: Die höhere Ordnung des Wusts
KUNST Die Kunsthalle Bremen zeigt eine Retrospektive des jung gestorbenen US-amerikanischen Künstlers Jason Rhoades. Genaues Hinschauen ist empfohlen
VON RADEK KROLCZYK
Bereits vor mehr als einem Monat war aus der Kunsthalle zu hören, aus den USA sei eine Reihe Container eingetroffen. Ihr Inhalt: Rigipsplatten, Styropor, Schaumstoff, Schläuche, Kabel, Leuchtstoffröhren, Holzlatten und Stahlrohre. Was klingt wie eine Fracht für eine Baustelle, war in Wirklichkeit ein hoch versicherter Kunsttransport.
Enthalten waren darin Bauteile für Installationsarbeiten des US-amerikanischen Künstlers Jason Rhoades. Sie sind nun unter dem Titel „Four Rhoades“ in der Kunsthalle Bremen zu sehen. Die Ausstellung wurde erstmals im vergangenen Jahr am Institute of Contemporary Arts in Pennsylvania gezeigt. Es ist die erste umfangreiche Retrospektive des 2006 gerade mal 41-jährig verstorbenen Künstlers, der es in den gut 10 Jahren seiner Aktivität zu einigem Ruhm gebracht hatte.
Die „Four Rhoades“ im Titel sollen vier mögliche Zugänge zum komplexen Werk von Jason Rhoades aufzeigen. Darin finden sich zum Einen Symbole amerikanischer Freiheitsversprechen, das Übertreten sexueller Tabus, seine ganz persönliche, mitunter kindliche Mythologie und schließlich größere Referenzsysteme.
Das klingt didaktisch und abstrakt? Ein wenig äußere Ordnung tut einer Schau, die aus lauter Materialhaufen besteht, ganz gut. Und konkret wird die Erfahrung der Werkinstallationen notwendigerweise. Denn man muss schon ganz genau hinschauen, um den teils riesigen Arbeiten etwas abzuringen.
Zu Beginn im holzgetäfelten Kupferstichkabinett findet man einem gestrandeten Raumschiff gleich die Reste eines gelben Pontiac. Übrig ist nur die Karosserie. Wo sonst die Räder wären, stehen gepolsterte Stühle. Der Wagen ist in Rente und hat es gern bequem. Die Nummer 90 des ehemaligen Rennautos hat jemand zur 94 umgekrakelt. Man wird nicht jünger. Am Heck sind – gut gemeint und doch vergeblich – zwei Flammenwerfer montiert. Ganz so, als könnten sie das Wrack noch einmal auf zu den Sternen hieven.
Auch wenn man Rhoades gern als Kritiker der US-Kulturindustrie bemüht: Seine Arbeiten lassen sich nicht so interpretieren, wie man in der Schule gelernt hat, es Gedichten anzutun. Es gibt Geschichten, keine Message. Das Material bringt natürlich seinen eigenen Inhalt mit. Die Deutung aber ist offen. Es gibt viel zu entdecken.
Etwas die Rauminstallation „My Madinah“ von 2004. Rhoades hat eine Sammlung an „Puyssy-Words“ angelegt – Muschi-Wörter, wie Kunsthallendirektor Christoph Grunenberg übersetzte. Knapp 100 solcher Wörter hängen in einem Raum der Kunsthalle in Leuchtröhrenschrift von der Decke: „Flesh Wound“, „Penis Holster“, „Velvet Box“. Darunter liegt ein Teppich aus bunten Frotteetüchern. Darauf sind abgenagte Maiskolben platziert. Auf orientalischen Hockern kann der Besucher Platz nehmen. So also stellte Rhoades sich sein Medina vor – im Islam bekanntlich die zweitwichtigste heilige Stadt.
Schwieriger wird der Versuch, sich in einer von Rhoades Garagen zurechtzufinden. In Bremen ist „Garage Renovation“ von 1993 zu sehen. Im Zentrum steht ein löchriger Bau aus Holzlatten und Rigipsplatten. Zentral im Innenraum hängt an einem Kran ein großer seltsamer Motor. Drumherum allerlei Gerümpel. Man fühlt sich an die Garage eines Messies erinnert. An den Bastelkeller einer Person, die alles mögliche Weggeworfene sammelt und wiederverwertet. Angehörige fürchten oft den Tod solcher Allessammler. Und auch wenn oftmals betont wird, wie sehr Rhoades sich auf amerikanische Kultur bezieht: Auch in Deutschland wird viel Schrott gesammelt und verbastelt.
„Garage Renovation“ ist dabei keineswegs die bloße Nachbildung oder das Modell eines Bastelschuppens. Rhoades’ Installation kommt vielmehr einer Erzählung über eine Garage gleich. Dabei finden wir allerlei narrativ erfundene Gegenstände. An einer Leiste hängen Nachbildungen von Werkzeugen aus Aluminiumfolie. An einer anderen Stelle steht eine Mikrowelle aus Karton. Innen ist auch sie mit Alufolie ausgestattet (bekanntlich führt Aluminium in einer Mikrowelle zu elektrischen Entladungen). Auf einem Teller darin liegt etwas Undefinierbares, das sich jemand warm zu machen scheint. Anders als in reellen Garagen findet sich in diesem ganzen Haufen Schrott aber kein Körnchen Staub. Dafür riecht es etwas ölig. Es ist eben doch kein Alltag, der uns im Museum begegnet, sondern die Fiktion von Alltag. Und die kann meist auf Staub ganz gut verzichten.
■ bis 4. Januar 2015, Kunsthalle