: Grünen-Wirtschaft
aus Berlin ULRIKE HERRMANN
Die grünen Linken gehen in die Offensive. Mit einem eigenen Text wenden sie sich gegen ihren Fraktionschef Fritz Kuhn. Schon der Titel ihres Papiers ist programmatisch: „Grüne Wirtschaftspolitik – mehr als nur Markt“. Zu den sieben Autoren gehören auch die Bundestagsabgeordneten Bärbel Höhn und Jürgen Trittin. Sie fordern unter anderem einen gesetzlichen Mindestlohn, die Vermögenssteuer, eine Entflechtung der marktbeherrschenden Konzerne sowie eine Tobin-Steuer für die Devisenmärkte.
Damit reagieren die grünen Linken auf ein 43-seitiges Positionspapier zur „Grünen Marktwirtschaft“, das eine 9-köpfige Autorengruppe rund um Fraktionschef Fritz Kuhn schon im Herbst verfasst hatte. Besonders ein abgewandeltes Adam-Smith-Zitat wurde parteiintern oft als Provokation empfunden: „Die unsichtbare Hand des Marktes wird grün.“
Für die Parteilinken war das zu viel der Marktgläubigkeit (siehe Interview). Daher versäumen sie es nicht, gleich im ersten Absatz ihrer 5-seitigen Erwiderung das häufige „Marktversagen“ herauszustreichen – ob bei der Massenarbeitslosigkeit oder der globalen Armut. Sie fordern einen „ganzheitlichen Politikentwurf“. Allerdings verzichten sie darauf, das Kuhn-Papier in ihrem Text explizit zu erwähnen.
In Bremen tagt heute der grüne Länderrat – das oberste Parteigremium zwischen den Bundesdelegiertenkonferenzen. Die grünen Linken wollen dieses Treffen nutzen, um ihren Gegentext möglichst schnell in der Partei zu verbreiten. Auf dem nächsten Parteitag im Herbst soll es dann zu Entscheidungen kommen, wie die Wirtschaftspolitik der Grünen künftig aussehen soll.
Kuhn nimmt die neue Initiative gelassen. „Es ist ein guter Diskussionsanstoß“, sagte er der taz. Er überarbeite gerade sein eigenes Papier „und manches wird darin eingehen“. Allerdings kann der Fraktionsvorsitzende sowieso kaum Dissens erkennen: „In dem Papier ist nicht besonders viel Neues enthalten.“ Auch er sei der Meinung, dass der Markt, wenn er sich selbst überlassen wird, „keine sozialen und ökologischen Ergebnisse hervorbringt“. Daher würde sein Papier ebenfalls für einen „anspruchsvollen Ordnungsrahmen“, also staatliche Vorgaben plädieren.
Das Kuhn-Papier wurde erstmals auf einer Konferenz im Herbst vorgestellt und in den Medien breit aufgegriffen. Allerdings wurde es bisher niemals von einem Parteigremium beschlossen – weder von der letzten Bundesdelegiertenkonferenz im Dezember noch auf der Fraktionsklausur in Wörlitz im Januar. Über die überarbeitete Fassung soll jedoch demnächst in der Fraktion abgestimmt werden. „Auf diesen Diskussionsprozess wollen wir jetzt Einfluss nehmen“, heißt es bei den Linken.
Allerdings sind nicht alle Linken glücklich mit dem Papier, das die Autorengruppe um Höhn und Trittin verfasst hat. „Sie übernehmen die Begriffe des Kuhn-Papiers wie die grüne Marktwirtschaft und versuchen nur, sie neu zu definieren“, kritisiert etwa Rüdiger Sagel, linker Landtagsabgeordneter in Nordrhein-Westfalen. Der Finanzpolitiker moniert zudem, dass Höhn und Trittin oft unkonkret blieben. So würden sie eine bedarfsorientierte Grundsicherung fordern – „aber sie sagen nie, wie hoch die sein soll“. Daher hat der Münsteraner für den Parteitag im Herbst ein drittes Papier verfasst.
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