: Muttis Rockzipfel ist zu kurz
Mag auch für Ursula von der Leyen die Mutter immer noch die heißeste Sonne sein – moderne Kinder drehen sich längst auch um andere Planeten: Sie brauchen Kitas, Krippen und Ganztagsschulen, denn eine einzige aufopfernde Mutter kann ihre Bedürfnisse nicht mehr befriedigen
VON KATHARINA RUTSCHKY
Niemand hat wohl erwartet, dass eine genuin konservative Frauen- und Familienpolitikerin wie Ursula von der Leyen in manchen Ecken noch einen solchen Buhei auszulösen vermag: Sollen im Zeichen ihres „konservativen Feminismus“ das neue Elterngeld (vorwiegend ja Muttergeld) und viele neue Krippenplätze nicht vor allem die Kinderwünsche berufstätiger, gut verdienender Frauen stimulieren?
Die erste Hypothese der neokonservativen Familien- und Frauenpolitik lautet, dass es massiver, auch unkonventioneller Anreize bedarf, diese Wünsche aus dem Schlummer zu wecken. Um so endlich der angeblichen nationalen Armut an Kindern abzuhelfen. Auch heute noch kann man Konservative am Grübeln über Volksgröße und Geburtenraten zweifelsfrei erkennen, und daran sollte sich erinnern, wer jetzt versucht ist, von der Leyen angesichts ihrer vollends hinterwäldlerischen Feinde beizuspringen.
„Konservativer Feminismus“
Zu ihrem „konservativen Feminismus“ gehört noch eine zweite Hypothese, die auch in anderen Parteien verträumte Anhänger hat. Sie lautet, und man stützt sich dabei oft auf Befragungen junger Frauen (und Männer) vor der Familiengründung, dass so gut wie alle Frauen „eigentlich“ ein, zwei, drei Kinder haben wollen – wenn sie nur dürften, wie sie könnten, die Rahmenbedingungen stimmten und die Gesellschaft nicht so „kinderfeindlich“ wäre. Kein Wunder, dass diese Fehleinschätzung modernen Frauenlebens weiter rechts ein dumpfes Echo findet: Unter Berufung auf Hormone, Gene oder auch Hirnregionen für Nestpflege wird die altbekannte weibliche „Bestimmung“ restauriert.
Auch wenn dies die Ministerin nicht verdient hat, so muss man doch heute schon bezweifeln, ob ihre Strategie vernünftiger Überredung bei mehr Frauen als bisher zum Kind, vor allem zum Zweit- oder Drittkind führen wird. Gewiss werden Frauen das Elterngeld im ersten Babyjahr gern mitnehmen, gewiss ein paar Väter mehr wenigstens acht Wochen lang die Mühen der Ebene erkunden und beide eine Vermehrung der Krippenplätze begrüßen, die ihnen die jahrelange Last des privaten Improvisierens abnimmt. Wenn nun aber intensiv über nichts als Bedarfsquoten, die Finanzierungsmöglichkeiten der Betreuungsangebote und zu allem Überfluss über Bund-Länder-Zuständigkeiten und Ost-West-Disparitäten gestritten wird, dann turnt dieser Polittalk bestimmt keine Frau zum Überschwang mehrfacher Reproduktion an. Egal wie am Ende entschieden wird.
Es ist überhaupt ein Merkmal der von den Konservativen angeheizten Debatte über die „demografische Katastrophe“ und ihre Ursachen, dass sie mit ihren moralischen Aufrüstungsappellen nur Angst- und Unlustgefühle nährt. Wo bleibt das Positive? Von der Leyens Konservatismus ist unkonventionellen Methoden zwar aufgeschlossen, verfolgt dabei aber streng alte Werte. Über Analysen, aus denen endlich einmal Ideen resultieren, die, wenn schon nicht begeistern, dann doch interessieren könnten, verfügt sie nicht. Wie verteidigt von der Leyen zum Beispiel berufstätige „Rabenmütter“, die ihre Kinder jetzt schon in der Kita, demnächst auch noch massenhaft in der Krippe abliefern dürfen, gegen deren eigene Selbstzweifel und die Kritik aus dem konservativen, kirchlichen bis rechten Lager? Mit einer irrwitzigen Mischung aus Anleihen beim neoliberalen Glauben an Personalmanagement und Evaluierung mit konservativer Moralpredigt: Es käme nicht auf die Zeit an, beruhigt die Ministerin, die man mit seinen Kindern verbringt, sondern auf die Qualität, mit der eine gute Mutter – hier sind sieben Ausrufe- und Fragezeichen angebracht – die knappe zu nutzen weiß. „Quality time“ sei es, die allein zählt.
