: Windige Anleihen
Der Kapitalmarkt hat die Umwelt entdeckt. Die Windenergie zum Beispiel. Millionschwere Unternehmensanleihen werden in Stuttgart mit Hilfe ehemaliger Politprominenz an kleine Privatanleger verkauft. Kritische Analysten warnen aber vor ziemlich hohen Risiken. Ist da wirklich alles grün, was glänzt?
von Meinrad Heck
Am Börsenplatz in Stuttgart werden neue Babys geboren. Keine mit großen Kulleraugen, sondern einfach nur Kapital-Nachwuchs, der vielen Menschen ziemlich viel Geld einbringen soll. Die Börse hat die Umwelt entdeckt und sammelt seit einem Jahr zum Beispiel für Solar- oder Windkraftunternehmen mehrere hundert Millionen Euro ein. Das neue Segment heißt „Bondm“. Es soll den Mittelstand mit Barem versorgen, weil die Banken mit ihren Krediten immer knausriger werden und Risiken scheuen. Deswegen leihen sich mittelständische Unternehmen ihr Geld statt bei der Bank gleich bei Otto Normalverbraucher. Der fragt nicht so genau nach, trägt aber jetzt das Risiko. Dafür darf er ein Vielfaches von dem kassieren, was er sonst kennt, und nicht diese angeblich so erbärmlichen Zinssätze vom Sparbuch.
Dabei kann ein gewisser Walter Döring helfen. Der Mann hat das sprichwörtliche Erbarmen mit den armen Geldanlegern. Auch Döring hat die Umwelt entdeckt. Willi Balz, schwäbischer Selfmade-Unternehmer und Chef der Windreich AG aus Wolfschlugen bei Stuttgart, dreht in der Nord- und Ostsee das große Windrad. Er hat den einst tief gefallenen FDP-Mann und baden-württembergischen Wirtschaftsminister a. D. als Zugpferd zuerst in seinen Aufsichtsrat geholt und dann zum stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden gemacht. Jetzt hat Walter Döring wieder was zu sagen. Im hauseigenen TV-Kanal der Börse Stuttgart darf er seinen neuen Brötchengeber preisen. In dem Börsenkanal wird gerne von jenem prallen neuen Baby und von seinem Wachstum erzählt. Geburtswehen oder Kinderkrankheiten bleiben unerwähnt. Die Börse will kaufen und verkaufen.
Hohe Zinsen abholen, lohnt sich für alle Beteiligten
Nun hatte diese Windreich AG im Sommer vergangenen Jahres ihre Bankkredite ausgereizt und brauchte ziemlich schnell 50 Millionen Euro. Windenergie kann reich machen, weswegen die Windreich AG die 50 Millionen an der Börse einsammelte und längst in der Tasche hat. Der Exwirtschaftsminister hatte dieses „fantastische Angebot, das möglichst viele nutzen sollten“, auftragsgemäß im Börsenfernsehen hübsch verpackt. Kinderkrankheiten natürlich nicht erwähnt. Stattdessen die umweltfreundliche Technologie als ein Thema gepriesen, „das jeder haben möchte“, und in holprigem Deutsch den Rat gegeben: „Möglichst viele mitmachen, hohe Zinsen abholen, lohnt sich für alle Beteiligten.“ Schließlich sei seine Aktiengesellschaft „qualitätsüberprüft“, weswegen das Unternehmen quasi gezwungen sei, „höchst seriös zu arbeiten“, denn die Stuttgarter Börse „nimmt ja nicht jede Würstchenbude“. „Tolles Produkt“, sagt Döring, und wird vom Börsen-TV freundlich verabschiedet: „Schön, dass Sie da mitgemacht haben.“
In den folgenden Wochen ging die Unternehmensanleihe bei Kleinanlegern weg wie warme Semmeln. Vom 50-Millionen-Euro-Kuchen konnten sie sich „privatanlegerfreundliche“ 1.000-Euro-Stückchen abschneiden. Bis 2015 werden ihnen dafür jährlich 6,5 Prozent Zinsen versprochen.
Ratingfirma verpasst der AG den Ritterschlag
Wenn Otto Normalbürger und nicht nur die sogenannten institutionellen Investoren – also die Profis – beteiligt werden sollen, gelten laut Wertpapierhandelsgesetz ziemlich strenge Veröffentlichungspflichten. Hunderte von Seiten Geschäftsberichte und Emissionsprospekte mussten im Internet veröffentlicht werden. Seitdem ist bekannt, dass an dem „tollen Angebot“ zunächst einmal Rechtsanwälte, Berater, Vertriebsmenschen oder Werbeagenturen und sogenannte Börsencoaches sehr viel Geld verdienen. Von den 50 Millionen flossen erst einmal bis zu sechs Prozent, macht drei Millionen Euro, für „Strukturierungsgebühren“ oder Marketing sowie interne und externe Vertriebskosten in ihre Taschen.
Die Creditreform hatte der Windreich AG überdies mit einem BBB-Rating den Ritterschlag verpasst und dem Unternehmen von Willi Balz eine „stark befriedigende Bonität“ attestiert. Beste Aussichten also, denn „wesentliches Argument für das insgesamt positive Urteil ist insbesondere die große Projektpipeline von Offshore-Windkraftparks in der Nordsee in Verbindung mit dem positiven Track Record der Windreich AG bzw. von Herrn Balz.“ Unter Track Record verstehen die Börsianer die Erfahrungs- und Erfolgsgeschichte eines Unternehmens. Die Creditreform weiter: „Die Windreich AG hat sich zusammen mit Partnern (…) Anteile an einem Großteil der sinnvollen Flächen gesichert. Bereits die gestellten Anträge verkörpern, auf Grund der abzuleitenden Exklusivität, einen hohen wirtschaftlichen Wert.“
„Besonders positiv“ sah die Rating-Agentur „das Engagement von Herrn Dr. Döring, der acht Jahre stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister des Landes Baden-Württemberg war sowie über Erfahrungen und Kontakte aus weiteren umfangreichen Mandaten in Politik, Banken und Unternehmen verfügt“.
