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Archiv-Artikel

Bundesregierung ignoriert Wink mit der Dachlatte

INNERE SICHERHEIT Experten kritisieren während Anhörung Mängel bei der Anti-Terror-Datei

BERLIN taz | Bis Jahresende muss das Gesetz über die Anti-Terror-Datei novelliert werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht im Frühjahr 2013 verlangt. Doch die Bundesregierung schuf mit ihrem Gesetzentwurf neue Probleme, wie eine Anhörung im Innenausschuss ergab.

Die Anti-Terror-Datei (ATD) wurde 2006 von der großen Koalition beschlossen. Insgesamt sind rund 18.000 Personen zum islamistischen Terrorismus in der Datei gespeichert, von denen aber nur rund 3.400 in Deutschland leben. Für die ATD werden keine neuen Daten erhoben. Sie dient vielmehr als Indexdatei. So kann die Polizei in der Datei abfragen, welches Verfassungsschutzamt etwas zu einem bestimmten Islamisten gespeichert hat. Früher mussten bis zu 38 Behörden in Bund und Ländern einzeln gefragt werden. Zu jeder Person werden Grunddaten wie das Geburtsdatum bei einer Anfrage sofort sichtbar. Zusätzlich sind „erweiterte Grunddaten“ erfasst, die eine schnelle Einschätzung ermöglichen, etwa Angaben zu Waffenbesitz.

Die Anti-Terror-Datei war umstritten, weil sie die Trennung von Polizei und Geheimdiensten weiter aufweichte. Das Bundesverfassungsgericht entschied allerdings im April 2013, die Datei sei „in ihren Grundstrukturen verfassungsgemäß“. In den Details gab es aber zahlreiche Beanstandungen. Unter anderem dürfen „Kontaktpersonen“ in der Datei künftig nicht mehr in einer eigenen Kategorie geführt werden.

Im Mai hatte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt. Dabei berücksichtigte sie die Karlsruher Vorgaben nicht nur bei der beanstandeten Anti-Terror-Datei, sondern auch bei der ähnlich aufgebauten Rechtsextremismusdatei, die 2012 eingeführt worden war. Die Experten monierten aber, dass der Gesetzentwurf die Regeln zum eigentlichen Datenaustausch, etwa im Verfassungsschutzgesetz, nicht einschränke. Dabei hatte Karlsruhe in Nebenbemerkungen des ATD-Urteils erklärt, dass vage Hürden wie „Wahrung der öffentlichen Sicherheit“ hier nicht ausreichen. „Das war ein Wink mit der Dachlatte, deutlicher kann man nicht warnen“, erklärte der Mannheimer Rechtsprofessor Matthias Bäcker. Inzwischen ist in Karlsruhe schon eine neue Klage anhängig, eingereicht vom Berliner Rechtsprofessor Fredrik Roggan. „Die Klage wird Erfolg haben“, prognostizierte Bäcker.

Außerdem monierten die Experten die neue Möglichkeit zur „erweiterten Datennutzung“. Sie wurde nun auch in die ATD aufgenommen. Mit den Daten der ATD sollen so etwa die Reisewege von Islamisten in die Kampfgebiete abgeglichen werden. Catrin Rieband vom Bundesamt für Verfassungsschutz sprach von „Querschnittsanalysen“, die neue Ermittlungsansätze liefern sollen.

Die Rechtsprofessoren fanden die neue Norm aber viel zu unbestimmt. Der Bayreuther Heinrich Amadeus Wolff sah „ein hohes Risiko, dass diese Norm aufgehoben wird“. „Das wird eine neue Prüfung in Karlsruhe nicht überstehen“, sagte Matthias Bäcker. CHRISTIAN RATH