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Archiv-Artikel

Libertäres Stadtmajazin

Eine Zeitung schreibt über hierarchiefreie und selbstorganisierte Räume in Berlin und Brandenburg und möchte mit den Vorurteilen gegenüber libertären Projekten aufräumen

„Libertäres Stadtmajazin“

■  Das Magazin besitzt keine zentralisierte Redaktion, von der aus die Themen bestimmt werden, sondern baut auf ein Peer-System: Jeweils zwei Autoren erarbeiten gemeinsam einen Text, der dann in das Magazin aufgenommen wird. So soll die Eigenverantwortung gestärkt und eine thematische Vielfalt gefördert werden. Wem diese Art des Schreibens zusagt und wer sich zudem mit libertären Ideen identifizieren kann, ist beim Stadtmajazin herzlich willkommen.

■  Im Netz: www.stadtmajazin.de

(dort findet sich auch eine Ausgabe des Magazins zum Durchblättern)

Demokratische Schulen und Kollektivbetriebe versuchen in Berlin hierarchiefreie und selbstorganisierte Räume zu bieten. Die Redaktion des Libertären Stadtmajazins untersucht, ob sich der libertäre Ansatz in der Praxis bewährt. Schule ohne Noten und Lehrpläne – was nach einer utopischen Fantasie klingt, ist an einigen Berliner Schulen gelebte Realität. Nach dem Vorbild der amerikanischen Sudbury Valley School bieten Freie Demokratische Schulen wie die Ting-Schule in Pankow oder die Demokratische Schule X ein interessengeleitetes Lernen ohne Alterstrennung, vorgegebene Lehrpläne und Noten an. Die SchülerInnen haben die Möglichkeit, sich ihren Lernalltag selbst zu gestalten und ihre Schule selbst zu verwalten.

Doch nicht jeder tritt solchen alternativen Schulkonzepten aufgeschlossen gegenüber. Wie Michl, Redakteur des Libertären Stadtmajazins (LiS) in einem Gespräch mit der taz berichtete, begegneten vor allem bürgerliche Kreise der Abwesenheit von vorgegebenen Lerninhalten mit großer Skepsis. „Lernen Kinder denn da überhaupt was?“, lautete die häufigste Frage. „Sie lernen sogar viel besser“, lautet die Antwort des LiS.

Die Redaktion des LiS hat es sich zur Aufgabe gemacht, mit Vorurteilen gegenüber libertären Projekten aufzuräumen. Ob nun demokratische Schulen, Kollektivbetriebe oder Hausprojekte, ihnen allen will das LiS eine Plattform bieten. „Wir wollen zeigen, dass es auch anders geht“, erklärte Michls Redakteurkollege Fredi. Dieses „anders“ ist für die Redaktion des LiS klar definiert: Eine Gesellschaft ohne Herrschaft soll erreicht werden, in der alle Menschen ungeachtet ihrer Herkunft, ihrer Kultur, ihres Geschlechts und ihrer physischen und psychischen Voraussetzungen gleichberechtigt sind und sich demokratisch aktiv beteiligen können. Und so untersucht die Redaktion, welche Institutionen es in Berlin gibt, die versuchen so etwas zu ermöglichen. Dabei ist ein Aspekt für Fredi und Michl von besonderer Bedeutung: Wie praktikabel sind libertäre Ideen in der Realität?

In den demokratischen Schulen ging das Konzept der selbstorganisierten und hierarchiefreien Schule auf. In ihrer aktuellen Ausgabe berichteten sie aus der Ting-Schule. Dort konnten sie sich davon überzeugen, dass Kinder mehr Lust haben, zur Schule zu gehen, weil es keinen Notendruck gibt. Auch gibt es keine Konkurrenz, was positiv für die Lernatmosphäre ist. Der wichtigste Aspekt sei jedoch der demokratische Charakter. In den Versammlungen bekommen die Kinder Verantwortung, die sie ernst nehmen und nutzen würden. „Dadurch lernen sie, fit fürs Leben zu werden“, resümierte Michl, der für das LiS regelmäßig über die demokratischen Schulen berichtete. In der Ting-Schule in Pankow gestalten zurzeit 30 SchülerInnen im Alter von 5 bis 17 Jahren gemeinsam ihren Schulalltag.

Bei den selbstorganisierten Betrieben gibt es bei der Umsetzung noch einige Probleme. In der zweiten Ausgabe des Magazins befasste sich Fredi mit dem Berliner Fahrradkurier-Kollektiv „Fahrwerk Kurierkollektiv“. Kurierjobs gelten als prekär und schlecht bezahlt. Deshalb sind Ziele des Kollektivs soziale Sicherheit und Hierarchiefreiheit. Wie das LiS berichtet, werden alle geschäftlichen Entscheidungen auf einem Plenum getroffen, und das Geld aus allen Aufträgen wird in eine gemeinsame Kasse gezahlt, aus der alle Kuriere den gleichen Stundenlohn erhalten. Trotz dieses Verteilungssystems hat sich an der finanziellen Situation des Kollektivs nichts geändert: Nicht alle Kuriere können von der Arbeit im Kollektiv leben und haben noch Nebenjobs. „Es läuft also noch nicht ganz so optimal“, kommentierte Fredi. Er erhofft sich, dass das Magazin dabei helfen kann, Probleme wie diese zu lösen.

Nicht nur bei den Themen, auch bei der Gestaltung des eigenen Redaktionsalltags legt das Libertäre Stadtmajazin großen Wert auf Hierarchiefreiheit. Neue MitschreiberInnen sind grundsätzlich willkommen. „Wir wollen, dass möglichst viele Leute ihren Input von außerhalb mitbringen“, wünscht sich Fredi.

LUKAS DUBRO