: Soe Aung hat ausgeträumt
17 Milliarden Euro müsste die internationale Gemeinschaft in den nächsten drei Jahren lockermachen, um HIV und Aids wirksam vorbeugen und behandeln zu können. Das fordern die Vereinten Nationen in ihrem aktuellen Bericht. Derzeit stünden nicht einmal 6 Milliarden Dollar zur Verfügung. UN-Aids und das UN-Kinderhilfswerk Unicef stellen in dem Bericht fest, dass derzeit nur jeder vierte derjenigen, die unter Armut und an Aids leiden, mit geeigneten Medikamenten behandelt wird.
Insgesamt leben weltweit 39,5 Millionen Menschen mit dem HI-Virus. In ärmeren Ländern werden aber nur 2 Millionen Aidskranke mit antiretroviralen Medikamenten behandelt, heißt es. Das sind 28 Prozent der schätzungsweise 7,1 Millionen Menschen, die dringend auf die Behandlung angewiesen wären.
In Asien und der Pazifikregion will man nicht länger auf Hilfe von außen warten. Vom 19. bis 23. August findet in Sri Lanka eine große Regionalkonferenz statt, die die Arbeit vernetzen soll. Ein Sprecher des Netzwerks APN+, dem Organisationen von Aidsaktivisten aus 28 Ländern angehören, kritisierte neben der Nichteinhaltung von Finanzzusagen der Geberländer auch die diskriminierende Einstellung der staatlichen Gesundheitsbehörden vor Ort zu Schwulen und Drogenabhängigen. AFP, IPS
AUS KHAO LAK UND TABLAMU MICHAEL HEINE
„Willkommen in Khao Lak.“ Mit vor der Brust gefalteten Händen begrüßt Hoteldirektor Yanyong Khorpetch seine gerade eingetroffenen Gäste aus Deutschland. Er geleitet sie vom Reisebus in die luftige Lobby, wo das Bedienungspersonal in braunen Sarongs bereits mit kühlen Erfrischungstüchern und Früchtecocktails wartet. Nach einer kurzen Begrüßung bittet Khorpetch die übernächtigten Gäste, ihn auf einen Rundgang durch sein wiedererrichtetes Hotel Bhandari Resort & Spa zu begleiten. Vor einem der im Thaistil gebauten Bungalows bleibt er stehen und demonstriert auf den Wunsch eines Mitreisenden hin, wie hoch die Flut des Tsunami im Dezember 2004 hier stand. Er erzählt, dass nichts mehr stand, er wieder bei null anfangen musste und es dennoch nicht bereut hat. Denn sein Viersternehotel mit weitläufiger Pool-Landschaft, edlem Spa-Bereich und erstklassigem Fischrestaurant ist heute wieder zu 70 Prozent ausgelastet. Zum Schluss seiner Ausführungen erinnert er die Gäste daran, am Abend nicht das reichhaltige Seafood Barbecue zu versäumen.
Zwölf Kilometer entfernt, im Fischerort Tablamu, verlassen Soe Aung*, seine Frau Ma Phyu* und die drei Kinder gerade ihre Betonhütte. Früher wäre der 32-jährige Soe um diese Zeit schon lange an Deck seines Kutters gewesen, um gemeinsam mit seinen Landsmännern die türkisblaue Andamanensee nach Thunfisch und Schalentieren zu durchpflügen. Doch seit der ausgemergelte Mann wegen seiner Erkrankung zu schwach für die Arbeit auf See ist, gibt es für ihn keinen Grund mehr, zum Hafen des 5.000-Einwohner-Ortes zu gehen. Seit bekannt ist, dass Soe Aung HIV-positiv ist und zusätzlich an der hochansteckenden Tuberkulose leidet, sieht man ihn nicht mehr gern hier.
Überhaupt wollen nur wenige im Dorf noch etwas mit ihm oder seiner Familie zu tun haben, erzählt er. So ist der Gang zur örtlichen „Ärzte ohne Grenzen“-Klinik einer der wenigen Anlässe für Soe, seinen stickig-feuchten Betonverschlag zu verlassen.
