: Von den Schlechten der Beste
Alte Verdi-Wunden brechen auf: Bei der heutigen Wahl des neuen Gewerkschafts-Chefs für Niedersachsen und Bremen entscheidet ein Machtkampf über die künftige Ausrichtung der Dienstleistungsgewerkschaft. Ausgang unbestimmt
Es gehört Chuzpe dazu, einen Mitgliederschwund von 14 Prozent als Erfolg auszuweisen. Aber es ist diese Unverfrorenheit, die Wolfgang Denia auszeichnet. Tatsächlich hat Niedersachsens scheidender Verdi-Chef auch in seinem Landesbezirk Federn lassen müssen: In den sechs Jahren seiner Amtszeit hat Denia gegen SPD- und CDU-geführte Landesregierungen gewettert, Tarifrunden durchkämpft – und doch ist die Zahl der Mitglieder in Niedersachsen und Bremen auf 275.000 gesunken.
Dass aber der Verlust nicht so groß sei wie in anderen Landesbezirken – oder bei der IG Metall – und der Abwärtstrend gestoppt, mache ihn „ein Stück weit stolz“, sagt Denia. Heute gibt er bei der Landesbezirkskonferenz in Hannover-Langenhagen sein Amt ab und verabschiedet sich in die Ruhephase der Altersteilzeit.
Ob er das Feld tatsächlich gut bestellt hat, ob es reicht, „von den Schlechten der Beste zu sein“, ist bei Verdi derzeit umstritten. Nicht wenige sehen die Dienstleistungsgewerkschaft in der Rückenlage. Das wird am Streit um Denias Nachfolger deutlich: Soll es der vom Landesvorstand vorgeschlagene Denia-Vize und Finanzchef Siegfried Sauer, 52, werden – oder Joachim Lüddecke, 48, Leiter des mitgliederstarken Fachbereichs Gesundheit?
Alte Verdi-Wunden aus der Fusion der fünf Einzelgewerkschaften im Jahr 2001 brechen auf: Sauer ist Postler, Lüddecke kommt aus der ÖTV, die in den Chefetagen kaum vertreten ist. Gerüchteweise wird Lüddecke von Bundeschef Frank Bsirske unterstützt, selbst einst ÖTV-Mann in Hannover. Bsirske wird heute zu den 158 Delegierten sprechen. Aber nicht mal Insider wissen derzeit, wer die Mehrheit hinter sich bringen wird.
Lüddecke-Anhänger sagen, Sauer stehe für Kontinuität – „aber es darf nicht so weitergehen, wenn die Gewerkschaft nicht in der Bedeutungslosigkeit versinken soll“. Für Lüddecke spreche seine Erfahrung bei den Arbeitskämpfen. Vorab forderte er nun, künftig mehr Geld in die Bereiche zu pumpen, wo derzeit neue, oftmals prekäre Jobs entstehen: in der Logistik, im Handel oder in der Kommunikationsbranche – da also, wo Verdi traditionell schwächelt.
Auch das Sauer-Lager will aus der Defensive heraus: Bei seiner Vorstellung habe Lüddecke „strategisch nicht überzeugt“, der „Pragmatiker“ Sauer dagegen habe nicht nur das Geld im Landesbezirk zusammengehalten, sondern auch Lage und Perspektiven klug analysiert. Zudem fürchtet die Sauer-Fraktion eine „ÖTVisierung“ des Landesbezirks: Lüddecke werde die komplizierte Struktur der Gewerkschaft nach ÖTV-Manier aufweichen. Dabei geht es um die „Matrix“, die Verdi in 13 Branchen und in Niedersachsen-Bremen in fünf Regionen einteilt. Die einst für den öffentlichen Dienst, Transporte und Verkehr zuständige ÖTV habe zentralistischer über die Branchen hinweg agiert als Verdi heute, heißt es.
Und Denia? Schweigt. Er werde sich hüten, „Schulnoten“ für den einen oder anderen Bewerber zu verteilen, sagt der Noch-Chef. Ab morgen will der 56-Jährige sich „erst mal eine Auszeit genehmigen“. KAI SCHÖNEBERG