirm muss über ganz Europa ausgedehnt werden. Dabei müssen wir notfalls auch bereit sein, Raketen in Deutschland aufzustellen.“ Der CDU-Außenexperte Ruprecht Polenz sagte, „in der Nato sollten wir ein Interesse daran haben, gemeinsam ein Schutzschild zu entwickeln“. Eckhart von Klaeden, außenpolitischer Sprecher der Union, forderte, Deutschland solle die eigenen Sicherheitsinteressen in den Vordergrund stellen und zu einem vernünftigen Schutz kommen. Auch er betont, dass ein Raketenabwehrsystem im Rahmen der Nato installiert werden müsse.

Ganz anderer Meinung ist man in der SPD-Fraktion: „Ein Abwehrsystem gegen Langstreckenraketen hat für uns keine Priorität und sollte auch für die Nato keine Priorität haben“, sagte der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, Rainer Arnold, der taz. Es gebe nach wie vor keine Indikatoren, dass der Iran über Langstreckenraketen und Atomsprengköpfe verfügt. „Wir sollten uns nicht einreden lassen, dass der Iran Krieg gegen Europa führen will“, so Arnold. Wer zum jetzigen Zeitpunkt ein solches System fordere, gefährde die Geschlossenheit der Nato und müsse im Übrigen erklären, wo das nötige Geld herkommen soll. Groben Schätzungen zufolge könnte das Projekt um die 50 Milliarden Dollar kosten.

Ähnlich äußerte sich der SPD-Außenpolitiker Niels Annen: „Mit ihrer Forderung setzt die Union ein Scheitern der diplomatischen Beziehungen voraus. Das ist weder zutreffend noch hilfreich“, so Annen zur taz. „Vor allem in der CSU scheinen weite Teile immer noch militaristisch geprägt und in der Tradition des Kalten Krieges erstarrt zu sein.“

Die Bundesregierung selbst will von einem Koalitionsstreit nichts wissen. Regierungssprecher Ulrich Wilhelm verwies gestern stattdessen auf „die Diskussion innerhalb der Nato“ und deren Zusammenarbeit mit Russland. Russland fühlt sich brüskiert von der Zustimmung Polens und Tschechiens, die Stationierung von Abwehrraketen auf ihrem Terrain zu genehmigen.

Zwar hat die Bundesregierung für sich offenbar noch keinen klaren Standpunkt gefunden, doch will sie in jedem Fall darauf hinwirken, dass ein Abwehrschild, wenn überhaupt, im Rahmen der Nato gebaut wird – und nicht als US-Projekt innerhalb einer Koalition der Willigen. Eine Machbarkeitsstudie der Nato ist in Arbeit und soll im Sommer vorliegen. KATHARINA KOUFEN