: Mekka der Lok-Fans
Das Eisenbahnmuseum in Bochum-Dahlhausen feiert seinen 30. Geburtstag. Ohne das Engagement der Bahnfreunde von der Deutschen Gesellschaft für Eisenbahngeschichte läuft hier überhaupt nichts
VON LUTZ DEBUS
Das Pfeifen der alten Dampflokomotive schallt durch das ganze Ruhrtal, kommt im Bruchteil einer Sekunde als Echo zurück. Wenig später lässt das schwarze Ungetüm mit einem ohrenbetäubenden Zischen Dampf ab. Dann setzen sich langsam die mannshohen Räder in Bewegung. Wasser tropft auf die roten Speichen. Das Grollen der Räder ist in der Magenkuhle zu spüren. Oben aus dem Schlot steigt eine riesige dunkle Rauchfahne in den hellblauen Himmel. „Von Rußpartikelfilter hat man zu der Zeit wohl noch nichts gehört“, scherzt ein Besucher, der mit etwa 100 anderen Schaulustigen an diesem Sonntag zum Dampftag ins Eisenbahnmuseum nach Bochum-Dahlhausen gekommen ist.
Auf dem Gelände des ehemaligen Bahnbetriebswerks sind dutzende von Dampf-, Diesel- und Elektroloks sowie Waggons zu besichtigen. Manche Exponate wie ein Passagierwaggon der Sächsischen Eisenbahn sind schon etwa 150 Jahre alt. Dann gibt es vergleichsweise junge Fahrzeuge wie Dampfloks aus den 1950er Jahren und Exoten wie eine vorsintflutlich anmutende E-Lok mit dürren Stromabnehmern, gefertigt noch vor dem Ersten Weltkrieg.
Um im Führerhaus der schweren Dampflok mitfahren zu können, muss man Geduld haben. Eine lange Schlange von Interessierten wartet geduldig vor dem kleinen Kassenhäuschen. Die fünfminütige Fahrt, die Gleise des Museums einmal hin und zurück, kosten drei Euro. „Wir brauchen jeden Euro“, rechtfertigt der Mann am Fahrkartenschalter den Preis. Stefan Harzendorf ist einer von etwa 2.000 Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Eisenbahngeschichte (DGEG). In Bochum seien etwa 120 Mitglieder aktiv, die das Museum schmeißen, erklärt der 55-jährige. Jeden Samstag, wenn das Museum geschlossen ist, machen sich die Hobbyeisenbahner mit Drahtbürsten, Schmirgelpapier und Farbe an die Arbeit, weitere Ausstellungsstücke zu restaurieren. „Alles ehrenamtlich“, betont Harzendorf. „Am Sonntag ist es dann ganz angenehm, nur noch hier zu sitzen, um Karten zu verkaufen.“
Warum aber verbringt man seine gesamte Freizeit mit öligen, dreckigen, stinkenden Schrotthaufen? „Man muss eisenbahnverrückt sein“, gibt der Fahrkartenverkäufer unumwunden zu. Bei ihm fing das schon ganz früh an. „Wenn ich als Zweijähriger das Pfeifen der Lok hörte, habe ich so lange Theater gemacht, bis meine Mutter mich schnell mit dem Kinderwagen zur Schranke gefahren hat.“ Später, mit sieben Jahren, gab es dann die erste Modelleisenbahn. Als junger Mann hat Harzendorf dann jedoch sein großes Ziel aus den Augen verloren. Statt Lokführer, was ja eigentlich jeder Junge seines Jahrgangs irgendwann werden wollte, ist er Beamter geworden. „Manchmal werden die Lebensweichen nicht richtig gestellt“, schmunzelt der Postler, der nun Hobby-Bahner ist. Aber letztendlich sei die Liebe zur Eisenbahn ein Bazillus, den man weder mit Penizillin noch mit Frauen besiegen könne.
Als er vor kurzem pensioniert wurde, dachte sich Harzendorf, er bräuchte ein Hobby, damit er seiner Gattin nicht zu sehr auf die Nerven geht. Der Plan, eigene Wege zu gehen, ging aber nicht auf. „Statt zu Hause zu hocken, sitzt die Ehefrau jetzt hier hinter der Kasse am Eingang und der Sohn fährt das Schweineschnäuzchen.“
Gerade in diesem Moment tuckert das „Schweineschnäuzchen“ vorbei. Das seltsam anmutende Fahrzeug ist eine Art Reisebus auf Schienen aus den 1930er Jahren mit einem langen Vorbau für den Motor – daher der Spitzname, erklärt Harzendorf. Lokführer und Fahrkartenverkäufer grüßen sich kurz. „Wenn Sie noch mehr über Eisenbahnverrückte wissen wollen, müssen sie wohl einen Psychologen fragen.“ Dann ergänzt er aber doch noch rasch: „Es geht um Fernweh. Und dass man als Lokführer glaubt zu bestimmen, wo es lang geht.“ Dann lächelt der Mann: „Was für ein Blödsinn. Das geben doch der Fahrplan und die Weichen vor.“
Ganz als Spleen abtun möchte er sein Engagement aber auch nicht. Von offizieller Seite werde zwar immer betont, dass man die alten Lokomotiven nicht einfach verschrotten dürfe, aber weder staatliche Stellen noch die Bahn unterstützten in nennenswertem Umfang die Arbeit des DGEG. Es sei doch wichtig, Menschen, besonders auch Kindern, zeigen zu können, wie die Welt früher aussah.
Mit dem Zeigefinger deutet Stefan Harzendorf auf eines der Faltblätter, das er vor sich ausliegen hat. Darauf ist eine alte Dampflokomotive zu sehen. „Fotos sind ja vielleicht ganz schön. Aber wir haben hier rollendes Material.“ In diesem Moment kommt die alte Lokomotive mit lautem Zischen und Pfeifen wieder zurück.
Hinter der Drehscheibe steht der alte Lokschuppen aus dem Jahr 1918. Drinnen sind viele weitere Lokomotiven zu besichtigen. Kinder krabbeln in die Züge, kreischen, pfeifen, rufen: „Sch-sch-sch!“ Ein Vater wundert sich: „Warum eröffnet die Bahn nicht solch ein Museum? Sympathischer kann man doch keine Werbung für sein Produkt machen.“ Da kommt seine kleine Tochter auf ihn zugerannt. „Papa, sind die Eisenbahnen noch aus dem Krieg?“ Der Vater schaut auf die Tafel neben der Lok und nickt kurz. „Ja, Baujahr 1941.“
Tatsächlich werden auf vielen Schildern detailliert die technischen Daten aufgeführt. Historische Zusammenhänge allerdings werden dem Besucher nicht erklärt. Dabei ist Eisenbahngeschichte ohne ihre enorme wirtschaftliche, kulturelle und politische Bedeutung in der Zeit der europäischen Katastrophe nur schwer zu erzählen. Dies aber können ehrenamtlich tätige Eisenbahnverrückte wohl kaum leisten. Selbst die Deutsche Bahn tut sich mit ihrer Geschichte immer noch sehr schwer.