: Hilfe, die Schule brennt!
Vor dem Roten Rathaus demonstrierten 2.500 Schüler und Azubis für bessere und gerechte Bildung. Unterstützung von Grünen und Linkspartei
von FELIX LEE UND CLAUDIUS PRÖSSER
Wie schlimm muss es um Berlins Schulen bestellt sein, wenn Schüler gegen Unterrichtsausfall protestieren? „Natürlich freue ich mich, wenn die eine oder andere Stunde ausfällt“, sagt der 16-jährige Paul vom Heinrich-Schliemann-Gymnasium in Prenzlauer Berg. Fänden aber 17 von 30 Wochenstunden nicht statt, werde er schon nervös. „Das Abitur muss ich ja trotzdem bestehen.“ Die gleichaltrige Eleni von der Käthe-Kollwitz-Schule im selben Bezirk fordert eine Abschaffung des dreigliedrigen Schulsystems. Seit Jahren werde darüber geredet, jetzt müsse das „endlich konkret umgesetzt“ werden.
Rund 2.500 Schüler und Azubis gingen gestern für bessere Bildungschancen auf die Straße. Der Protestzug, der laut Polizei friedlich verlief, führte vom Roten Rathaus durch die Innenstadt. Aufgerufen hatte ein Bündnis von Landesschülervertretung, DGB-Jugend und der Bildungsgewerkschaft GEW. „Ausbildung für alle – jetzt!“, forderte ein Sprecher der Schülerinitiative „Bildungsblockaden einreißen“. Mit dem Protest wolle man an das Grundrecht auf Schul- und Ausbildung erinnern und eine kostenfreie, flächendeckende Bildung für alle einfordern, so der Sprecher.
Für viele Schüler war es nicht einfach, zur Demonstration zu kommen, berichtet der 15-jährige Robert von der Emanuel-Lasker-Oberschule am Ostkreuz. Obwohl viele Lehrer die Forderungen der Schüler unterstützt hätten, sei ihnen die Teilnahme verboten worden. Die Leitung seiner Schule habe sogar die Polizei gerufen, um die Schüler vom Protestieren abzuhalten. Gegenüber der taz bestritt die Schulleitung ein solches Vorgehen.
Das Aktionsbündnis forderte derweil den Senat auf, die Lehrmittelfreiheit wieder herzustellen. Für Bücher und Materialien müssten die Schüler oder deren Eltern inzwischen über 100 Euro aus eigener Tasche bezahlen. Zudem appellierten die Initiatoren an den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), sich auf Bundesebene für die Einrichtung eines Ausbildungsfonds einzusetzen.
Unterstützung bekamen die Demonstranten auch von der mitregierenden Linkspartei. Der bildungspolitische Sprecher der Abgeordnetenhausfraktion, Steffen Zillich, findet es „gut und richtig, wenn Schülerinnen und Schüler auf die Straße gehen und ihren Forderungen Nachdruck verleihen“. Seine Fraktion teile „viele der Forderungen“, etwa die nach der Überwindung des gegliederten Schulsystems. Zillich verwies in diesem Zusammenhang auf die geplanten Pilot-Gemeinschaftsschulen. Zillich kündigte an, sich in Kürze zu einem Gespräch mit der LandesschülerInnenvertretung zu treffen.
Özcan Mutlu, bildungspolitischer Sprecher der oppositionellen Grünen-Fraktion, bezeichnete „eklatanten Unterrichtsausfall“, Personalmangel und den schlechten baulichen Zustand vieler Schulen als ungelöste Probleme. In diesem Umfeld könnten Bildungsreformen nicht greifen. Seine Fraktion unterstütze deshalb den Schülerstreik, so Mutlu.
Im Haus von Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) verwies man dagegen auf die Erfolge der Berliner Bildungspolitik. Zöllners Sprecher Kenneth Frisse verwies unter anderem auf das flächendeckende Angebot von Ganztagsgrundschulen, eine schrittweise Verbesserung des Schüler-Lehrer-Verhältnisses in den vergangenen Jahren und „Hunderte von Einstellungen“, die eine Lehrerausstattung von mindestens 100 Prozent garantierten. Frisse warb um Verständnis für bestehende Schwierigkeiten: „Leider lassen sich Bildungssysteme nicht per Knopfdruck umstellen.“
Ob die protestierenden Schüler nachsitzen müssen oder es bei einem klärenden Gespräch bleibt, entscheiden übrigens die jeweiligen Schulen. Frisse: „Dazu braucht es keine Empfehlung der Bildungsverwaltung.“
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