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Archiv-Artikel

Haftstrafe für Sozialhilfebetrüger

Landgericht verurteilt 58-Jährigen, der das Bezirksamt Lichtenberg um rund 740.000 Euro betrogen hat

Vor dem Landgericht endete gestern einer der größten Fälle von Sozialhilfebetrug in Berlin. Rund 743.000 Euro hatte eine ehemalige Sachbearbeiterin des Bezirksamts Lichtenberg aus Liebe zu einem zehnfach vorbestraften Betrüger veruntreut. Vor drei Wochen wurde sie bereits zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt (taz berichtete). Gestern fielen nun die Urteile gegen Klaus B., den Anstifter zu dieser Betrugsserie, sowie Siegfried R., der ihn mit der Eröffnung eines Kontos dabei unterstützt hatte. Fünf Jahre und neun Monate Haft wegen Bestechung, Anstiftung zur Untreue und Betruges verkündete die Vorsitzende Richterin für den 58-jährigen B., dessen erste Verurteilung bereits 30 Jahre zurückliegt. Den 52-jährigen R. sprach das Gericht von allen Vorwürfen frei.

Im August 2002 lernte Ingrid S. den Sozialhilfeempfänger Klaus B. kennen. Im Oktober 2003 begann die Liaison zwischen ihm und der zehn Jahre jüngeren Sachbearbeiterin, einer geschiedenen Mutter von vier Kindern. Er gab vor, sein Geld als Unterwasserschweißer auf holländischen Werften zu verdienen. Demnächst, so erzählte er, eröffne er eine Werft in Zypern. Dafür brauche er Geld. Ob Ingrid S. ihm helfen könne?

Die verliebte Sachbearbeiterin fand einen Weg: Ab Dezember 2003 aktivierte sie abgeschlossene Sozialhilfevorgänge und ließ Klaus B. die „einmaligen Beihilfen“ an den beiden Kassen des Sozialamts bar auszahlen. Nach der Umstellung auf Hartz IV 2005 arbeitete die Sachbearbeiterin Altakten auf, wozu auch das Überweisen größerer Arztrechnungen und Unterkunftskosten gehörte. Analog überwies sie vier- bis fünfstellige Summen auf das Konto ihres Geliebten, dessen Telefonnummer sie nicht kannte und der sich nur meldete, um ihr die Höhe des benötigten Geldes für „Material und Personal“ mitzuteilen.

Einmal unterlief ihr bei den Überweisungen ein Fehler: Sie buchte das Geld als „Darlehen“ – die Summe wurde nach ihrem freiwilligen Ausscheiden Ende 2005 fällig. Bei der Rekonstruktion des Vorgangs entdeckten die ehemaligen Kollegen den Betrug, so Amtsleiterin Claudia Schirrmeister vor Gericht.

Gegen Ende der Betrugsserie, im Mai 2005, benannte Klaus B. ein weiteres Konto für die Überweisungen. Dieses Konto hatte ihm der bayerische EDV-Berater Siegfried R. eingerichtet, den er auf Gran Canaria kennen gelernt hatte. Ohne festen deutschen Wohnsitz habe er Schwierigkeiten, in Deutschland ein Konto zu eröffnen, erzählte Klaus B. dem Mann. Auf das Konto werde das Land Geld für den Erwerb von Gartenparzellen überweisen.

Siegfried R. tat ihm den Gefallen, betrachtete das Konto nicht als sein eigenes und schaute sich die Auszüge dementsprechend flüchtig an, so sein Verteidiger. Der Bayer sei nicht darauf gekommen, dass „einmalige Beihilfen“ vom Bezirksamt Lichtenberg in vier- bis fünfstelliger Höhe veruntreute Sozialhilfe sein könnte. Drei Wochen saß R. in Untersuchungshaft. Er habe auf dem Weg von Bayern nach Berlin „mehr Justizvollzugsanstalten kennen gelernt als jeder Kriminelle“, sagte der Staatsanwalt, der für R. eine zweijährige Bewährungsstrafe wegen Beihilfe zur Untreue forderte und gegen den Freispruch Revision einlegen will. UTA FALCK