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Archiv-Artikel

Das bronzene Mädchen

KUNST Eine „entartete“ Skulptur, geschenkte Fassaden aus Amman und Deals, die allen zugute kommen: Die Museumsdetektivin Mariana Castillo Deball zeigt im Hamburger Bahnhof Funde ihrer Spurensuche in Berlins Sammlungen und Depots

„Die Kunst ist die Kunst, aber hier ist ja die Geschichte sogar noch das Bedeutendere“, denkt der Archäologe Michael Hofmann über den Fund von Otto Baums „Stehendes Mädchen“ (1930). Was Hofmann über die ehemals verschollene Plastik äußert, die Mariana Castillo Deball jetzt zeigt, macht deutlich, worum es der in Berlin lebenden mexikanischen Künstlerin geht. Ob Kunstwerk oder Artefakt, die Gewinnerin des Preises der Nationalgalerie stellt die Biografien musealer Objekte in den Vordergrund.

Zum ersten Mal gab es in diesem Jahr statt des Preisgelds eine Einladung zu einer Einzelausstellung in einem der Häuser der Nationalgalerie. Deball entschied sich für den Hamburger Bahnhof, sie nutzte aber die Archive, Sammlungen und Depots der mit der Nationalgalerie verbundenen Museen. Unter dem Titel „Parergon“, Altgriechisch für Nebenwerk, zeigt Deball mit Blick auf scheinbar Nebensächliches in einer sehenswerten, bühnenartigen Schau die Ergebnisse ihrer musealen Feldforschung quer durch die Kunst- und Stadtgeschichte Berlins.

Grausam und kurios

Von diesem „Beiwerk“ gehen grausame, kuriose und spannende Geschichten aus, die sich per Audioguide auswählen lassen. So erfahren wir, dass Baums Skulptur 2010 beim Ausbau der U-Bahn geborgen wurde. Das bronzene Mädchen kam aus dem Trümmerschutt des Zweiten Weltkrieges unter dem Platz vor dem Roten Rathaus zum Vorschein. Es gehörte zu einer Reihe als „entartete“ Kunst geschmähter und beschlagnahmter Werke. Die Skulptur hat durch Feuerhitze und lange Lagerung eine starke Patina erhalten, die es unmöglich macht, den Vorkriegszustand wiederherzustellen. Deball sieht genau darin ihre Stärke – als historisches Beweisstück dafür, dass etwas passiert sei.

Als ob die Zeit stehengeblieben sei, wirken hingegen einige der großzügig verteilten Exponate, die eine nostalgische Bahnhofsatmosphäre verströmen, darunter eine staubige Bahnsteinbank und ein hölzerner Fahrplanständer. Sie zählen, wie auch die Feuerbüchse einer Lok, zu Reliquien jener Zeit, in der das heutige Kunstmuseum bereits kein Bahnhof mehr war, sondern als Verkehrs- und Baumuseum das Vergangene archivierte.

Verstümmeltes Zeugnis

Deballs Fokus auf die Sozialgeschichte reaktiviert nicht nur Objekte, er lässt auch neue Zusammenhänge entstehen und kann kritische Perspektiven auf das Zustandekommen bestimmter Sammlungsbestände entwickeln. Zwei Werke machen das besonders deutlich: Osman Hamdi Beys Gemälde eines persischen Teppichhändlers und zwei ornamentale „Mschatta-Vorhänge“, eindrucksvolle Raumteiler als Verweis auf die steinerne Mschatta-Fassade, die im Museum für Islamische Kunst installiert ist.

Während die Museums-Website die Ästhetikgeschichte der einstigen Palastfassade betont, dessen Ruine 30 km südlich von Amman liegt, und ihre Schenkung durch den osmanischen Sultan an Kaiser Wilhelm II., sieht Deballs Darstellung anders aus. Eine Infragestellung westlicher imperialer Macht schwingt mit, wenn Deball den Entdecker der Ruine zu Wort kommen lässt, der über den Umgang mit dem Kulturgut entsetzt ist: „Das einzige Zeugnis einer großen Epoche wird verstümmelt, während die einzelnen Fragmente im Berliner Museum nicht mehr sein können als Kuriositäten.“

Ein anderer, von der Künstlerin verfasster Text berichtet von einer Geheimvereinbarung zwischen dem deutschen Archäologen Carl Humann und Osman Hamdi Bey, der ein Antiquitätengesetz eingeführt hatte, wonach alle archäologischen Funde Besitz des Osmanischen Reichs waren. An dieser Stelle tritt die Verbindung mit Hamdi Beys Malerei zutage: Denn wenn die Genehmigungen für Grabungen schwer zu bekommen waren, sollen europäische Museen seine Gemälde als Teil der komplexen Verhandlungen gekauft haben. Daneben gab es intensive Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Osmanischen und dem Deutschen Reich unter anderem beim Eisenbahnbau, der oft als Gelegenheit für archäologische Grabungen genutzt wurde.

Deballs investigative, narrative und gestalterische Methoden geben Raum für Ambivalenzen. So können auch anderer Stelle Widersprüche aufgezeigt werden: Es war der Nazi-Bildhauer Arno Breker, der die Totenmaske des jüdischen Malers Max Liebermann anfertigte.

JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

■ Hamburger Bahnhof, bis 1. März 2015