Der Sprung ins kalte Wasser

BÜRGERBETEILIGUNG Gerlinde Schermer vom Berliner Wassertisch erzählt

„Ich habe zwar immer über den Inhalt des Vertrags gesprochen, es hat mir aber keiner zugehört. Das störte nur. Der Mainstream war damals einfach so: Private können alles besser“

VON GABRIELE GOETTLE

„Wasser ist das Öl des 21. Jahrhunderts.“ Andrew Liveris, Präsident von Dow Chemical Company, 2008

Gerlinde Schermer, Aktivistin, Ökonomin, Dipl.-Betriebswirtin, selbstständige Steuerbevollmächtigte. Sie wuchs in Stolberg im Harz (DDR) auf, besuchte dort die Polytechnische Oberschule, machte Lehre und Ausbildung zum Finanzkaufmann. Danach Studium der Finanzökonomie in Gotha, Abschluss mit Diplom als Betriebswirtin. Arbeit als Revisor beim VEB Rechnungsführung und Wirtschaftsberatung Erfurt. 1987 Umzug nach Berlin, Arbeit als Abteilungsleiter Ökonomie beim Heizkraftwerk Klingenberg (Bewag, DDR). Nach der Wende 1990 kündigte sie und machte sich selbstständig als Steuerbevollmächtigte. 1990 Eintritt in die SPD, sie gehörte bis 1998 deren Berliner Landesvorstand an, 1994 bis 1996 als stellvertretende Landesvorsitzende. 1991 bis 1999 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses (Wirtschaftsausschuss), seit 2000 Vorsitzende der Abt. 12 der SPD Friedrichshain-Kreuzberg. Kritikerin der Privatisierungspolitik der SPD, sie engagiert sich in und außerhalb der Partei insbesondere gegen die Privatisierung des Wassers. Mitorganisatorin des gewonnenen Volksentscheides und der Gesetzesinitiative „Wir Berliner wollen unser Wasser zurück“, die letztlich den Berliner Senat zum Rückkauf zwangen. 2013 Mitbegründerin des Berliner Wasserrates zur endgültigen Rekommunalisierung des Wassers sowie seiner Verwaltung unter Bürgerbeteiligung. Zugleich engagiert sie sich gegen die Privatisierungsabsichten und Geheimverhandlungen der transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP und Ceta. Gründungsmitglied des Vereins 2Gemeingut in BürgerInnenhand“. Gerlinde Schermer ist 1956 geboren, sie ist geschieden und hat ein Kind. Ihr Vater war selbstständiger kleiner Gewerbetreibender, die Mutter mitarbeitende Hausfrau.

Frau Schermer wohnt in einem ruhig gelegenen, unauffälligen Reihenhaus im Bezirk Tempelhof. Die Straße mit den bunt blühenden kleinen Vorgärten wirkt etwas verschlafen und bieder. Frau Schermer jedoch verkörpert das ganze Gegenteil. Sie ist eine leidenschaftliche Aufrührerin, die sich mit enormer Eloquenz, Energie und voller Selbstbewusstsein in die politischen Prozesse einmischt. Sie empfängt mich freundlich.

Auf meine Bitte hin, einfach mal zu erzählen von sich und ihrer politischen Arbeit, beginnt sie: „Ich bin aufgewachsen in der DDR, mein Vater war selbstständig mit einem kleinen Fuhrunternehmen. Die Leute sind zu uns gekommen und haben ihre Sachen bestellt. Die haben geklingelt und standen sozusagen in der Wohnküche. Da wurde dann natürlich auch geschwatzt über die Dinge des täglichen Lebens. Ich saß am Tisch und habe meine Hausaufgaben gemacht. Das heißt, ich habe sehr früh schon mitbekommen, wie Erwachsene miteinander umgehen, von ihren Sorgen erzählen, über Politik reden. Da gab es natürlich ganz erhebliche Abweichungen von der offiziellen politischen Linie, von dem, was in der Zeitung steht oder in der Schule erzählt wurde.

So habe ich eigentlich gelernt, mir eine eigene Meinung zu bilden. Später, nach der Wende, ich war um die dreißig, habe ich mich entschlossen, mich selbstständig zu machen. Ich wollte, ehrlich gesagt, wieder so etwas haben wie früher in unserer Wohnküche, und das habe ich mir durch meinen Beruf, den ich zu Hause ausüben kann, geschaffen. Durch die Selbstständigkeit.

Endlich Veränderung

Also ich bin mit vollem Enthusiasmus in die Wende gegangen und dachte, so, jetzt können wir endlich all das machen, was vorher nicht ging, und deshalb habe ich mich 1990 in die Politik geworfen. Nebenher habe ich meine berufliche Arbeit aufgebaut, um meine Unabhängigkeit zu bewahren. Ich bin von der SPD aufgestellt worden als Abgeordnete, war im Parlament und hatte die Möglichkeit, eigene Positionen zu vertreten. Davon habe ich Gebrauch gemacht, insbesondere als der Privatisierungskurs der SPD anfing damals, das waren damals erst mal die Wohnungen.

