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Archiv-Artikel

Dankbare Gastgeber

Die Fußball-EM 2012 wird in Polen und der Ukraine ausgetragen – obwohl weder dortige Infrastruktur noch Funktionäre Zuversicht erwecken. Doch Uefa-Präsident Michel Platini profitiert

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Wer vom polnischen Danzig ins ukrainische Donezk reisen will, der muss mehr als 1.500 Kilometer überbrücken – Luftlinie wohlgemerkt. Nimmt man die Entfernung zwischen den möglichen Austragungsorten der Spiele, gibt es bald die größte Fußball-Europameisterschaft, die je stattgefunden hat. 2012 treffen sich die besten Kicker-Nationen Europas in Polen und der Ukraine, um den kontinentalen Champion auszuspielen. Das hat gestern im walisischen Cardiff das Exekutiv-Komitee der Europäischen Fußball-Union (Uefa) entschieden. Seit 1960 wird der Titel eines Europameisters im Fußball vergeben – und noch nie hat eine Endrunde in Osteuropa stattgefunden. Die Freude in der Ukraine war groß, die in Polen beinahe überschäumend.

Eine Überraschung war die Vergabe der EM an das Bewerberduo indes nicht. Zu schwach waren die Gegenkandidaten. Italien leidet immer noch unter dem Schock eines Manipulationsskandals, der bis heute nicht zur Gänze aufgeklärt ist. Soeben erst hat die Staatsanwaltschaft Neapel Anklage wegen Sportbetrugs gegen 48 Schiedsrichter und Sportfunktionäre erhoben. Die Doppelbewerbung von Ungarn und Kroatien war allein deshalb schon wenig aussichtsreich, weil im fußballerisch zur Zwergennation geschrumpften Ungarn so gut wie gar keine Begeisterung für die Europameisterschaft aufkommen wollte.

Und so waren Polen und die Ukraine zu Favoriten geworden, obwohl auch die Fußballverbände der beiden Bewerber alles andere als gut beleumundet sind. Grigori Surkis, der Präsident des ukrainischen Fußballverbandes, ist nicht nur als schwerreicher Oligarch und Parteigänger der antiorangen Kräfte in Kiew eine überaus umstrittene Figur, er war als ehemaliger Präsident des Hauptstadt-Clubs Dynamo Kiew auch in einen Bestechungsskandal verwickelt. Weil Schiedsrichter vor Kiews Europacup-Spielen mit Pelzmänteln bedacht worden waren, wurde Dynamo für ein Jahr von allen europäischen Wettbewerben suspendiert.

Micha Listkiewicz, der polnische Verbandschef, stand sogar schon einmal unter staatlich angeordneter Kontrolle, weil Sportminister Tomasz Lipiec ihm die Aufarbeitung des größten Manipulationsskandals in der polnischen Ligageschichte nicht zutraute. Weil es aber der Weltfußballverband (Fifa) gar nicht gerne sieht, wenn sich die Politik in die ach so gepriesene Autonomie des Sports einmischt, drohte Sepp Blatter mit dem Ausschluss Polens aus der Fußballfamilie. Seither sitzt Listkiewicz wieder fest im Sattel. Zwei saubere Bewerber haben sich da also durchgesetzt.

Michel Platini, der Uefa-Präsident, dürfte dennoch glücklich über die Entscheidung sein. Er war als Sozialreformer des europäischen Fußballs angetreten. Vor seiner Wahl zum Präsidenten der Uefa im Januar dieses Jahres hatte er sich als Anwalt der sogenannten kleinen Fußballnationen präsentiert. Er wollte dafür sorgen, dass Länder wie Moldawien, Armenien oder Georgien ein wenig mehr Präsenz zeigen können auf der europäischen Fußballbühne. Viel hat er ihnen bislang nicht bieten können. Die versprochene Reform der Champions League zuungunsten der Verbände, die vier Teams für den Europapokalwettbewerb melden dürfen, blieb aus. Dann setzte es vorgestern noch eine Niederlage in Cardiff. Das Uefa-Exekutivkomitee hat sich dagegen ausgesprochen, 24 statt wie bislang 16 Teams zu einer Europameisterschaft zuzulassen. Sich für eine Aufstockung einzusetzen, das hatte Platini vor seiner Bestallung zum Präsidenten versprochen. Doch die Mehrheit der 16 Mitglieder der Exekutive entschied dagegen, ein Turnier auszutragen, bei dem außer Andorra, San Marino und den Färöer Inseln fast jeder Mitgliedsverband hätte teilnehmen dürfen.

Nein, es lief wirklich nicht allzu gut für den stets forsch auftretenden Franzosen. Das Votum für die Doppelbewerbung der Ukraine und Polens dürfte ihm nun wieder ein wenig Rückenwind gegeben haben. Denn Michel Platini hat einen Plan. In seinem Wahlprogramm hatte er angekündigt, dafür sorgen zu wollen, die Strukturen der Uefa zu professionalisieren. Was er unter anderem damit gemeint hat: er will sich als hauptamtlicher Uefa-Präsident, ebenso wie Fifa-Chef Sepp Blatter, für seine Arbeit ein paar Franken aufs Konto schaufeln. Dafür muss das Statut der Uefa geändert werden, wofür auf dem außerordentlichen Uefa-Kongress, der im Mai in Zürich stattfinden wird, eine Zweidrittelmehrheit nötig ist. Deshalb dürfte Stimmenfänger Platini heilfroh sein, dass sich die osteuropäische Bewerbung durchgesetzt hat.

Auch auf die Bewerberrunde 2016 dürfte sich der 51-Jährige freuen. Die französische Sportzeitung L’Equipe meldete gestern, dass sich Frankreich für die EM in neun Jahren bewerben will – das kleine Heimatland des großen Präsidenten.