Das neokonservative Mutterkonzept von der Leyens passt zu dem Rationalisierungsdruck, der seit einigen Jahren alle therapeutisch-pädagogischen Arbeitsfelder nicht zum Besseren verändert hat. Zur Mutter ist die Frau zwar bestimmt – gleichzeitig soll sie diesen Zustand aber auch effektiv gestalten, womöglich irgendwann einmal noch so beweis- und dokumentationsfähig machen wie eine Sozialarbeiterin! Nicht umsonst wird ja immer wieder zur Aufwertung der Hausfrauenarbeit behauptet, dass Frauen hier wie nirgends das Organisieren komplexer Abläufe lernen, praktizieren und beherrschen. Warum „quality time“ dann aber nur daheim verbracht und das Konzept nicht – wenn schon, denn schon – auch in Krippe, Kita und Schule Pflicht werden muss, wo die Kinder ja den größten Teil ihrer Zeit verbringen, diese Frage übergeht von der Leyen. Dieses Schweigen erklärt man sich wohl richtig mit der Bedeutungslosigkeit der Frauen-, Kinder- und Bildungspolitik. Ihre mediale Präsenz samt der einer Ministerin mit sieben Kindern hoch oben auf der Promi-Liste spricht nur für ein Erregungs-, nicht jedoch für ein Politikpotenzial.
So wenig wie andere, die als Konservatismus immer noch bloß ihren Affekt gegen „68“ ausmünzen, hat von der Leyen Kenntnis von der kopernikanischen Wende in Frauen- und Kinderverhältnissen genommen. Lastet man die Pisa-Ergebnisse nicht der Kuschelpädagogik jener alten Pädagogen an, die viel zu wenig Leistung gefordert und stattdessen immer zu viel Verständnis aufgebracht haben? Ist nicht immer wieder von ideologischen Verirrungen bildungs-, familien- und frauenpolitischer Art der „68er“ die Rede, solchen, mit denen der Realismus der Neokonservativen natürlich endlich aufzuräumen verspricht?
Mit ihrem Votum fürs Elterngeld und vermehrte Betreuungsangebote für unter Dreijährige hat sich die Ministerin Feinde im eigenen Lager erworben und anderswo überraschend neue Freunde gefunden. Was folgt aber für von der Leyen daraus, wenn die Mutter zwar die heißeste Sonne, aber nicht mehr die einzige ist, um die sich die modernen Kinder drehen? Wie umgekehrt auch Mütter kinderferne Interessen mit einer Leidenschaft verfolgen, die den Investitionen des Nachwuchses in die Peergroup des Sandkastens, der Kita, der Grundschulklasse in nichts nachstehen. Mütter wollen eigenes Geld verdienen, nicht auf Gnade und Ungnade dem väterlichen Ernährer ausgeliefert sein. Berufsarbeit gibt vielen Müttern eine Befriedigung, die sie als Hausfrauen und Mütter niemals finden. Außerdem vermehrt sich die Zahl der Frauen rapide, die die Verlockungen des Ehrgeizes, des Geldes und des Exhibitionismus besser nachvollziehen können als das moralische Selbstopfer, das den weiblichen Sozialcharakter so lange bestimmt hat. Warum brauchen wir also Krippen, Kitas und Ganztagsschulen?
Du machst es anders!
1. Viele Frauen wollen Kinder kriegen, eine Familie haben, aber – legt man ihnen keine moralischen Daumenschrauben an – keine Lust, ihre Berufsarbeit länger als nötig mit der Kinderpflege zu vertauschen. Sie ist, bei aller Liebe zum Kind, vielen langweilig und nur mit moralischen Pressionen durchzuhalten. Altachtundsechzigerinnen, besonders die aufmerksamen Töchter, wissen von unglücklichen Müttern zu berichten, die Liebe, Sexualität und Ehe verfluchten und ihnen die Botschaft auf den Weg gaben: Du machst es anders!
2. Meistens lieben Mütter ihre Kinder – aber längst nicht alle verfügen über die Talente, sich mit ihnen spielend, bildend und kulturstiftend zu beschäftigen. (Für Väter gilt dasselbe, nur in höherem Maß.) Leute, die dafür ausgebildet, extra motiviert und bezahlt werden, können das besser.
