: „Ich finde seine Sachen absolut scharf“
Wilhelm Busch zwischen Hauspostille und Horror-Comic: Der Bremer Kabarettist Pago Balke, Busch-Exeget und Veranstalter einer großen Geburtstagsgala, über seinen Lieblingsdichter. Der perfektionierte die Maxime: „Eine Geschichte ist erst nach ihrer schlimmstmöglichen Wende zu Ende“
Am 15. April vor 175 Jahren kam Wilhelm Busch in Wiedensahl (westlich von Hannover) zur Welt. In seinem Geburtshaus gibt’s am Sonntag einen „Tusch auf Busch“, die Bremer Gala hingegen besticht durch ihre ästhetische Vielfalt: Neben der Berliner Brecht-Sängerin Gisela May treten unter anderem Falko Weerts mit „Busch op platt“ auf, das Düsseldorfer Marionettentheater und die MaskenspielerInnen von Twist-A-Gang. Selbst die klassischen Spitzenensembles beteiligen sich: MusikerInnen der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen spielen unter anderem eine Ouvertüre von Georg Kremplsetzer aus der Busch-Operette „Der Vetter auf Besuch“, das Alsfelder Vokalensemble von Domkantor Wolfgang Helbich tritt mit einer Max&Moritz-Kantate auf. Auch die zeitgenössischen Komponisten Wilfried Hiller und Bernd Alois Zimmermann haben Busch vertont und sind damit dieses Wochenende in der Bremer „Glocke“ zu hören. Gesamtprogramm und Vorverkauf: ☎ 0421/36 36 36. HB
INTERVIEW: HENNING BLEYL
taz: Herr Balke, was begeistert Sie an Wilhelm Busch?
Pago Balke: Ich finde seine Sachen absolut scharf. Wie er mit ein paar Strichen eine feiste Visage hinsetzt und diese heftige Ironie und Schadenfreude, mit der er seine Figuren dann durchs Leben jagt – das ist genial. Früher dachte ich: Das heb’ ich mir auf, bis ich Schauspiel-Rentner bin. Aber eigentlich ist Busch kein bisschen altbacken.
Das typische Busch-Publikum ist tendenziell schon etwas älter.
Klar – Busch kommt ja auch aus dem Biedermeier. Aber seine Figuren sind eben gnadenlos bieder. Er nimmt das ganze schwülstige Gehabe seiner Zeit aufs Korn und bringt ihre Schwächen in aller Heftigkeit auf den Punkt. Er folgt dabei konsequent der Dürrenmatt’schen Maxime: Eine Geschichte ist erst dann zu Ende erzählt, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat. Bei Busch heißt das: Alles geht kaputt, das Geschirr liegt am Boden, ein perfektes Desaster.
Da ist im Prinzip der Dick & Doof-Effekt, oder?
Sicher – Busch arbeitet genauso effektiv mit der Schadenfreude des Publikums. Das hat einen gewissen Hauspostillen-Charakter, obwohl es sich eigentlich um Horror-Comics handelt. „Das Schlüsseloch wird leicht vermisst, wenn man es sucht, wo es nicht ist“: Das kann man immer schön zitieren. Aber die Bilder dazu sind brutal. Der Betrunkene erfriert vor seiner Haustür.
Also: Ist Busch ein früher Vertreter des Splatter oder die Ehrenrettung des norddeutschen Humors? Der ist ja sonst eher von Klaus & Klaus-geprägt.
Bei Busch passiert wenig unter der Gürtellinie, aber trotzdem eine ganze Menge – es sterben ja immer alle so schön. Wir spielen unser Programm „Gnadenlose Heiterkeit“ seit zwei Jahren im norddeutschen Raum, auch auf ländlichen Lustbarkeiten: Das funktioniert sehr gut. Busch war sowieso eher ein Landmensch. Um seine Komik zu genießen, darf man nicht nur feinsinnig sein.
Immerhin hat die Neue Frankfurter Schule Busch zu Ihrem Ahnherrn erklärt. Das ist doch sowas wie ein intellektueller Adelsschlag für die Reimkunst.
Den hat er auch verdient. Allerdings habe ich Busch auch deswegen ein paar Jahre vor mir hergeschoben, weil er ein paar antisemitische Sachen gemacht hat. Da gibt es zum Beispiel die Figur des Schmulchen Schievelbein: „Schöner ist doch unserein’.“ Und dann sieht man ihn da mit Hakennase und so weiter. Rein mengenmäßig ist das nicht viel, die Katholikenschelte nimmt fast ein Fünftel seines Gesamtwerks ein. Aber das nehme ich ihm natürlich übel.
Wie war die Busch-Rezeption im „Dritten Reich“?
Die Nazis mochten ihn durchaus, vor allem wegen dieser heftigen Kirchenkritik. Außerdem war er ja schon vorher, sozusagen als Teil der deutschen Familiengemütlichkeit, sehr populär. Das wurde gern eingemeindet.
Er hat also nichts in sich Widerständiges?
Er ist halt nicht explizit politisch, unter anderen hat er auch das Militär nicht karikiert. Es geht ihm um die Helden des Alltags – zum Beispiel ist er immer Junggeselle geblieben und hat mit Vorliebe über „Eheliche Ergötzlichkeiten“ gelästert. Insgesamt haben die Pointen nicht wirklich etwas mit Moral zu tun, sondern mit Schadenfreude.
Busch gilt als der meistgelesene deutsche Dichter, derzeit ist er vermutlich auch der meistgespielte. Sie treten jetzt nicht nur als Rezitator auf, sondern veranstalten ein großes Busch-Festival. Ist Busch für Sie Mission oder eine Geschäftsidee?
Ich identifiziere mich schon weitgehend mit ihm, insofern natürlich beides – nur, das Letzteres leider nicht klappt. Das Besondere ist aber in der Tat, dass Busch dieses Jahr Geburtstag hat und gleich anschließend, 2008, der 100. Todestag begangen wird.
PAGO BALKE, geboren 1954, ist Kabarettist und Regisseur. Mit Nicolai Thein spielt er „Gnadenlose Heiterkeit“.
Vor allem Hannover geriert sich jetzt als Busch-Stadt. Zu Recht?
Die Städte hat Busch eher gemieden. Aber in Bremen spielt immerhin die Geschichte von Fips dem Affen, der zum Frisör geht. Ansonsten hat sich Busch viel in Bremervörde und Bassum aufgehalten, wo er Verwandte hatte. Viele Vorbilder seiner Figuren stammen aus dieser Gegend. In Wildeshausen zum Beispiel habe ich eine Nachfahrin der Witwe Bolte kennen gelernt.
Warum vermeiden Sie bei Ihren Auftritten Max und Moritz?
Busch bietet ein so reichhaltiges Figuren-Repertoire, da braucht man nicht mit den Hits hausieren gehen. „Max und Moritz“ haben wir weiträumig umschifft, weil es zwar die berühmteste, aber bei weitem nicht die Genialste seiner Geschichten ist. Außerdem ist sie später von der Struwwelpeter-Pädagogik missbraucht worden.