: Lieber Anzug statt Bomberjacke
NPD und freie Kameradschaften breiten sich im Harz aus. Die Politik vor Ort macht das Auftreten der Neonazis ratlos, da sie sich immer bürgerlicher geben. Die Grenzen nach rechts verwischen
VON ANDREAS SPEIT
Klein ist der Laden nicht. In dem Geschäft an der Hauptstraße von Bad Lauterberg werden Tattoos und Piercings gestochen. Die Betreiber bieten auch beliebte Bekleidungsmarken der rechten Szene an. Im Harz keine seltene Geschäftsidee. Allerdings treten NPD und „Freie Kameradschaften“ (FK) in dem Kurort mit dem ältesten Wasserheilbad Deutschlands sonst lieber mit Anzug statt mit Bomberjacke auf. Otto Matzenauer, parteiloser Bürgermeister, beschönigt nichts: „Wir haben hier eine feste Szene“.
Der äußere Wandel der Rechten beunruhigt auch den grünen Ratsherr Fritz Vokuhl: Die Szene falle hier nicht mit „Naziklischees“ auf. Mit Krawatte kommt NPD-Stadtrat Michael Hahn seit seiner Wahl im September zu allen Sitzungen. „Er gibt auch jedem die Hand und stimmt immer mit ab“, berichtet Matzenauer. Die Fraktionen hätten noch keinen Umgang mit dem höflichen NPDler gefunden, klagt Vokuhl. Da Hahn bei Anträgen anderer Parteien häufig unwidersprochen zustimme, verwischten die „Grenzen nach rechts“.
Keine Ausnahme: Im Harz breiten sich NPD und FK derzeit ungehemmt aus – die Distanzierung zur bürgerlich auftretenden rechten Szene fällt aber immer schwerer. Vor zehn Tagen führte das Verhalten des Herzberger Bürgermeisters Gerhard Walter (CDU) beim NPD-Landesparteitag zu einem Eklat.
Das „Dorfgemeinschaftshaus“ im Herzberger Stadtteil Scharzfeld ist eine schmucklose Gaststätte, die Hahn für die rund 100 NPDler gemietet hatte. Vor der Tür plauschte Bürgermeister Walter mit den Rechten, trank dabei eine Apfelschorle (siehe Foto). Außerdem herrschte er Journalisten an: „Keine Bilder!“ Mittlerweile hat der Bürgermeister sich für sein Vorgehen gegenüber den Medien entschuldigt. Und sein Tun gleichzeitig relativiert: Zu viel Beachtung der Rechtsextremen verschaffe ihnen zu große Aufmerksamkeit.
„Wegsehen und verschweigen kann hier nicht helfen“, sagte dazu gestern SPD-Fraktionschef Wolfgang Jüttner im Landtag in Hannover – und attackierte die „publizistische Stille“ der Landesregierung. Es reiche nicht, wenn der Bürgermeister sage, „solange der Parteitag friedlich abläuft, können wir nichts machen“, sagte Jüttner. Immerhin sei Walter CDU-Mitglied. „Bedauerlicherweise“ habe sich Walter gegenüber Journalisten falsch verhalten, gab CDU-Generalsekretär Ulf Thiele zu. Nur mit „arglistiger Täuschung“ sei es den Rechten gelungen, sich im Harz einzumieten, sagte Regierungschef Christian Wulff (CDU). Anstatt „einzelne Spinner zu thematisieren“, solle man lieber Engagement gegen Rechts loben, meinte FDP-Fraktionschef Philipp Rösler.
Vor Ort scheint das ein problematisches Unterfangen. Ein offizielles Schreiben von vier Schulleitungen hat der Lauterberger Stadtchef Matzenauer bis heute nicht beantwortet. Bereits vor Monaten hatten die Rektoren vor dem „Zulauf zur Rechten“ gewarnt.
Am Eingang der Lutterbergschule hängt das Logo der Initiative „Schule ohne Rassismus“. Im September 1999 erhielt sie bundesweit als erste Förderschule diese Auszeichnung. „In der schulfreien Zeit hingen einschlägig bekannte junge Erwachsenen mit Jugendlichen auf dem Schulhof ab“, berichtet Schulleiter Martin Struck. Rechte Kader wollten seine Schüler verführen. Mit Einladungen zum Trinken in einer Kneipe, wo die alten Herren für die jungen Kameraden zahlen. Oder zu Gedenkveranstaltungen für die deutschen Opfer des Zweiten Weltkriegs. Jugendliche, die aussteigen wollen, werden zusammengeschlagen.
Vor zwei Jahren wandte sich die Freiwillige Feuerwehr aus dem Lauterberger Stadtteil Barbis bereits hilfesuchend an den Bürgermeister. Bei Osterfeuern und Schützenfesten war sie immer wieder von Neonazis bedroht worden. Zwischen 50 bis 100 Menschen soll die Szene in der Region umfassen. Bad Lauterberg – eine Nazihochburg? Solche Titulierungen entsprächen nicht die Realität, meint nicht nur Schulleiter Struck: Im gesamten Südharz erhöhen die Rechten zur Zeit die Schlagzahl. Welche Bedeutung die Region für die NPD bei der Landtagswahl, hat, zeigt Hahns Listenplatz: 4.