3. Es wäre falsch, Kinderbetreuung und Familienarbeit, deren sich Frauen bis in die jüngste Zeit nicht entziehen konnten, nun, quasi aus Rachsucht, auch noch Männern aufzutragen. Sollen die Männer auch mal Scheiße schippen, denkt die Feministin – dass den Kindern aber mit unwilligen Vätern so wenig gedient ist wie seinerzeit mit Frauen, die zu Müttern versklavt wurden, gibt die Kinderpsychologin zu bedenken. Wenn Väter acht Wochen lang ihr Baby pflegen, wie es das Elterngeld vorsieht, so lernen sie da gewiss eine Menge, und ihre Sicht aufs Leben, nicht zuletzt die Frauen- und Familienpolitik, wird sich zum Klugen verändern. Andererseits haben die allermeisten Männer jede Weisheit, jede Einsicht, jede Erfahrung, die die Kinderpflege mit sich bringt, nach acht Wochen genauso intus wie die Frauen, die sich mangels Krippenplätzen und anderer Umstände ihren Kleinkindern so viel länger zur Verfügung gestellt haben. Man sollte jetzt Männer nicht zu etwas zwingen, von dem der Feminismus die Frauen befreit hat.
4. Unsere Gesellschaft ist eine von Experten und Professionals. Krippen, Kitas und Ganztagsschulen brauchen wir nicht nur, weil Kinder aus sozial schwachen Familien oder solchen mit Migrationshintergrund Nachhilfe und Unterstützung dringend benötigen. In einer ausdifferenzierten, arbeitsteiligen Gesellschaft sind Experten und Professionals auch für alle anderen unersetzlich. Öffentliche Erziehung war einmal ein Projekt der Linken, das sich gegen den faschistoiden Charakter der kleinbürgerlichen Familie richtete. Heute legitimiert sie sich durch den Nutzen differenzierter Aufgabenverteilung an Profis. Mütter profilieren sich als Moderatoren der Kinderentwicklung und demokratisch berufene Kontrolleure der Institutionen, in denen Kinder leben.
Die dummen drei Monate
5. Krippen, Kitas und Ganztagsschulen werden nicht nur benötigt, weil Mütter arbeiten wollen, wohl gar, weil die Wirtschaft auf Frauen als Arbeitskräfte nicht verzichten kann oder manche Familien defizitär sind. Der wichtigste Grund lautet: Kinder sind heute anders.Wie lange ist es her, dass man von den dummen drei Monaten und dem Dreimonatslächeln des Säuglings sprach, den man nur in Weiß kleidete und in reizarmer Umgebung stillstellte? Mit der Registrierung von Wünschen, Gefühlen und Rechten schon kleinster Kinder steigern sich die Ansprüche an die Betreuung. Rund um die Uhr kann keine Mutter sie mehr befriedigen.
6. Kinder wollen alles: Natürlich Mama und Papa, dazu die Peergroup in der Schule und die Freundschaften – immer früher auch schon Liebschaften drumherum. Man hat es heute mit Kindern zu tun, die nicht eingeschüchtert und deshalb äußerst anspruchsvoll sind. Schon deshalb können sie mit einer Beziehungsperson und knappen Verwandtschaftsverhältnissen nicht auskommen. Eine sich aufopfernde Vollzeit-Mutter ist heute völlig fehl am Platz. Krippen, Kitas und Ganztagsschulen werden von Kindern vor allem deshalb gebraucht, weil sie sonst nicht auf ihre Kosten kommen. Kinder in der Krippe entbehren nichts – sie kriegen was.
7. Dass Frauen sich befreit haben, ist das eine, dass Kinder sich verändert haben, das zweite Wunder der deutschen Zivilisation, zu der „68“ so viel beigetragen hat. Sind die Kinder heute nicht allesamt hübscher anzuschauen oder wenigstens sorgfältiger angezogen als vor Jahren? Sie sind aber auch klassenübergreifend angstloser, sprachgewandter und witziger, als wir es je waren – Pisa hin oder her! Aus den pädagogischen Institutionen ist außerdem jeder autoritäre Geist geschwunden. Gute Voraussetzungen für eine gescheite Bildungs- und Familienpolitik, sollte man meinen.