: Moritz Rinke rettet Abend
Zeitgenössische Autoren liefern projekthafte Uraufführungsabende. Im dritten Teil von „Schöne neue Werte“ geht es bei den Dramensammlern am Bielefelder Theater um Demut, Ordnung und Mut
AUS BIELEFELD HEIKO OSTENDORF
Demut, Ordnung und Mut sind schöne neue Werte. Auch im dritten Teil der so genannten Dramensammler im Bielefelder Theater ergeben Stücke, Fragmente, Minidramen, Szenen und Skizzen zusammen wieder eine abendfüllende Uraufführung. Mit „Jesus – search and destroy“ liefert die Autorin Carmen Priego als erste einen pseudo-theologischen Text im Stile modernisierter Psalmen. Wie bei den biblischen Vorbildern wird hier geklagt und gehadert, geflucht und gebeten. Doch der Monolog schrammt lediglich an der Oberfläche religiöser Orientierungslosigkeit, wirkt zu frömmelnd. Auch die engagierte Interpretation der Schauspielerin Christina Huckle rettet wenig. Zu viel Demut schadet eben.
Fade ist auch der Beigeschmack bei Katharina Schmidts Doppelschauspiel „Schwarz Mut Weiss“ und „Emanzipation“. Ihre Dialoge zeigen zwar rührend die verbale Impotenz der Gesellschaft, kommen aber über simple Beschreibung nicht hinaus, obwohl Regisseur Christian Schlüter auf einem Mini-Laufsteg diese Oberflächlichkeit geschickt in Szene setzt. Dennoch scheint es so, als habe sich das Theater beim dreiteiligen, über die ganze Spielzeit verteilten Stückereigen „Schöne neue Werte“ für die letzte Etappe in der Studiobühne zwei der schlechteren Stücke aufgehoben.
Den Abend rettet Moritz Rinke. Tief taucht er in seinem Stück „Die deutsche Ordnung“ in die braunen Abgründe deutscher Tugenden ein: Ein Jude ist auf der Suche nach dem Gold seines Vaters und gerät dabei an einen deutschen Frührentner, ausgerüstet mit Trainingsanzug und Ordnungsfimmel. Der hat sich im Ruhestand der Missionierung von Müllsortierungsverweigerern verschrieben. Jetzt muss der aus der Emigration Wiedergekehrte erst einmal lernen, welche Flasche in welchen Abfall kommt, dass Verpackung in das gelbe Loch gehört und Papier in den Schlitz. Anfängliche Widerstandsversuche werden schnell vom brüsken Auftreten dieses wahren Deutschen erstickt, niemand entkommt eben teutonischer Gründlichkeit. Intendant Michael Heicks findet in diesem Text zahlreiche satirische Elemente und spielt gekonnt mit ihnen. Er zeichnet die Figuren sympathisch und lässt sie am Ende in einer Umarmung sogar zueinander finden. Es gibt auch Völkerverständigung durch Mülltrennung!
Vor den drei Dramen gab es im Stadttheater Tanz. Hauschoreograf Gregor Zöllig hat sich mit drei Kollegen dafür an eine tänzerische Umsetzung von Steve Reichs epochemachender minimalistischer Komposition „Drumming“ gewagt und seziert gleich im ersten Teil des Musikstücks den menschlichen Bewegungsapparat in Einzelteile. Zwischen den Stoffbahnen eines grauen Quaders tauchen hier eine Hand, dort Füße oder ein Kopf auf. Dazwischen weben sich Arme, die Beine sind noch auf selbstständiger Erkundungstour.
Mit Leichtigkeit und viel Humor taucht der Zuschauer bei Zöllig in die Welt der Bewegungen ein. Wie ein Kind, das nach und nach seine motorischen Fähigkeiten entdeckt. Die Nähe zu Reichs minimalistischer Popmusik spiegelt sich auch in der Choreografie des Israelis Shlomi Bitton wider, die er in einer Science-Fiction-Welt zwischen Manga und 1970er-Jahre-Utopie-Spielfilm als Machtspiele zeigt. Da sind es die Männer, die zur Freude einer Frau tanzen müssen und mit Hundeleinen über die Bühne geführt werden.
29.04., 19:30 Uhr Infos: 0521-515454