: Klappis stark im Kommen
Früher Katastrophe, heute Kult: Das Klapprad ist wieder da, als alte Retro-Gurke und Neubau, der sich sogar gut fahren lässt. Zu den funktionalen zählen die Falträder, die auf kleines Packmaß setzen
VON JÖRN STERNBERG
Ein neuer Trend scheppert über die Straßen der Berliner Innenstadt. Besonders in den so genannten Szenebezirken Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg tauchen immer mehr Klappräder auf, wie sie vor zwei Jahrzehnten einmal modern waren. Besonders hip scheint es zu sein, auf Altlasten herumzugurken, die noch zu DDR-Zeiten von den Mifa (Mitteldeutsche Fahrradwerke) produziert worden sind.
Stiegen seinerzeit nur verhuschte Anfänger und Gelegenheitsradler aufs Klapprad, so fahren heute eher modebewusste Studierende darauf ab, Mittzwanziger mit Markenklamotten, amerikanischen Truckercaps und weißen MP3-Playern. „Das Klappi passt zu mir“, meint eine leidenschaftliche Klappradfahrerin. Und sie ist überzeugt: „Ich sehe darauf einfach cool aus.“ Diese Art von Rädern sei zurzeit so beliebt, dass ihr kürzlich sogar eins gestohlen wurde.
Die Welt scheint kopfzustehen. Sebastian Krekow, aufgewachsen im Ostberliner Stadtbezirk Lichtenberg, betrachtet diese Entwicklung mit Argwohn. Als Kind sträubte sich der heute 33-Jährige gegen die klapprigen Mifa-Klappräder. „Zu DDR-Zeiten fand man sie scheiße, weil sie einfach schlecht verarbeitet waren.“ Wer genug Geld hatte, erinnert sich Krekow, besorgte sich ein „vernünftiges Rad“.
Zu den vernünftigen und funktionalen Typen zählen heute die Falträder, die sich schon durch die andere Bezeichnung von der Vergangenheit abheben sollen. Die Hersteller der modernen Modelle setzen vor allem auf kleines Packmaß, ausgeklügeltes Faltkonzept und Wetterfestigkeit – alles Dinge, die echte Klappradfans offensichtlich kaum interessieren. Denen scheint Individualität – oder das, was sie darunter verstehen – wichtiger zu sein als Funktionalität und Technik. Für solche Klappifahrer hat Krekow indes nichts übrig: „Die haben nur Klischeebilder von einer Subkultur, die sie Szene nennen, im Kopf.“ Das 80er-Jahre-Image, so Krekow, sei künstlich erschaffen worden, etwa durch Vorabendserien und Filme wie „Sonnenallee“.
Dazu passt, dass das Geschäft mit den DDR-Drahteseln in Berlin hauptsächlich die trendorientierten Secondhand-Läden machen. Auch zwei Fahrradverleihstationen haben sich in der Hauptstadt auf den neuen Markt spezialisiert. Die herkömmlichen Fahrradläden haben das Nachsehen. Sie sind vom Retro-Hype ausgeschlossen. Für alte Osträder mit Originallackierung und Aufklebern, berichtet der Prenzelberger Gebrauchtwarenhändler Matthias Richter, zahlten Kunden 80 Euro und mehr.
Gerade die Nachfrage nach Mifa-Klapprädern hätte sich in den letzten zwei bis drei Jahren verdreifacht, berichtet Richter, der sich selbst auch als „Klappi-Fahrer“ outet. Er kann bestätigen, dass die meisten der Ost- Klapprad-Fans von heute den DDR-Alltag nicht mehr kennen gelernt haben. „Das sind zugezogene Westdeutsche und jüngere Ostdeutsche.“
Doch diese Mittzwanziger machten halt den Trend. Ob der allerdings so lange hält, um die immer noch existierenden Mifa in Sangershausen zu bewegen, ein neues Klappradmodell im alten Retrolook aufzulegen, ist noch nicht abzusehen.