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Archiv-Artikel

Die SPD hat die Wahl

THÜRINGEN Der Niedergang der FDP beschert der Union große Probleme. Ihre Anhänger sind unberechenbarer geworden, und der Koalitionspartner fehlt

Sosehr die Sozialdemokraten noch in der Agonie der Post-Schröder-Zeit stecken, die latent gefährdetere Position hat die CDU

Das Wahlergebnis von Thüringen wird SPD und CDU gleichermaßen herausfordern. Die Sozialdemokraten dürften kurzfristig vor Ort damit zu kämpfen haben, während die Folgen für die Christdemokraten eher langfristig und bundesweit zu spüren sein werden. Insofern verbindet die bisherigen Erfurter Koalitionspartner mehr als man vermutet, obwohl die einen katastrophal verloren und die anderen solide gesiegt haben.

Nachdem gegen die SPD faktisch keine Regierung möglich ist, könnte sich der Wahlsieg der CDU in sein Gegenteil verkehren. Zwischen Wartburg und Altenburger Land hat die SPD als drittstärkste Kraft freie Wahl, ob sie nun die Koalition mit der Union fortsetzt oder ob sie ein Bündnis mit den Linken und den Grünen wagt. Als Medianpartei kann sie diese Optionen gegeneinander ausspielen, wohingegen allen anderen Akteure nur eine Option besitzen. Auf dieser Basis war es ihr in Thüringen 2009 schon gelungen, den Rückzug von CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus zu erreichen und der fast doppelt so starken CDU vier der acht Fachministerien abzutrotzen.

Der Riss in der SPD

Um sich wieder in eine solch günstige Verhandlungsposition zu bringen, hat die SPD nun ihren inneren Zwiespalt als Argument im Wahlkampf eingesetzt. In strategischer, inhaltlicher und personeller Hinsicht geht ein Riss durch die dortige SPD. Seit der Endphase der ersten Großen Koalition in Thüringen während der 1990er Jahre ringt sie mit sich, ob sie ein Bündnis mit den Linken eingehen soll.

Die Befürworter dessen haben gerade ganz gute Argumente auf ihrer Seite. Wie schon nach der ersten Koalition mit der CDU hat die SPD wieder rund die Hälfte ihrer vorherigen Wähler verloren, wobei diese sich vorzugsweise den Linken (Verlust im Saldo 27.000 Stimmen) und den Grünen (5.000 Stimmen) und nur zu einem kleinen Teil der CDU (4.000 Stimmen) zugewandt haben. Offenkundig hat die SPD nicht jene Wählerschaft verschreckt, der vor einem Ministerpräsidenten aus der Linkspartei graust, sondern eher jene, die mit ihrer Stimme in keinem Fall eine Koalition mit der CDU stützen wollen.

Doch eine Alternative zur ungeliebten Koalition mit der CDU dürfte schwierig sein, denn Rot und Rot brauchen die Unterstützung der Grünen und haben dann nur eine Stimme Mehrheit. Komplexe Koalitionen mit drei Parteien haben sich bislang als hochgradig instabil erwiesen. Auch in dieser wären Konflikte wohl vorprogrammiert, da sowohl SPD als auch die Grünen um Profil im Schatten des ersten Ministerpräsidenten der Linken kämpfen würden. Das größte Hindernis bleibt aber die Zerrissenheit der SPD, welche durch die Bundes-SPD verstärkt wird. Die drängt mit Blick auf die Bundesratsmehrheit auf eine Koalition mit der CDU.

Linkes Feld blockiert sich selbst

Die fehlende Einigkeit der SPD gefährdet am Ende die mögliche Wahl des Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Zwar könnte daran auch die Wiederwahl von Christine Lieberknecht scheitern, denn eine CDU/SPD-Koalition hätte gerade einmal eine Stimme Mehrheit, doch dürfte im dritten Wahlgang notfalls die relative Mehrheit erreicht werden, weil eine personelle Alternative zu Lieberknecht dann schon von Linken, Grünen und AfD gemeinsam getragen werden müsste. Demgegenüber ist ein geschlossenes Votum von CDU und AfD eher zu erwarten, sodass Rot-Rot-Grün die eigene absolute Mehrheit dann zwingend zu beweisen hätte.

Bis die Regierungsbildung abgeschlossen ist, stehen der SPD also unruhige Zeiten bevor. Aber auch für die CDU wird es nicht einfach werden, denn ihr Wahlerfolg überdeckt einige gravierende Schwächen, die zum Teil mit der AfD zusammenhängen. So hat die CDU ein Übergewicht an älteren Wählern, wohingegen die AfD ihren höchsten Zuspruch bei unter 35-jährigen Männern findet. Die Wählerschaft der rückwärtsgewandten AfD wirkt damit zukunftsträchtiger als die der modernisierten CDU.

Die CDU dürfte nur wegen der mangelnden Kohärenz der Mehrheit links von ihr an der Regierung bleiben. Doch sie braucht nach dem Niedergang der FDP dringend eine koalitionspolitische Alternative. Albrecht von Lucke (taz vom 16. 9. 14) geht davon aus, dass sich hier die AfD anbieten würde. Das Problem jedoch ist: Die Wählerschaft, die Merkel bei der jüngsten Bundestagswahl hinzugewonnen hat, ist aufs Engste mit dem Kurs der Bundeskanzlerin verbunden.

Das Problem der Merkel-CDU

Vierzig Prozent der CDU-Wähler in Thüringen gaben an, dass sie ohne Merkel die Christdemokraten eher nicht gewählt hätten. Und von denen, die im Herbst 2013 noch Merkels CDU bei der Bundestagswahl in Thüringen ihre Stimme gaben, haben nur zwei Drittel die Partei auch bei der Landtagswahl gewählt. Der alleinige Blick auf die Prozentwerte verdeckt also, dass der CDU im Vergleich zur letzten Landtagswahl rund 14.000 Stimmen verloren gegangen sind.

Die augenblickliche Stärke der CDU beruht in erster Linie auf der Schwäche ihrer Gegner. Schon jetzt fallen die Wahlergebnisse auf Bundes- und Landesebene deutlich auseinander.

Erschreckt die CDU ihre neumittige und gesellschaftspolitisch liberale Wählerschaft mit Avancen an die AfD, wird diese – ähnlich wie 2005 in Anbetracht von Paul Kirchhoff – ihre Wahlentscheidung überdenken. Fürchtet die CDU diese Gefahr, dann verzichtet sie darauf, sich eine neue Koalitionsoption zu erschließen. Für die Union könnten so thüringische Verhältnisse zur Normalität werden. Unangenehmer Nebeneffekt: Am Ende kann die CDU nur dann regieren, wenn SPD, Linke und Grüne weiter nicht zueinanderfinden.

Sosehr die SPD die Regierungsbildung in Thüringen also umtreiben dürfte und so sehr die Sozialdemokraten auch immer noch in der Agonie der Post-Schröder-Zeit stecken, die latent gefährdetere Position hat die CDU, und zwar bundesweit. Der in mittlerer Zukunft anstehende Kanzlerwechsel, eine weitere Konsolidierung der AfD, der Wegfall der FDP und das Fehlen von Koalitionsoptionen können die CDU noch in eine überaus unangenehme Lage bringen. Ein jäher Absturz in der Wählergunst ist keineswegs ausgeschlossen. STEPHAN KLECHA