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Archiv-Artikel

Versteigerung der Abgas-Aktien

Umweltminister Gabriel hofft, dass der Bundestag eine Verteuerung der Luftverschmutzung beschließt. Stromkonzerne und Industrie müssten zahlen

BERLIN taz ■ Die Luft mit Kohlendioxid zu belasten, soll Geld kosten. Eigentlich. Das ist die Idee modernen Klimaschutzes. Praktisch bekommt die Wirtschaft ihre Verschmutzungsrechte aber geschenkt. Vielleicht nicht mehr lange: Die Versteigerung der Abgas-Zertifikate könnte demnächst im Bundestag beschlossen werden, sagte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) gestern.

Das Bundeskabinett hatte zuvor den Plan für den Emissionshandel in Deutschland zwischen 2008 und 2012 abgesegnet. Industrie und Energiewirtschaft dürfen pro Jahr 453 Millionen Tonnen klimaschädlichen Kohlendioxids ausstoßen. Die Abgas-Aktien dafür bekommen sie kostenlos, obwohl die EU erlaubt, zehn Prozent zu versteigern. Die Auktion würde die Verschmutzungsrechte verteuern. Deshalb sind die Unternehmen und Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) dagegen, die Umweltverbände aber dafür.

Um nicht für höhere Verbraucherpreise beim Strom verantwortlich gemacht zu werden, hatte Gabriel die Versteigerung lange abgelehnt, kürzlich aber seine Position geändert. Die Stromkonzerne haben zurzeit keinen Spielraum für Preiserhöhungen, schätzt Gabriel. Gestern räumte er Meinungsverschiedenheiten im Bundeskabinett ein. „Im parlamentarischen Verfahren“ könnten die Fraktionen von Union und SPD aber durchaus beschließen, einen Teil der Treibhausgas-Zertifikate ab 2008 zu versteigern, sagte der Bundesumweltminister.

In der Union hieß es dazu, die Debatte sei „offen“. Katherina Reiche, Mitglied im Bundesvorstand der CDU, hatte sich positiv geäußert. Auch bei der SPD plädieren Umweltpolitiker für die Versteigerung, Wirtschaftspolitiker sind eher dagegen.

Als Reaktion auf den Kabinettsbeschluss warf der Bund für Umwelt und Naturschutz dem Minister vor, „klimaschädliche Neubauten von Kraftwerken zu begünstigen“. Gabriel sei „vor der Kohlelobby eingeknickt“, ergänzte der grüne Umweltpolitiker Reinhard Loske.

Die Kritik entzündet sich unter anderem daran, dass das Umweltministerium bei modernen Braunkohlekraftwerken längere Jahreslaufzeiten unterstellt als bei alten. Demzufolge erhalten neue Kraftwerke mehr Verschmutzungsrechte als alte Anlagen. Loske bemängelte, dass dadurch neue Braunkohlekraftwerke bevorzugt würden. „Ausgerechnet der klimaschädlichste Energieträger bekommt eine Sonderbehandlung“, sagte der Grüne. Braunkohlekraftwerke stoßen durchschnittlich 950 Gramm Kohlendioxid pro Kilowattstunde Strom aus, Anlagen mit Steinkohlefeuerung 750 Gramm, Gas-Kraftwerke 365 Gramm.

Gabriel wehrte sich mit dem Argument, pro Kilowattstunde Stromproduktion gebe es keinen höheren Grenzwert für Braunkohle als für Steinkohle. „Kein Kraftwerk darf mehr als 750 Gramm ausstoßen, das ist die absolute Obergrenze“, sagte der Minister. Er warnte davor, die Rahmenbedingungen für Braunkohle- und Steinkohlekraftwerke so ungünstig zu gestalten, dass die Stromkonzerne diese Anlagen nicht mehr wirtschaftlich betreiben könnten. Mit erneuerbaren Energien und neuen Gas-Kraftwerken allein könne man die Stromproduktion nicht gewährleisten.

„Science-Fiction finde ich gut“, sagte Gabriel, „aber nicht in der Politik.“ HANNES KOCH