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Archiv-Artikel

Journalistin mit Grenzen

Menschen in Beirut (3): Ruth Abcarius, seit 48 Jahren im Libanon, gab ein deutschsprachiges Magazin heraus

„Gott, was habe ich alles erlebt! Den Krieg in Deutschland, die Kriege hier, die Invasionen der Israelis – das war mein Leben!“ Ruth Abcarius, 73, ist deutsche Journalistin, die sich der Liebe halber vor 48 Jahren für Beirut entschied.

Als die 23-Jährige in London studierte, sprach ein libanesischer Ingenieur sie an einer Bushaltestelle an. Der ersten Dinnereinladung folgten Rendezvous, er ging wieder in den Libanon, ein reger Briefwechsel entstand. Wohlbedacht besuchte sie ihn zwei Jahre später in seiner Heimat. Von dem Leben an der Levante, dem Glamour und der Exotik, die der Libanon, die damalige „Schweiz des Orients“ versprühte, war sie begeistert. Entschlossen tauschte Ruth ihre deutsche Existenz gegen ein Leben mit den Reichen und Schönen jener Zeit. Die Eltern rieten ab, zu weit der Libanon, zu unbekannt. Doch das wollte die abenteuerlustige junge Frau nicht hören: 1959 wurde geheiratet.

In den noblen Hotels an der Corniche, der Strandpromenade von Beirut, berichtete die Journalistin über den internationalen Jetset, über fast jeden, der im mondänen „Paris des Ostens“ residierte. Sie schrieb für die deutsche und lokale Presse über gesellschaftliche Ereignisse. Fotos zeigen sie mit Horst Buchholz, Charles Aznavour, Curd Jürgens. Der 1960 geborene Sohn und die drei Jahre später geborene Tochter spielen auf den alten Schwarzweißfotografien mit den Kashoggi-Kindern. Familie Abcarius wohnte in einer schönen Villa. Man genoss das Leben; das Paar ging oft aus, frühstückte danach in einem der kleinen Restaurants, die die ganze Nacht geöffnet waren.

Dann änderten sich die Zeiten. Der Sechstagekrieg begann. Die Familie ging für vier Jahre nach Deutschland, bevor sie Anfang der Siebzigerjahre zurückkehrte. Dann ging es wieder los. „Wir verabredeten uns mit anderen deutschen und libanesischen Eltern zum Konvoi, damit wir als Ausländer die Kinder sicher in die Schule bringen konnten.“

Sie lebt heute noch am Rande Beiruts, im hügeligen Baabda. Von der Terrasse ihres luftigen Apartments aus konnte sie damals in die Drusenberge im Hinterland sehen, Schießereien hören und die Kämpfe der Milizen beobachten.

Als der Bürgerkrieg beendet war, wurde Frau Abcarius Herausgeberin eines deutschsprachigen Magazins. Ihr Heft Augenblick mal lag in allen von Beirut nach Frankfurt fliegenden Flugzeugen aus. „Alles musste ich selbst organisieren, weil einige Libanesen mich übers Ohr hauen wollten – die Druckerei, die Anzeigenverkäufer, jeder wollte irgendwelche Prozente.“ Nach dem 11. September 2001, sie war schon 67, stellte Frau Abcarius die Tätigkeit ein. Zu schwierig die wirtschaftliche Lage, dazu brauchte ihr acht Jahre älterer Mann immer mehr Pflege.

Mittlerweile hat sie wieder Lust, das Magazin zu publizieren. „Aber“, seufzt sie, „im Moment kann man hier nichts planen – der letzte Krieg hat die aufstrebende Wirtschaft und den Tourismus zerstört, und wer weiß, wann der nächste kommt …“

JASNA ZAJCEK