Aber Soe Aung beklagt sich nicht. Das Leben hier in Tablamu ist zwar hart, aber es ist allemal besser als in seiner birmanischen Heimat Tavoy. Dort hatte er nichts – außer Angst vor dem Terror und der Willkür der Militärjunta von Myanmar, die sich Staatsrat für Frieden und Entwicklung nennt. Regelmäßig tauchten die Soldaten bei ihm auf, um ihn abzukassieren, „obwohl ich nicht mal Arbeit hatte“, erzählt Soe, während er die vermüllte Böschung vor seiner Hütte passiert, die eine Affenhorde eifrig nach Essbarem durchstöbert. Soe Aung erzählt von seiner großen Furcht, die er damals hatte, zwangsrekrutiert zu werden. Vor zehn Jahren hielt er es nicht mehr aus. Er beschloss, ins benachbarte Thailand zu fliehen. „Alle sagten, dass dort das gute Leben sei: Arbeit, Essen und Vergnügen.“
Drei Tage lang war er unterwegs. Mit dem Boot, per Lastwagen und zu Fuß. 10.000 Kyat, etwa 1.300 Euro, musste er an die Schleuser zahlen, bis er schließlich das gelobte Land erreicht hatte. Es war sein gesamtes Vermögen.
Spaß haben nur die Langnasen
Seine erste Station in der neuen Welt war die Ferieninsel Phuket. Im Vergnügungsmekka Patong musste er alsbald erkennen, dass den vielbeschworenen Spaß in Thailand vor allem die Farang, die langnasigen Europäer, haben. Sie flanieren händchenhaltend mit den Mädchen seiner Heimat durch die Straßen, sie essen den Fisch, den er gefangen hat, sie wohnen in den klimatisierten Apartments, die seine Landsleute gebaut haben.
Soe Aungs Vergnügen beschränkte sich auf Sauf- und Drogengelage mit seinen Fischerkollegen sowie gelegentliche Puffbesuche – wenn das Geld dafür reichte. Irgendwann erwischte ihn die Polizei beim Fixen, er ging sieben Monate in den Knast. Dort, mutmaßt er heute, muss er sich an einer gebrauchten Nadel mit HIV infiziert haben.
Als Soe Aung wieder rauskam, sah es kurze Zeit so aus, als würde er in Thailand doch noch das „gute Leben“ finden, von dem er immer träumte. Im Rotlichtviertel traf er ein birmanisches Mädchen, Ma Phyu. Der Teenager mit den Lachgrübchen stand als Touristenlockvogel vor einer Bar. Abend für Abend tauchte Soe Aung bei ihr auf, irgendwann gab sie seinem hartnäckigen Werben nach und ging mit ihm. „Ich kam nach Thailand, um Arbeit zu finden. Gefunden habe ich einen Mann“, sagt die heute 23-Jährige. Ihr Lachen ist objektiv nur schwer mit ihrer Lebenswirklichkeit in Einklang zu bringen: Wie ihr Mann ist auch Ma Phyu HIV-positiv und hat sich mit Tuberkulose angesteckt.
Durch alle Raster gerutscht
Die Geschichte von Soe Aung und Ma Phyu ist kein Einzelfall in der südthailändischen Provinz Phang Nga. Mehr als 30.000 Birmanen leben offiziell in der am heftigsten vom Tsunami getroffenen Region. Noch einmal so viele, schätzen NGOs, halten sich illegal hier auf. Viele von ihnen kamen nach der Flutkatastrophe ins Land, um als billige Bauarbeiter die touristische Infrastruktur wieder aufzubauen. Andere arbeiten auf Kautschukplantagen oder als Fischer, die Frauen meist als Küchenhilfen oder Prostituierte.
Besonders die illegal hier lebenden Birmanen leiden unter systematischer Ausgrenzung: Weil sie keinen Pass haben, bekommen sie auch keine Gesundheitskarte – und ohne die steht ihnen nicht mal eine medizinische Grundversorgung zu. Entsprechend katastrophal ist die Situation vieler Flüchtlinge. Nach einem Bericht von Ärzte ohne Grenzen ist die Säuglingssterblichkeit erschreckend hoch. Sexuell übertragbare Krankheiten, allen voran HIV, nehmen epidemische Ausmaße an. Die meist alleinstehenden jungen Fischer und Arbeiter benutzen keine Kondome und scheuen den Gang zur kostenlosen „Ärzte ohne Grenzen“-Klinik – wenn sie überhaupt von ihr wissen.
