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Archiv-Artikel

Schwedisches Sitzfleisch

Wem die Gebühr gebührt (3): Schwedens Öffentlich-Rechtliche sollen ihr Geld mit der Privatkonkurrenz teilen

In Schweden wird der öffentlich-rechtliche Rundfunk ausschließlich über eine Fernsehlizenzgebühr finanziert. Diese beläuft sich derzeit pro Haushalt auf jährlich 1.996 Kronen (ca. 220 Euro). Ihre Höhe wird jährlich vom Parlament festgelegt. Wer nur ein Radio besitzt, muss keine Gebühren zahlen, dennoch erhält Sveriges Radio (SR) 37 Prozent des Fernsehgebührenaufkommens. Weder SR noch das Fernsehpendant Sveriges Televion (SVT) dürfen Werbung zeigen, allerdings dürfen seit einigen Jahren einzelne Sportsendungen von Firmen gesponsert werden.

Juristisch handelt es sich bei SR und STV um Aktiengesellschaften im Eigentum von Stiftungen, die sich selbst verwalten. Die Mitglieder der Verwaltungsräte werden von der Regierung bestimmt, wobei deren Personalvorschläge von allen im Parlament vertretenen Parteien abgesegnet sein müssen. Auf die Programmgestaltung und Personalpolitik haben diese juristisch keinen und praktisch wenig Einfluss. Bis 1992 galt für SR und SVT das Sendemonopol. Als das schwedischsprachige Satellitenprogramm TV3 über London das Monopol aushebelte, erteilte man 1992 mit TV 4 zum ersten Mal einem terrestrisch ausgestrahlten und werbefinanzierten Privatsender eine Sendelizenz.

Traditionell beschwert sich die jeweilige politische Opposition darüber, dass ihre Ansichten im Programm von SR und SVT zu kurz kommen. Durch Statistiken lässt sich das nicht belegen. In der Bevölkerung genießen die Sender mit Abstand das höchste Vertrauen als Informationsquelle. Auch im europäischen Vergleich liegt man mit einer Vertrauensquote von über 80 Prozent an der Spitze. Gab es bislang kaum einen Parteienstreit, wird die Zukunft des SVT seit Antritt der Regierung Reinfeldt in Frage gestellt: Der Auftrag zur „Grundversorgung“ der Bevölkerung könne auch durch ein Privatfernsehen sichergestellt werden, das teilweise mit Lizenzgeldern finanziert werden könnte. Konkrete Pläne sollen bis 2009 ausgearbeitet werden.

Auf internationaler Ebene genießen vor allem die SVT-Eigenproduktionen für das Kinder- und Jugendprogramm einen hervorragenden Ruf, werden regelmäßig mit Preisen geehrt und in viele Länder verkauft. Teurere Fernsehshows wie „Wetten dass . .?“ kann man sich nicht leisten. Bei den zurzeit populärsten Shows an Freitag- und Samstagabenden stehen sich jeweils zwei Teams gegenüber, die entweder erraten müssen, in welchem Ort eine im Zeitraffertempo ausgestrahlte Zugreise endet oder welche nach Anfangstakten ein Musikstück erkennen und dann selbstständig singen sollen.

An ARD und ZDF bewundern in Deutschland tätige schwedische Korrespondenten die Ressourcen für Nachrichten- und Dokumentationssendungen, die sie mit denen der BBC in einem Atemzug nennen. Als exotisch erscheint dem schwedischen Publikum die deutsche Vorliebe für Volksmusik und Karnevalssitzungen. Nicht nur was den Inhalt, sondern auch die Länge dieser Programme angeht. Sie hätten wohl ein sagenhaftes Sitzfleisch, diese Deutschen, vermeldete neulich der schwedische SR-Korrespondent aus Berlin. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, schwedische Fernsehshows enden nach 60 Minuten.

REINHARD WOLFF, STOCKHOLM