: Das stetige Sterben
Feinfühlig, grausam, brillant besetzt: „Der falsche Tod“ (20.15 Uhr, ZDF) ist ein herausragendes Psychodrama zum Komplex Sterbehilfe
VON CHRISTIAN BUSS
Es ist eine Welt mit eigenen Regeln. Ungerührt tickt die alte Uhr im holzgetäfelten Treppenhaus, aber dass die Zeit unaufhaltsam verrinnt, scheint niemanden zu schrecken. Das Sterben ist hier auf stille und störrische Weise stets präsent. In der Dorfpraxis von Dr. Fehse (Friedrich von Thun) wird bereits zu früher Stunde Brandy getrunken, die altgediente Sprechstundenhilfe Elisabeth Spengler (Eleanore Weisgerber) stellt Rezepte schon mal eigenhändig aus, im Keller lagern Akten mit zweifelhaften Totenscheinen.
Als der Doktor selbst einen Infarkt erleidet und ins Krankenhaus muss, vertritt ihn seine Tochter Jenny (Anneke Kim Sarnau), die sonst in Hamburg als Ärztin arbeitet. Einmal wird sie nachts zu einem krebskranken Alten gerufen und kann nur noch dessen Tod feststellen, ein anderes Mal macht sie einen Routinehausbesuch bei einer Greisin und findet auch diese verstorben vor; in beiden Fällen war kurz zuvor Elisabeth samt Medikamentenkoffer bei den Patienten. Praktiziert der Sprechstundenengel im Auftrag des alten Herrn Doktor Sterbehilfe?
Das Thema lädt zur Debatte ein, aber steile Thesen sucht man in diesem Film vergeblich. Martin Eigler, ein souveräner Krimi-, aber vor allem auch inspirierter Psychodramen-Regisseur, ist ein Mann der tastenden Recherche. In seiner „Solo für Schwarz“-Reihe legte er ganz unplakativ die schuldhaften Verstrickungen aus DDR-Zeiten frei. Und auch in „Der falsche Tod“ öffnet er das Thema, indem er einen Konflikt der Vergangenheit aufbrechen lässt: Könnte es sein, dass einst auch die nach einem Reitunfall dahinsiechende Frau des Doktors von ihm selbst in den Tod gespritzt wurde?
Der ungeheuerliche Verdacht wird dazu genutzt, die komplexen psychologischen Implikationen, die beim Talkshowrenner „Sterbehilfe“ meist ausgeblendet werden, aufzuzeigen: Es geht um Liebe und Ekel, um Hoffnung und Scham, um Aufopferungsbereitschaft und Selbstgerechtigkeit. Denn mehr als ein Jahrzehnt nach dem Tod der Mutter muss sich Jenny in der Auseinandersetzung mit dem Vater dem verdrängten Verlust und den damit zusammenhängenden widerstreitenden Gefühlen stellen. Anneke Kim Sarnau, eine Minimalistin des Melodramatischen, spielt diese Mischung aus Verdrängen und Erkennen, aus verletztem Kind und analytischer Medizinerin gewohnt feinnervig. Der innere Zwist der Figur wird mithin zu einem Diskurs in Sachen Sterbehilfe, der auch die allermenschlichsten Aspekte des Stoffes nicht ausspart. In einer Szene offenbart die vernachlässigte Tochter Jenny sogar, wie sehr sie sich den Tod der siechen Mutter gewünscht hat.
Eigler und sein Koautor Sönke Lars Neuwöhner setzen also auf den mündigen Zuschauer, es gibt kein Gut und kein Böse in ihrem Film. Selbst der Todesengel Elisabeth büßt ihm Laufe der Handlung von seiner aggressiven Unnahrbarkeit ein. Und der alte Herr Doktor mit seinen flotten medizinischen Sinnsprüchen, der allzu unangenehm auflodernde Zweifel am eigenen Handeln mit Hochprozentigem herunterdimmt, wandelt sich am Ende zur tragischen Gestalt.
Auf diese Weise wird in „Der falsche Tod“ gekonnt der schmale Grat aufgezeigt, der zwischen dem Recht auf ein menschenwürdiges Sterben und der Selbstgerechtigkeit jener Menschen verläuft, die angesichts solch unermesslicher Leidenssituationen Pauschalantworten parat haben. Ein Gewissenskrimi, so feinfühlig wie grausam.