Die meisten Sorgen bereiten den Medizinern dort die Koinfektionen von HIV und Tuberkulose. „Allein im letzten Monat hatten wir zehn neue Fälle“, sagt die 42-jährige Krankenschwester Suksri Saneha. Die Thailänderin koordiniert seit 2005 die Klinik, die aus vier Wänden mit einem Resopaltisch als Anmeldung und einem durch einen Paravent abgeteilten Behandlungszimmer besteht. Von den 3.000 Birmanen, die hier im Ort leben, tragen bereits 173 das TB-Bakterium in sich. Normalerweise wird der Erreger von direktem Sonnenlicht abgetötet, doch in den fensterlosen Hütten, die von mehreren Familien bewohnt werden, breitet sich das Bakterium durch Tröpfcheninfektion rasend schnell aus.
Für Suksri Saneha gilt es, herausfinden, wo sich die Familien aufhalten, um auch sie auf TB testen und die Weiterverbreitung der Krankheit verhindern zu können. Ein schwieriges Unterfangen, denn oft wandern die Arbeiter von einer Baustelle zu nächsten. Zunächst einmal jedoch wacht Suksri Saneha darüber, dass Patienten wie Soe Aung und Ma Phyu ihre HIV- und TB-Medikamente regelmäßig einnehmen, damit sich keine resistenten Erregerstämme bilden können.
Auf dem Heimweg beschließt Soe Aung, einen Abstecher zum Hafen zu machen. Während er den barfüßigen Männern zusieht, die auf den Kuttern Netze reinigen, erzählt er, wie sehr sich sein Leben geändert hat, seit die Nachricht von seiner Krankheit in Tablamu die Runde gemacht hat: Zuerst verlor er seinen Job, dann zogen die beiden Familien aus, mit denen er sich eine Hütte teilte. „Früher hatten wir viele Freunde im Dorf“, erzählt der ausgemergelte Mann. „Heute will niemand mehr etwas mit uns zu tun haben.“
Würde er nicht jeden Monat 1.500 Baht, etwa 35 Euro, vom christlichen Hilfswerk World Vision bekommen, müsste er auf der Straße leben. Hilfe vom thailändischen Staat hat er nicht zu erwarten. Im Gegenteil, wie früher in Birma kommen auch in Tablamu regelmäßig Polizisten vorbei, die Illegalen wie ihm Geld abknöpfen. Hat er denn keine Familie? „Meine Eltern habe ich seit zehn Jahren nicht gesehen, ich weiß nicht einmal, ob sie noch leben.“ Doch zurück nach Birma kann er nicht, er will es auch nicht. Weil ihm das Geld dazu fehlt und weil üble Gerüchte kursieren: Birmanische Grenzer sollen kranke Flüchtlinge, die zurück in ihre Heimat wollten, mit Injektionen getötet haben.
So verwartet Soe Aung sein Leben. Die meiste Zeit sitzt er auf einem Stück PVC, das vor seinem Fernseher liegt, oder er putzt seine Buddhafiguren. Das Einzige, was ihn noch umtreibt, ist die Sorge um seine Kinder. „Was wird aus ihnen, wenn ich nicht mehr da bin“, fragt er, „wenn meine Frau auch tot ist? Werden sie es allein schaffen in Thailand?“ Ihre Chancen stehen denkbar schlecht: Die drei sprechen weder Thai, noch haben sie je eine Schule besucht. Die gibt es nicht für birmanische Kinder in Tablamu.
Dank für treue Gäste
Es ist Abend. Im Hotel Bhandari in Khao Lak liegen die ersten Fische auf dem Grill: Red Snapper, Schellfisch, Thunfisch, Riesengarnelen, dicke Tintenfische. Gefangen von Fischern, wie Soe Aung einer war. Hoteldirektor Khorpetch möchte sich mit dem Essen bei den Touristen dafür bedanken, dass sie ihm auch nach dem Tsunami die Treue gehalten haben. „Meine Gäste sollen bei uns die schönste Zeit ihres Lebens verbringen“, wünscht sich Khorpetch und fügt an: „Die besondere Gastfreundschaft der Thai ist Teil unseres Wohlfühlprogramms.“
Angelockt von den würzigen Grilldüften, die der Küstenwind in die frisch renovierte Pool-Landschaft hinüberträgt, rollen auch die letzten Touristen ihre Handtücher zusammen und machen sich auf den Weg zum Abendessen. Ihre Mienen zeugen von Zufriedenheit und einem gesunden Appetit.
* Namen geändert