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Archiv-Artikel

Die Freiheit der anders Denkenden

Nazidemo ohne Vorwarnung

VON GEREON ASMUTH

Nazis mitten in Kreuzberg. Nazis, die durch den Multikultibezirk laufen wollen. Durchs Herz des Alternativviertels. Das ist eine echte Provokation. Und der Gedanke liegt nah: Darf das überhaupt sein? Oder deutlicher gesagt: Kann man diesen unerträglichen Quatsch nicht einfach verbieten? Die Antwort aber ist: Nein, kann man nicht. Zum Glück nicht.

Denn das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut. Es garantiert vor allem Minderheiten, ihre Weltsicht auf die Straße tragen zu dürfen. Und Nazis sind – zum Glück – eine Minderheit. Eine sehr extreme, unerträgliche. Aber solange ihre Organisation nicht verboten ist – und auch dafür gibt es in Deutschland zum Glück sehr hohe Anforderungen –, spricht alles dafür, dass auch Nazis demonstrieren dürfen. Das heißt dann in der Konsequenz auch, dass die Polizei den Aufmarsch schützen muss. Ja, auch vor Gegendemonstranten.

Polizei schützt sich selbst

Allerdings ist nirgendwo festgeschrieben, dass Demonstranten ein widerspruchsfreies Umfeld garantiert werden muss. Wenn die Polizei dennoch Ort und Zeit verschweigt, schützt sie also nicht das Recht der Nazis. Vielmehr hofft sie vor allem, selbst nicht zwischen die Fronten zu geraten. Aus Sicht der Polizei mag das nachvollziehbar sein. Es bevormundet jedoch alle anders Denkenden, also den kompletten Rest der Bevölkerung. Denn der kann nicht einmal entscheiden, ob er gegen die Nazis protestieren – oder ihnen weiträumig aus dem Weg gehen will. So lief eine große Zahl von Migranten den plötzlich prügelnden Nazis in die Arme. Mitten in Kreuzberg. Ohne Vorwarnung. Das ist der eigentliche Skandal.