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Archiv-Artikel

Hier stylt der Chef noch selbst

INDIE Götz Offergeld war Model und später oft pleite. Heute macht er in Berlin-Mitte das Frauenmagazin „Fräulein“

VON ADRIAN PICKSHAUS

Götz Offergeld, 37, steht in einer Unterführung in Berlin-Mitte und schaut ernst an der Kamera vorbei. Er mache das gut, ob er schon öfter posiert habe, fragt der taz-Fotograf den Verleger im hellblauen Sommeranzug. „Na ja, ich bin schon mal fotografiert worden“, sagt Offergeld und lächelt gequält. Was er nicht verrät: Mitte der 90er Jahre schritt er für Armani, Valentino und Dolce & Gabbana in Paris und Mailand die Laufstege ab. Offergeld spricht aber lieber über sich im Hier und Jetzt, über seine Rolle als Blattmacher, der den deutschen Magazinmarkt aufmischen will. Mit Stil. Doch zwischen damals und heute liegt eine spannende Geschichte von Aufstieg und Absturz.

Drei Magazine bringt Offergelds Kleinverlag Off One’s Rocker derzeit an den Kiosk. Intersection, ein Hochglanzmagazin über Autos und Mode. Anorak, ein Kindermagazin, das Eltern gut finden, denen Micky Maus nicht pädagogisch wertvoll genug ist. Und schließlich Fräulein, ein Frauenmagazin, das cool, klug und praktisch zugleich sein will. Nur fünf feste Mitarbeiter stemmen die so verschiedenen wie aufwendigen Nischenprodukte mit vielen freien Autoren und Gestaltern. Klingt sympathisch unabhängig, aber auch nach viel Stress – und wenig Geld.

Im hellen Konferenzraum der Grafikagentur von Fräulein hängt Offergeld das Sakko über einen Stuhl. In seiner linken Armbeuge sieht man eine Tätowierung: einen schwarzen Stern, mehr Rockschuppen als Chefetage. Neben Offergeld tippt die Redaktionsleiterin in ihren weißen Laptop. Die dritte Fräulein-Ausgabe steht an.

„Mal ehrlich: Wir sind ein kleiner Pipiverein. Aber mit einer großen Leidenschaft“, sagt Offergeld. Große Verlage hätten zwar Millionenbudgets, seien aber schwerfällig wie Tanker. Off One’s Rocker hingegen arbeite schnell und effizient. Und mit einer Extraportion Emotion: „Wir alle haben eine enge Bindung zueinander. Vielleicht so wie ein Paar, dass getrennt ist, aber ein Kind zusammen hat.“

Internationale Jobs

Von der Machtfülle her ist Offergeld mehr Pate als Patchworkvater. Er ist Verlagschef, Herausgeber und Chefredakteur aller drei Magazine. Viele der opulenten Fotostrecken in Fräulein und Intersection gestaltet er selbst. Nach der Modelzeit arbeitete er als Stylist für große Modelabels.

Wie man sich gut anzieht, bekam Offergeld schon zu Hause in einer Kleinstadt bei Aachen mit. Sein Vater, Bankkaufmann und Klassikhörer, trug stets Sorge, dass sein Gürtel zu den Schuhen passte. Und seine Mutter, ein ehemaliges Dior-Model, führte eine Modelagentur in Düsseldorf. „Außer Stilbewusstsein hatten meine Eltern so gut wie nichts gemeinsam“, erinnert sich Offergeld. „Manchmal denke ich, meine Mutter war für meinen Vater nur eine Trophäe.“ Als Offergeld neun ist, zerbricht die Ehe an Heiligabend.

Nach diesem Schock verbringt Offergeld viel Zeit auf dem Tennisplatz. Er trainiert hart, träumt davon, Profi zu werden. Sein Vorbild ist Pat Cash, der australische Tennispunk. Doch Offergelds pubertierender Körper stellt sich quer. Erst verschwindet der Knorpel unter seinen Kniescheiben, dann kommen Rückenprobleme hinzu.

Ohne den Sport bekommt Offergeld Probleme mit Autoritäten, schlägt einem Lehrer ins Gesicht. Seine Eltern schicken ihn auf ein Internat bei Bonn: Schloss Hagerhof. Dort trifft Offergeld auf einen schrägen Schülermix: „Wenn wir auf Klassenfahrt gingen, saß da das Töchterchen aus gutem Haus neben dem polnischen Gastarbeitersohn im Reisebus. Louis-Vuitton-Täschchen neben Aldi-Tüte sozusagen.“ Offergeld ist mit Punks, Grufties, HipHoppern und Poppern befreundet – seine Neugier saugt auf, was die Popkultur hergibt.

Vielleicht erklärt das, warum Offergeld in seinen Magazinen so gern mixt, was sonst getrennt wird. Genres und Szenen, Bilder und Texte, Formate und Rubriken verschwimmen zwischen den Heftseiten zu einem durchgestylten Mosaik, im Gegensatz zu vielen Kaffeetischmagazinen wenigstens bemüht um Botschaft und Haltung. Besonders im aktuellen Fräulein wirkt das: Ein feuchter Traum von Kurzgeschichte unterbricht da eine Modestrecke, auf eine Reportage zur Todesstrafe im Iran folgt ein bitterböser Angelina-Jolie-Verriss.