Einen kleinen Dämpfer erhielt die Beurteilung nur, als die Rating-Spezialisten auf manche Privatgeschäfte des Firmeneigentümers Willi Balz gestoßen waren. Denn bevor das Unternehmen mit seinen Anleihen als AG an die Stuttgarter Börse ging, hatte die Vorgänger-GmbH ihrem Eigentümer in mehreren Tranchen 48,5 Millionen Euro geliehen, allerdings nicht für ihr Kerngeschäft, die Projektentwicklung von Windparks zu Land und zu Wasser, sondern – so wörtlich – „im Wesentlichen zum Erwerb historischer Rennwagen“. Ein solcher historischer Rennwagen stand bereits zuvor mit 3,61 Millionen Euro in den Büchern. Macht summa summarum etwas mehr als 52 Millionen und liegt damit – zufällig – recht nah an der Summe von 50 Millionen Euro, die über Kleinanleger an der Börse eingesammelt wurden.
Das hielt die Rating-Spezialisten von der Creditreform allerdings nicht davon ab, dennoch ihr BBB-Gütesiegel zu erteilen. Zwar hatten sie „den Eindruck“, dass diese teuren Autos von Firmenchef Willi Balz besser privat und ohne Gesellschaftsdarlehen hätten finanziert werden sollen, weil „private Aspekte überwiegen“. Sie glaubten allerdings auch, dass die verwendeten Mittel „im dringenden Bedarfsfall der Gesellschaft wieder zur Verfügung gestellt würden“, auch „aus dem Privatvermögen von Herrn Balz“. Am Ende gab sich die Agentur mit der „mündlichen Zusicherung“ eines Wirtschaftsprüfers zufrieden, dass die Darlehen innerhalb von zwei Jahren zurückbezahlt und keine weiteren Privatkredite ausbezahlt werden.
Ob das tatsächlich geschehen ist oder noch geschehen wird und was historische Rennwagen mit Windkraftanlagen zu tun haben, hat die Windreich AG auf Anfrage der Kontext:Wochenzeitung noch nicht beantwortet. Finanzvorstand Matthias Hassels erklärte, das Unternehmen befinde sich gerade inmitten des Prozesses zur Aktualisierung des Ratings. Das neue Gütesiegel solle dieser Tage vorliegen, solange gebe es keine Antwort. Denn, so Hassels, „im Sinne einer Gleichbehandlung aller Investoren und der Öffentlichkeit bitten wir um Verständnis, dass wir vorab zu einzelnen Positionen des Jahresabschlusses 2010 aus börsenrechtlichen Gründen keine Stellung beziehen können. Sobald das Rating-Ergebnis und der Jahresabschluss 2010 publiziert sind, werden wir Ihre Fragen gerne im Einzelnen beantworten.“
Viele Banker und Analysten urteilen über eine solche Vermischung von Geschäftlichem und Privatem nicht in der Öffentlichkeit. Nur wenige reden offen. Ein solches Rating „ist vollkommener Blödsinn“, sagt Heinz Steffen, ein Kapitalmarktexperte von Fairesearch aus Kronberg im Taunus. Steffen beschäftigt sich seit 20 Jahren kritisch mit Wertpapieranalysen. Fairesearch genießt einen exzellenten Ruf in der Branche. Das Unternehmen preist nicht etwa, wie manche Bank, die eigenen Papiere zum Kauf an, sondern will ausdrücklich solche „Interessenkonflikte vermeiden“.
„Das Risiko ist enorm“, sagt ein kritischer Analyst
Ein Interessenkonflikt bestehe schon darin, dass eine Ratingagentur grundsätzlich – wie auch im Fall der Windreich AG – von dem bezahlt werde, dem sie das Gütesiegel ausstelle. Der kritische Analyst hält es zwar grundsätzlich für „super“, dass Mittelstandsunternehmen über die Stuttgarter Börse ihr Geldpolster auffrischen können, rät aber, sich die dort angebotenen Anleihen genau anzuschauen. Denn das „Risiko ist enorm“, die allein rechtsverbindlichen Emissionsprospekte seien „voller Tücken“. Und wenn wie im Fall der Windreich AG Privates vom Geschäftlichen nicht getrennt werde, sei „das Risiko für Privatanleger nicht tragbar“. Dass sich eine Ratingagentur mit einer „mündlichen Zusage“ abfinde, hält Heinz Steffen „für sensationell“.
Warum sich die Agentur darauf einließ, mochte die Creditreform auf Anfrage nicht erklären. Sie arbeite an dem Folgerating, das die Windreich AG zuerst für April 2011, dann für Anfang Mai angekündigt hatte, das bis dato aber nicht publiziert ist. Eine Vorstellung, wie verlässlich ein solches Gütesiegel, mit dem bei Privatanlegern am neuen „Qualitätssegment“ der Stuttgarter Börse geworben wird, tatsächlich ist, erklärt die Creditreform selbst. Eine wie auch immer geartete Haftung soll möglichst ausgeschlossen sein. Deshalb heißt es in den Papieren der Agentur: „Das Rating ist somit keine Tatsachenbehauptung, sondern eine Meinungsäußerung. Die Creditreform Rating AG haftet daher nicht für Schäden, die darauf beruhen, dass Entscheidungen auf ein von ihr erstelltes Rating gestützt werden.“