Foltern mit Willen zum Stil

SCHAUPLATZ MEXIKO Manchmal durchschaut man im Kino eine Manipulation und kann trotzdem nicht anders, als sich manipulieren zu lassen: „Heli“ von Amat Escalante

Das Herzstück von „Heli“ ist eine Szene, in der zwei Männer ausführlich von staatlich besoldeten Mördern malträtiert werden

VON LUKAS FOERSTER

Am Anfang eine Großaufnahme: ein blutverschmierter Kopf, der von einem Stiefel zu Boden gedrückt wird. Ein Schwenk offenbart, dass sich Kopf und Stiefel auf der Ladefläche eines Pickup-Trucks befinden, der durch ein mexikanisches Provinzkaff fährt. Kurz danach wird ein Mann – allerdings nicht der, dem der Kopf aus der ersten Einstellung gehört – an einer Brücke aufgeknüpft, die Kamera filmt den leblos in der Luft hängenden Körper aus der Perspektive des davonfahrenden Lastwagens. Derart mechanisierte, entkörperlichte, beiläufig registrierende Blicke werden öfters auftauchen in „Heli“, dem dritten Spielfilm des jungen Regisseurs Amat Escalante.

Wem der Kopf gehört

Ein Film, der mit einer derart brutalen Szene beginnt, wird auch im Folgenden, darf man mit gutem Recht vermuten, keine Gefangenen machen. Es folgt, unmarkiert, eine lange Rückblende. Der Kopf gehört dem titelgebenden Fabrikarbeiter Heli (Armando Espitia), einem schlanken, fast noch kindlichen jungen Mann, der mit seiner Frau, dem gemeinsamen Kind im Säuglingsalter und seiner zwölfjährigen Schwester Estela (Andrea Vergara) in einer kleinen Wohnung lebt. Heli fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit, macht sich darüber lustig, dass die Schwester so viel für die Schule lernt, ist frustriert, weil die Frau keinen Sex will und sich seinem Drängen sanft, aber bestimmt entzieht – fast alle Beziehungen im Film sind überformt von einem Männlichkeitskult, der jeder Kommunikation vorgängig ist und der sich mal mehr, mal weniger drastisch artikuliert.

Locker aneinandergefügt erscheinen diese Szenen zunächst, wobei man natürlich aufgrund des Prologs schon weiß, wo das alles enden wird. Es dauert auch nicht lange, bis die Gewalt in die Alltagsmontagen, in diese Szenen eines allerdings von vornherein nicht direkt glücklichen Lebens, einbricht (und sich bald als jenes Moment erweist, das den vorher ungerichteten Bildern eine Struktur gibt). Estelas einige Jahre älterer Freund Beto (Juan Eduardo Palacios) lässt sich zum Soldaten ausbilden und wird dabei von seinen Vorgesetzten systematisch erniedrigt. Der jugendlichen Romanze der beiden gehören die schönsten Bilder des Films. Zum Beispiel das, in dem der muskelbepackte junge Mann die von seiner Körperlichkeit faszinierte Estela wie eine Hantel stemmt.

Sex will das pausbäckige, noch ganz und gar kindliche Mädchen zwar nicht, aber als Beto ihr vorschlägt, mit ihr abzuhauen und sie zu heiraten, willigt sie ein. Dieser Entschluss, der in anderen Teilen der Welt eine versponnene Episode bleiben würde, an die man sich Jahre später verzückt erinnert, setzt im Mexiko des war on drugs eine blutige Mechanik in Gang, die zwei Menschen das Leben kosten, einen weiteren fürs Leben zeichnen – und einen vierten zu einem „echten Mann“ machen wird.

Diese letzte Pointe ist vielleicht die fürchterlichste und sicher die gelungenste eines ansonsten allzu kalkuliert anmutenden Films – den man gleichwohl nicht leicht von sich abschütteln kann: Manchmal durchschaut man im Kino eine Manipulation und kann trotzdem nicht anders, als sich manipulieren zu lassen. Stilwillen kann man „Heli“ nicht absprechen. Die eigenwillige Form des Films, der zu weiten Teilen aus langen, oft unbewegten Einstellungen besteht, die die Figuren aus einigem Abstand und also im Kontext ihrer Umgebung zeigen, hat etwas betont Beiläufiges.

Auf Filmmusik verzichtet Escalante ganz, die Tonspur wird dominiert von Alltagsgeräuschen. Der quasidokumentarische Effekt dient allerdings stets nur als Kontrastfolie für die Gewaltexzesse, die in immer kürzeren Abständen über den Film hereinbrechen. Das Herzstück des Ganzen ist, nicht nur in dieser Hinsicht, eine ausführliche Folterszene, in der zwei Männer von staatlich besoldeten Mördern malträtiert werden. Die Mörder sind gleichzeitig Familienväter, ihre Kinder sitzen wenige Meter entfernt vor dem Fernseher und spielen Playstation, während ein wildfremder Mensch mit brennendem Penis von der Decke des Wohnzimmers baumelt.

■ „Heli“. Regie: Amat Escalante. Mit Armando Espitia, Andrea Vergara u. a. Mexiko/Frankreich/Deutschland 2013, 105 Min.