Manchmal greift Offergeld aber auch daneben, dann wirkt sein Eklektizismus unschlüssig bis anbiedernd. So geißelt der Chefredakteur im jüngsten Intersection-Editorial die Automobilkonzerne für ihre PS-Verliebtheit und fordert neue Antriebe und Konzepte. Ein paar Seiten später folgt dann der Porsche-Test inklusive der gefetteten Zwischenzeile „Man müsste so etwas wie Bafög für Porsches einführen, damit man sie im richtigen Alter fahren kann.“

Offergeld hat kein Auto. Er macht aber ein Automagazin – „ohne erhobenen Zeigefinger“, sagt er, etwas zu laut. Die dünne Goldkette hüpft kurz unter seinem Hemdkragen. Er selbst mache sich viele Gedanken über die Zukunft des Planeten, er wolle ja auch mal Kinder haben, „aber bei vielen Männern setzt beim Thema Autos eben das Gehirn aus“. Für die nächste Ausgabe verspricht Offergeld ein Elektroauto-Spezial. Und überhaupt, für die Autokonzerne brumme das Heft gar nicht genug. „Die fragen uns immer: Wo ist der Dreck?“ Doch Offergeld stellt lieber Knabenmodels mit Louis-Vuitton-Schals vor den Audi A7. Und verkauft Hefte und Anzeigen damit. Vielleicht lässt sich die Inkonsequenz so besser ertragen.

Sicherheit in Stilfragen, ein Gespür für Image, das sind auch schon Offergelds Kernkompetenzen, als er Ende der 90er nur mit ein paar guten Kontakten zu Modemachern nach Berlin kommt. Nach einem kurzen Intermezzo bei MTV wird er Geschäftsführer einer PR-Agentur für Mode. Offergeld ist Mitte 20, reist um die Welt, sucht neue Talente – und pusht sie. Alte Labels suchen in Identitätskrisen seinen teuren Rat. Knapp drei Jahre geht es schnell bergauf. Dann bricht alles zusammen.

„Die New-Economy-Krise hat uns voll reingeritten“, erinnert sich Offergeld. Noch als das Ende abzusehen ist, spielt Offergeld den PR-Profi. Er habe gedacht, er kriege das in den Griff, sagt er heute. Doch die Agentur ist nicht zu retten. Die Insolvenz ist der Grund, warum in Berlin auch heute noch einige Leute sehr wütend sind auf Götz Offergeld. „Ich war jung, und ich dachte: Ich kann alles, und ich weiß alles. Und plötzlich bin ich das größte Schwein, das in Berlin rumläuft. Da habe ich wirklich Lehrgeld zahlen müssen.“ Schulden zahle er heute noch zurück, sagt er.

Offergeld ist danach ausgebrannt und leer, bekommt Depressionen und Verfolgungswahn. Fünf Monate lässt er sich in einer Klinik stationär behandeln. „Das war die beste Entscheidung meines bisherigen Lebens“, sagt Offergeld. Noch in der Psychiatrie entwickelt er das Konzept für sein erstes Magazin. Liebling soll Mode, Kultur und Pop auf eine hierzulande bislang unbekannte Weise verbinden.

Wieder draußen schläft Offergeld bei Freunden auf der Couch, leiht sich einen alten Computer, telefoniert und schart ein kleines Team um sich. 2005 erscheint das erste Heft, Medienmacher und Feuilletons sind verzückt: Offergelds Magazin kommt in Postergröße auf Zeitungspapier, bedruckt mit vielen klugen Texten. Aber der Liebling wird schnell krank, nach vier Ausgaben ist vorerst Schluss.

2006 lernt Offergeld Markus Peichl kennen; der Ex-Tempo-Macher und frühere „Beckmann“-Redaktionsleiter ist von Liebling begeistert. Er wird neuer Herausgeber, Offergeld bleibt Chefredakteur. Doch schnell kommt es zu Unstimmigkeiten zwischen den Alphatieren. Offergeld steigt aus, Peichl ersetzt ihn durch den Journalisten Moritz von Uslar. Es hilft nichts, Ende 2008 erscheint das letzte Heft.

Nun hat Offergeld also sein Fräulein. Anorak und Intersection sind Ableger britischer Titel – aber Fräulein hat Offergeld selbst entwickelt. Nach zwei Ausgaben (Auflage: 50.000) sieht es aus, als hätten Deutschlands Frauen zwischen InTouch, Grazia und Vogue noch Platz in der Handtasche – als späten Sieg will Offergeld das aber nicht sehen.

Deutsche Schubladen

Viel Licht sieht er in der Branche nicht, meist eher graues Mittelmaß. Schuld seien die Mutlosigkeit der Verlage und das Publikum. Deutsche versuchten eben, alles in Schubladen zu pressen. Hefte, die etwas riskierten, auch mal Politik und Mode zu kombinieren versuchten, würden am Kiosk gnadenlos abgestraft.

Den jüngsten Genrehybriden der Konkurrenz kann Offergeld wenig abgewinnen. Beef! von Gruner + Jahr schimpft er ein „Kochmagazin für Neandertaler“. Und bei Business Punk aus demselben Haus fragt er sich: „Was ist denn bitte ein ‚Business Punk‘? Die gibt’s doch gar nicht!“

Während er das sagt, stellt sich Offergeld lässig auf den Konferenztisch, der Fotograf will noch ein paar betont kreative Bilder von dem Kreativen schießen. Offergelds Anzughose rutscht hoch, darunter kommen lila Socken mit gelben Streifen zum Vorschein. Vielleicht haben sie bei Gruner + Jahr ja doch an Typen wie Offergeld gedacht, als sie Business Punk entwickelten. An Typen, die erst vieles anders machen wollen und dann auch einiges anders machen. Die aber auf ihrem Weg die Branchenregeln so verinnerlichen, dass die Veränderungen am Ende nur die Oberfläche berühren. Wie wenn man ein altes Auto neu lackiert. Oder selbstbewusste Frauen „Fräulein“ nennt.