piwik no script img

Das Ringen um die lieben Gören

Für den Senat war die Umstrukturierung der Kita-Landschaft hin zu mehr Wettbewerb zwischen freien und kommunalen Trägern ein Erfolg. In der Praxis gibt es aber Probleme. Gute Versorgungsquote

VON RICHARD ROTHER

Während in den alten Bundesländern ein Kinderkrippenplatz fast einem Lottogewinn gleicht, hat Berlin – dank der in Ostberlin übernommenen Kindergartenstruktur – die bundesweit angestrebte Betreuungsquote längst übererfüllt: 42 Prozent der unter Dreijährigen gehen in die Kinderkrippe oder werden von einer Tagesmutter betreut, sagte Jugend-Staatssekretär Eckart Schlemm (SPD) gestern. Die Umstrukturierung der Kita-Landschaft auf Wettbewerb zwischen städtischen und freien Trägern sei erfolgreich verlaufen, so Schlemm.

Deutschlandweit strebt Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) bis 2013 eine Versorgungsquote von 35 Prozent an – und erntet damit ideologisch motivierten Widerstand in der eigenen Partei. In Berlin gibt es derzeit rund 103.000 Kita-Plätze und 4.000 Plätze bei Tagesmüttern; dafür gibt die Stadt rund 751 Millionen Euro im Jahr aus. Ob das Finanzvolumen für die Kleinkinderbetreuung durch die Umstrukturierung insgesamt gestiegen oder gesunken ist, lasse sich noch nicht sagen, so Schlemm. Ein Vergleich der Zahlen sei kaum möglich, da vorher die Kitas im Aufgabenbereich der Bezirke lagen.

Im Verlauf der Kita-Reform wurden staatliche Kitas massenhaft in freie Trägerschaft gegeben, so dass jetzt mehr als zwei Drittel der Kitas nicht mehr in öffentlicher Hand sind. Die verbleibenden öffentlichen Kitas wurden aus den Bezirksverwaltungen herausgelöst und in einen der fünf städtischen Eigenbetriebe gegeben. Diese bekommen nun – wie die Kitas in freier Trägerschaft – pro betreutes Kind einen bestimmten Betrag überwiesen. Das bedeutet: Nicht das Angebot einer Kita an Kindergartenplätzen ist entscheidend für die Finanzausstattung, sondern die tatsächliche Nutzung.

Die Folge ist ein Wettbewerb unter den Kitas um Kinder – dieser Konkurrenzkampf ist ausdrücklich erwünscht. Insgesamt soll auf diese Weise das System der Kinderbetreuung kostengünstiger werden und besser, da die Eltern ihre Kinder vorrangig in beliebte Kitas geben. Die wiederum werden dadurch finanziell bevorzugt.

Der Zwang zur effektiven Betreuung, den der Senat ausdrücklich wünscht, hat aber durchaus problematische Nebeneffekte, kritisieren betroffene Eltern. Denn auch bei den Eltern werde nun strenger als früher überprüft, ob überhaupt ein Anspruch auf Betreuung der Kinder bestehe. Arbeitslose oder Eltern, die ein unter Einjähriges betreuen, haben nämlich keinen Anspruch mehr auf Vollzeitbetreuung ihrer Kinder. Die Folge in der Kita: „Die Gruppendynamik und die pädagogische Arbeit kommt durcheinander, wenn Kinder plötzlich früher abgeholt werden müssen“, kritisiert eine Mutter. Zudem hätten Eltern ohne vollen Betreuungsanspruch Schwierigkeiten, ihre Kinder im Wunschkindergarten unterzubringen. Denn die Kitas brauchen vor allem Vollzeitkinder, weil die mehr Geld bringen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen