: Kunst als Komplexitätsreduktion
POLITIK Wenn Kunst zur Message wird und plumper Antiamerikanismus herauskommt: Dennis Graefs Ausstellung „Overglazed Aloha“
VON RADEK KROLCZYK
Die Ausstellung „Overglazed Aloha“ des Braunschweiger Künstlers Dennis Graef kommt einem Parcours US-amerikanischer Motive und Symbole gleich. Im Wolfsburger Kunstverein, wo er derzeit ausstellt, ist an einer Wand das Konterfei von Barack Obama zu sehen. An anderer Stelle sind Baseballschläger in den Farben der Stars & Stripes und allerlei Erinnerungen an den Vietnamkrieg platziert. Selbst das Ausstellungsplakat zeigt eine stilisierte US-Fahne.
Woher das Interesse für die USA? Die USA seien die größte Kapitalmacht und betrieben die aktivste Produktion an Propagandabildern. Daneben empfinde er die amerikanische Militärpolitik als unglaublich gefährlich, sagt Graef. Gerade der Einsatz von unbenannten Drohnen offenbare die Omnipotenz der USA, so Graef weiter. Bei so viel politischem Wollen fragt man sich: Wo bleibt die Kunst? Was bleibt vom ästhetischen Material? Das ist bei Graef dann doch stärker als der Überbau. Doch dazu später.
Zunächst stellt sich die Frage: Warum spricht man immer von Amerika, wenn man vorgibt, über Krieg und Kapitalismus sprechen zu wollen? Ausbeutung und kriegerische Gewalt sind gewissermaßen allgegenwärtig. Chinesische Sweatshops und deutscher Waffenhandel sind keine Marginalien. Sie sind Ausdruck eines universal geltenden Marktprinzips. Aber immer wieder trifft man auf dieses falsche Synonym. Denn es ist beliebt: Von Linkspartei bis NPD wird über eine kriegslustige Weltmacht USA geschimpft. Selbstverständlich tut man das auch in der Kultur.
Wobei es in der bildenden Kunst ganz besonders interessant wird, denn hier haben Artefakte wie die oben erwähnten Baseballschläger und das Präsidentenbildnis in besonderer Weise einen Platz. Solcherart Vergegenständlichung abstrakter Prinzipien hat Tradition. Jede Naturreligion brauchte eine Verkörperung ihrer Geister und Dämonen, auf die man einwirken, die man besänftigen konnte. Diese Verkörperung soll helfen, schwer verständliche und abstrakte Mechanismen verständlich und anschaulich zu machen. Was vermeintlich verständlich und anschaulich ist, verliert sein Grauen. Ein Bild für Ausbeutung und Gewalt nimmt ein wenig die Furcht. Der Schrecken wird lokalisierbar. Beinahe scheint es so, als würden Ausbeutung und Gewalt dadurch gebändigt. Mag sein, dass es sich besser anfühlt. Die Situation bleibt unverändert, sie bleibt unverstanden.
Um Artefakte geht es bei Graef auch. Kunst und Religion sind durchaus mit einander verwandt. In einem hell erleuchteten Saal prangt an einem gelbgestrichenen Bauzaun das besagte Obama-Porträt. Eine poppige Ikone, vielleicht das Schablonenbild eines Streetartaktivisten. Daneben steht aus bunten Brettern zusammengenagelt das Wort ALOHA. Die hawaiianische Grußformel soll sie auf die Herkunft des Präsidenten verweisen.
Vor dieser Bretterwand hat Graef allerlei farbige Holzkisten aufgetürmt. Man weiß nichts über ihren Inhalt. Auf manchen steht ein Zahlenkürzel für die berüchtigten Booby Traps, die von der US-amerikanischen Armee im Vietnam eingesetzt wurden – als Lebensmittelkisten getarnte Sprengfallen. Aus einer der Kisten hängt an einer Sprungfeder ein Strauß aus Kunststoffblumen. Ein vergleichsweise harmloser „Jack in the Box“. Gleich daneben sieht man eine Pflanze aus blau-weiß-rot-lackierten Baseballschlägern. Graef spielt mit dem Fake: Mordinstrumente entpuppen sich als Spielzeug und umgekehrt.
Vor einigen Jahren spielte er das Spiel schon mal auf ähnliche Weise. 2011 zeigte er in Braunschweig einige selbstgebastelte Sprengsätze – aus buntem Schaumstoff und Papprollen. Damals war der internationale Terrorismus sein Thema.
Interessant wird es bei Graef da, wo er mit Klang arbeitet. Er begreift sich weniger als Komponist denn als Soundkonstrukteur: „Ich baue Klänge so, wie man Plastiken baut“, sagt er.
Gegenüber dem hell und bunt strahlenden Obama steht im Dunkeln eine Hundehütte. Geräumig, aus Holzlatten, mit Dachpappe gedeckt. Aus ihr dringt die Stimme des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton. Es ist eine Aufnahme aus den Vernehmungen zur Lewinsky-Affäre.
Mantraartig wiederholt die Stimme immer wieder dieselben Sätze: „Ich denke, ich tat es aus dem schlechtmöglichsten Grund: weil ich es konnte.“ Die Stimme erinnert an das Winseln eines Hundes. Es ist eine Schuldgeste, wie man sie von einem Präsidenten kaum erwartet hätte. Und doch für einen Präsidenten ganz unpässlich. „To be in a Doghouse“ – in Ungnade fallen – heißt die Installation.
Dass ist eigentlich sogar ganz lustig. Dass George W. Bush in der Ausstellung ganz fehlt, ist natürlich sehr gut. Sonst hätte man wohlmöglich gedacht, sich in ein Attack-Büro verirrt zu haben.
■ Noch bis 9.11. 2014, Kunstverein Wolfsburg