: Unerschrocken und extravagant
INSZENIERUNG Sie gilt als eine Grande Dame der erotischen Fotografie und ist neugierig auf die Internetwelt. In der Galerie Camera Work stellt die französische Fotografin Bettina Rheims ihre Begegnung mit It-Girls in London vor
VON NADJA NEQQACHE
Ihre Augen blicken verträumt ins Leere; der Schmollmund müde lächelnd; der blonde Bob sitzt akkurat. Mal sieht man die junge Frau mit Zigarette im Mund, mal mit einem Glas Wein in der Hand. Der Instagram-Account der Engländerin Emika ist gespickt mit Fotos, auf denen sie sich leger im Hemdchen am Strand von Madeira, in Nachtclubs oder bei sich zu Hause zeigt. Emika ist DJane, kommt aus London, lebt in Berlin und zählt zu den derzeit angesagtesten It-Girls der britischen Celebrity-Szene.
Ein Post auf Emikas Profil vom 17. September gilt der Einladung zur Eröffnung der Foto-Ausstellung „Bonkers – A Fortnight in London“ vergangenen Donnerstag in der Berliner Galerie Camera Work. Die französische Fotografin Bettina Rheims hat junge Frauen, die sich mit dem Prädikat „It-Girl“ schmücken, porträtiert. Die 28-jährige Emika porträtiert die Fotografin in einem engen schwarzen Lederkorsett. Das Haar zerzaust, die Augen auffallend geschminkt, das Dekolleté prall nach oben gepackt. In aggressiver Pose trifft Emikas Blick direkt die Linse der Kamera. Das Foto wirft eine Seite der jungen Frau auf, die sie so vermutlich niemals auf ihrem Instagram-Profil inszenieren würde.
„Für einen Menschen, der solche Internetspielereien nicht hatte, ist es absolut faszinierend, wie wichtig diese Art von Präsenz für diese Mädchen ist. Für sie sind die besten Tag jene, die die meisten Klicks und Gefällt-mir einbringen“, sagt Rheims, die selbst 62 Jahre alt ist. Was sie vor allem an Foto-Sharing-Apps wie Instagram interessiert, „sind die Momente, die die Mädchen teilen“. Immer gut gelaunt, immer glücklich. Rheims hingegen deckt in ihrem Projekt den Gegensatz davon auf; jenen Moment, der die jungen Frauen im Wandel zeigt. Die Agenda der Künstlerin war es, jene Seiten ihrer Modelle abzubilden, die diese selbst so nie von sich preisgeben würden, ihren Charakter aber dennoch ungemein prägen.
Alles und nichts zugleich
Die ausgestellten Fotografien zeigen Rheims’ Auswahl an Frauen, wie sie vom Äußeren unterschiedlicher nicht sein könnten und doch so viel gemeinsam haben. „ ‚It-Girls‘, das sind für mich Mädchen, die alles und nichts zugleich machen. Mädchen, die es aus welchem Grund auch immer geschafft haben, bei Modeschauen in der ersten Reihe Platz nehmen zu dürfen, und die nun davon träumen, von Karl Lagerfeld entdeckt zu werden“, definiert Rheims.
Ursprünglich wollte die Künstlerin das Projekt in Berlin verwirklichen. Ein paar unglaublich beeindruckende Orte habe sie hier während ihres letzten Aufenthaltes entdeckt, sagt sie. „Ich habe in Berlin etwas gesehen, das mich davon überzeugte, dass es funktionieren könnte. Dann haben wir begonnen, die Mädchen zu casten. Sie waren brillant, sehr anmutig, aber sie waren nicht extravagant“, erzählt Rheims. Junge Frauen, wie sie ihre Ausstellung zeigt, gibt es nur in London: „London war für mich schon immer ein besonderer Ort. Die Menschen dort sind offen für alles, und so war es auch mit den Models.“
Derbheit, Nacktheit und dezente Anstößigkeit prägen Rheims’ Bilder. Auf dem Porträt mit dem Titel „Pre-Raphaelite Dungeon Queen“ sieht man die junge Londonerin Morwenna Lytton Cobbold. Die roten Locken fallen ihr sanft über die Schultern, ihre feines Gesicht gleicht dem einer Elfe. Sie sitzt, in ein weißes Laken gehüllt, mit gespreizten Beinen auf einem SM-Bondage-Stuhl, im Hintergrund eine mit rotem Leder gepolsterte Wand. Morwenna zeigt dabei nicht viel Haut, lediglich ihre linke Brust rutscht ein klein wenig über das Top. „Morwenna war wirklich klasse! Ein absolutes ‚It-Girl‘ “, sagt Rheims. Als Tochter einer gut situierten englischen Familie, „die wahrscheinlich sogar irgendwie mit dem Königshaus verwandt ist“, wirft Rheims ein, wurde Morwenna mit den besten Voraussetzungen zum It-Girl geboren.
Besucht man deren Blog „Morwenna Mondays“, sieht man eine junge Frau, die sich selbst mit der Titulierung Model/Photographer/DJane schmückt, die sich in wöchentlichem Wechsel an italienischen und spanischen Stränden bräunt und nichts davon unkommentiert lässt.
Rheims widmet sich seit Beginn ihrer Karriere Anfang der 1980er Leitthemen wie Weiblichkeit, Selbstinszenierung und Sexualität in all ihren erotischen und voyeuristischen Facetten. „In einem Umfeld, umgeben von Männern, habe ich mich immer mit Frauen beschäftigt. Das war immer meine Welt, mein Universum“, sagt die Künstlerin. Ihre Arbeiten sollen Frauen helfen „zu lernen, mit der eigenen weiblichen Zerbrechlichkeit umzugehen, ohne dabei Schwäche zu zeigen“.
Neben der Fähigkeit, Frauen in intimen Momenten stets elegant abzubilden, beherrscht Bettina Rheims auch die Kunst, die Seele ihrer Models innerhalb kürzester Zeit zu entblößen. „Diese Gabe hatte ich schon immer. Seit ich mit dem Fotografieren anfing, konnte ich während der ersten Minuten der Aufnahmen unmittelbar eine Beziehung zu den Frauen aufbauen“, sagt die Künstlerin. Es sei nur ein kurzer Moment, ein Augenblick, der darüber entscheide, wie viel das Model vor der Kamera von sich preisgeben wird. Gerade bei der Arbeit mit den It-Girls war das extrem wichtig, „denn ein weiteres Phänomen, das diese Mädchen umgibt, ist, dass sie heute noch Millionen von Followern haben, während sie morgen vergessen sein können und sich niemand mehr an ihre Namen erinnert“, sagt Rheims.
■ Bettina Rheims: „Bonkers – A Fortnight in London“. 19. September bis 29. November, Camera Work