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Archiv-Artikel

Demo gegen Schäuble

Rund 2.000 Menschen protestieren in Frankfurt gegen die Überwachungspläne von Innenminister Schäuble

FRANKFURT/MAIN taz ■ Fehlender Verstärker am Mischpult, im Gewimmel verloren gegangene Redetexte und Redner, nichts konnte am Samstag die Freude der Veranstalter der Demonstration „Freiheit statt Angst“ in der Frankfurter Innenstadt schmälern. Über 2.000 Menschen aus der ganzen Bundesrepublik waren an den Main gekommen, um gegen die zunehmende Überwachung der Bevölkerung durch Staat und Privatwirtschaft zu protestieren. Diese Resonanz verblüffte selbst die Organisatoren vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, einem lockeren Zusammenschluss von Bürgerrechtlern, Datenschützern und Internetnutzern.

„Ziemlich choatisch, ziemlich Klasse!“, stöhnte der Bielefelder Medienkünstler padeluun, der auf Rollerskates die Veranstaltung moderierte. Padeluun gab die Parolen von „Schäuble muss weg!“ bis „Stoppt den Überwachungsstaat“ vor. Autonome, Antifa, Grüne Jugend, Humanistische Union und Computerfreaks skandierten gemeinsam.

Insgesamt 15.000 Einzelpersonen hatten sich bis zum Wochenende als Unterstützer einer Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung im Internet registrieren lassen. Doch das allein reiche nicht aus, erklärte der Medienkünstler padeluun, denn im Klageverfahren nütze eine E-Mail rein gar nichts: „Wir brauchen die Unterschriften auf Papier!“

Jan Leutert von Arbeitskreis Rhein-Main fasste die Entwicklung der letzten Jahre noch einmal zusammen: erst Videoüberwachung, dann Mautdaten-Erfassung, Kreditkartenkontrolle, jetzt biometrische Pässe, Fingerabdrücke, direkter Polizeizugriff auf die Meldedaten, Online-PC-Durchsuchungen, RFID-Chips. Alle, Autofahrer, Telefon- und PC-Nutzer, Kontoinhaber, Reisende, Passanten, Einkaufskunden seien davon betroffen: „Jeder wird erfasst, jeder ist verdächtig!“

Eine Sportfliegerin sah sich und ihre Kollegen als besonders drangsalierte Minderheit auf der „Gefährderliste“ des Bundesinnenministeriums, vom Staat als terroristische Gefahrenquelle diskriminiert: „Als Nächstes sind dann die Jäger und die Bootsbesitzer dran!“

Bettina Winsemann, Initiatorin der Verfassungsbeschwerde in Nordrhein-Westfalen, klagte den Überwachungsstaat an, der seinen Bürgern nicht mehr vertraue, sondern ihnen, statt sie zu schützen, ständig bis ins Privateste hinterherschnüffele. Wer im Internet mit anderen über seine Sorgen, Krankheiten, Drogenprobleme kommuniziere, müsse damit rechnen, dass seine persönlichen Probleme ausgespäht und jahrelang gespeichert werden könnten. Sie denke deshalb sogar ans Auswandern, sagte Winsemann: „Das kann ich den Politikern nie verzeihen!“

Die Demonstration endete vor der Frankfurter Paulskirche, 1849 der parlamentarische Ort des ersten Scheiterns der deutschen Demokratie. HEIDE PLATEN