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Archiv-Artikel

Im Bett mit Marx & Engels

Im „Art Fabrik & Hotel“ in Wuppertal gibt es Kunst für fast jeden Geschmack. Die Gewinne gehen in eine Stiftung für Kinderhospize. Das hätte auch dem früheren Besitzer Friedrich Engels gefallen

„In dieser Fabrik hier haben Männer, Frauen und Kinder 16 Stunden am Tag gearbeitet“

VON LUTZ DEBUS

Der riesige Kronleuchter in der Hotellobby irritiert erst auf den zweiten Blick. Statt Kristallen baumeln gebrauchte Zahnbürsten, Backpinsel und allerlei geschredderter Plastikmüll von der Decke. Auch sonst hat man als Besucher nicht den Eindruck, in einem ganz normalen Hotel zu sein. Das „Art Fabrik & Hotel“ in Wuppertal ist das größte seiner Art in Europa. Zwar gibt es auch andere Hotels, die einige ihrer Zimmer von Künstlern gestalten ließen. Aber weder das Arte Louise Kunsthotel in Berlin-Mitte noch ähnliche Projekte in Irland und Portugal bieten eine solche Vielfalt. 30 von den 140 Zimmern sind Unikate, die Namen der Räume sind gleichzeitig die Namen der Kunstwerke.

Ein für einzeln reisende Männer gestalteter Salon wirkt fast schon wie eine Karikatur des Männlichkeitswahns. In diesem Herrenzimmer kann man auf Autositzen eines namhaften Sportwagenherstellers Platz nehmen. Der Garderobenspiegel ist umrandet von sechs Autospiegeln und angeleuchtet von verchromten Halogenscheinwerfern. Ganz anders kommt ein orientalisches Zimmer daher. Mit Wasserpfeife auf dem Sims, orangenen Seidentüchern und orientalischen Mosaiken an den Wänden wähnt man sich in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Gleich nebenan, fast drohend, leuchtet von der vier Meter hohen Wand ein gerade aufgesprungener Krokus. Wer es nachts gern unruhig mag, ist sicher mit der Buchung einer Künstlersuite gut beraten, in der über dem riesigen Wasserbett an der Zimmerdecke ein eben so großer Spiegel angebracht ist. Kunst und Badewanne: Seit dem Skandal um Joseph Beuys und seinem künstlerisch bearbeiteten Kinderwaschtrog, der von zwei eifrigen Damen gereinigt wurde, um darin Bier zu kühlen – was einen Schadensersatz von 180.000 Mark kostete –, sollte man vorsichtig sein, wenn man inmitten einer Kunstpräsentation Hygiene betreiben will. Im Art-Hotel allerdings ist dies völlig gefahrlos möglich. In einem popartmäßig gestalteten Zimmer steht mitten im Raum, fast zwischen Bett und Fernseher, eine gelb-grüne Badewanne auf pinkfarbenen Füßen. Warum auch sollte man nur dort baden dürfen, wo Kachelwände die Sicht versperren? Dass der Schampus auch direkt an die Wanne geliefert wird, kann der Zimmerservice allerdings nicht garantieren.

Zwei Zimmer widmen sich der Geschichte des Gebäudes. In einem sind die Wände mit historischen Fotos tapeziert und zeigen die Belle Epoque in Wuppertal, als die Region im 19. Jahrhundert noch Zentrum der Textilindustrie war. Im anderen Zimmer ist an den Wänden das berühmte Doppelportrait von Karl Marx und Friedrich Engels zu bewundern. Der imposante fünfstöckige Klotz, in dem nun das bewohnbare Kunstmuseum untergebracht ist, war nämlich vor 150 Jahren eine Eisenfabrik – und die gehörte der Familie Engels. Mit jener Fabrik, so ist auf der Webseite des Art-Hotels zu lesen, wurde also dereinst der Weltkommunismus finanziert. Denn Marx hätte ohne seinen vermögenden Freund nicht so viele dicke und weltverändernde Bücher schreiben können.

Marx, Engels und sogar Che Guevara als Wandschmuck in einem Fünf-Sterne-Hotel wirken allerdings zunächst etwas fremd und verloren. Doch ganz so raubtierkapitalistisch ist das Nobelhotel gar nicht. Es gehört einer gemeinnützigen Stiftung. Der Hotelier Erich Bethe gründete mit seiner Frau Roswitha die Bethe-Stiftung. Jene kaufte vor vier Jahren den Gebäudekomplex. Der Erlös des Hotelbetriebs und ein Teil des Gewinnes aus Kunstverkäufen geht direkt an die Stiftung. Mit jenem Geld werden bundesweit Kinderhospize unterstützt. Erich Bethe, durch einen tragischen Fall in der eigenen Familie auf das Thema gestoßen, wirkt fast schon klassenkämpferisch, wenn es um die Rechte schwerkranker Kinder geht. „1.200 Kinder bräuchten einen Hospizplatz. In Deutschland haben wir aber erst 70 Betten“, schimpft der 65-jährige.

So geht nicht nur der Gewinn des Hotels an die Hospize, Bethe stellt trauernden Eltern fünf Tage im Jahr sein Fünf-Sterne-Hotel zur Verfügung. „Der Tod eines Kindes bedeutet für die Eltern oft die soziale Isolation“, sagt der alte Herr mit dem weißen Vollbart. Deshalb sei es wichtig, wenn sich trauernde Eltern aus dem ganzen Land für eine knappe Woche in Wuppertal treffen könnten. „Und sich verwöhnen lassen. Manche habe ich am Ende der Zeit schon wieder zaghaft lächeln sehen.“ Für ehrenamtliche Mitarbeiter der Kinderhospize ist Übernachtung und Bewirtung in dem bunten Haus auch umsonst.

Zur Zeit ist in der Galerie gleich neben dem Empfang eine Ausstellung des Deutschen Kinderschutzbundes untergebracht. Wenn Schulklassen zu Besuch kommen, gibt es für die kleinen Gäste von der Hotelküche Getränke und einen kleinen Imbiss – natürlich umsonst. Bei so viel Wohltätigkeit bleibt die Frage, welchen Bezug Erich Bethe zu Friedrich Engels und zum Marxismus hat. Das Gebäude habe er ohne das Wissen um den berühmten Vorbesitzer gekauft, erklärt Bethe. Erst die Denkmalschutzbehörde habe ihn darauf aufmerksam gemacht. Revolutionstouristen vornehmlich aus der Volksrepublik China und aus den fünf neuen Bundesländern würden das „Art Fabrik & Hotel“ in Wuppertal besuchen, um mehr über Friedrich Engels zu erfahren.

Bethe selbst ist kein Verehrer des klassenkämpferischen Kapitalisten aus Wuppertal. „In dieser Fabrik hier haben Männer, Frauen und Kinder 16 Stunden am Tag gearbeitet. Die Engels waren eine ausbeuterische Familie.“ Das „Gespenst“, dass vor 150 Jahren begann, durch Europa zu geistern, findet der sozial engagierte Millionär allerdings verlockend: „Theoretisch ist der Kommunismus schon in Ordnung. Aber schauen Sie sich bitte auch die Praxis an.“