Nach der Wende wurde ja der Länderfinanzausgleich neu geregelt, Berlin bekam die Beihilfe gekürzt, sehr viele Zuwendungen fielen weg. Das bedeutete, Berlin hatte jährlich 4 Milliarden weniger Geld. Und da hat man sich dann sogenannte Lösungen einfallen lassen: In den Jahren 1991 bis 2007 wurden, um den Haushalt zu konsolidieren, für 13,7 Milliarden Euro landeseigene Betriebe an internationale Konzerne verkauft, u. a. Betriebe der Strom und Gasversorgung, die Hälfte der Wasserbetriebe sowie städtische Wohnungen.

Es gab die Gründung der Bankgesellschaft Berlin mit ihren dubiosen Geschäften. Sie werden sich noch erinnern an den Bankenskandal und dass die 2001 pleitegegangen ist mit 21,6 Milliarden Euro Schulden, die den Bürgern Berlins hinterlassen wurden. Diese Bankgesellschaft Berlin wurde 1994 als Holding-Gesellschaft gegründet, und zwar nach dem Modell Public-private-Partnership (PPP), auf Deutsch ‚öffentlich-private Partnerschaft‘ (ÖPP). Nach diesem Modell sollten dann also auch die Berliner Wasserbetriebe privatisiert werden.

Ich war damals stellvertretende Landesvorsitzende und habe mich massiv gegen diesen Kurs gestemmt, habe dann auch im Abgeordnetenhaus gegen die Entscheidung ‚Privatisierung der Wasserbetriebe‘ gestimmt und war damit natürlich Außenseiterin innerhalb der Fraktion. Es wurde immer gesagt, es ist ja keine Privatisierung, nur eine Teilprivatisierung. Man hatte der RWE und dem französischen Konzern Veolia über eine Holding AG für 3,3 Milliarden D-Mark (rund 1,69 Milliarden Euro) 49,9 % des Betriebes verkauft und damit suggeriert, dass das Land Berlin noch eine Mehrheit von 50,1 % behält. Das war aber von keinerlei Relevanz, weil sich die beiden Konzerne über die Geheimverträge – geschlossen mit CDU und SPD, maßgeblich mit ausgearbeitet durch die damalige Finanzsenatorin Fugmann- Heesing (SPD) – die Mehrheiten sichern konnten. Damit hatten die auch das Sagen.

In diesem umfangreichen und komplizierten Geheimvertrag stand dann auch noch – sozusagen als Kernpunkt des Ganzen – eine Renditegarantie für 30 Jahre! Ich hatte damals Kenntnis von dem Vertrag, denn die Opposition – die Grünen und die PDS – hatten als Abgeordnete eine Normenkontrollklage angestrengt auf Einsicht in die Verträge. Kurz vor der Entscheidung zur Privatisierung kam dann das Verfassungsgerichtsurteil, und es besagte, dass natürlich die Abgeordneten den Vertrag einsehen durften. Aber es war schon zu spät, diese ganze Abstimmungsmaschinerie war schon längst aufs Gleis gesetzt worden und nicht mehr aufzuhalten. Ich habe zwar immer über den Inhalt des Vertrages gesprochen, es hat mir aber keiner zugehört. Das störte nur. Der Mainstream war damals einfach so: Private können alles besser.

Da war dann erst mal nichts zu machen, drei Jahre lang. Ich blieb aber am Thema Wasser weiterhin dran, denn ich halte es für eines der wesentlichen Güter, das man vor Geschäftsinteressen schützen muss. Es ist ja kein Zufall, dass die erste europäische Bürgerinitiative heute wieder das Thema Wasser hat. Jedenfalls, ich wusste damals, im Vertrag steht drin, die Wasserpreise müssen bis zum 31. 12. 2003 konstant bleiben. 1999 war die Privatisierung. Ich habe mich also vorbereitet, denn mir war klar, auf welcher Grundlage RWE Veolia in der Hauptstadt jährlich dreistellige Millionenbeträge mit Wasser verdienen wollte und dass sie natürlich ihre Rendite erhöhen wird. Um das bedienen zu können, wurde vom damaligen Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS resp. Die Linke) sogar das ‚Teilprivatisierungsgesetz‘ geändert, damit ein höherer Wasserpreis rauskommt.

Zulasten der Bürger

Ab dem 1. 1. 2004 wurden dann auch pünktlich die Wasserpreise in Berlin um 15,4 % angehoben. Dass damit nicht die Wasserbetriebe versorgt wurden, sondern die Rendite bedient, das sagte man den Bürgern natürlich nicht. Ich habe mich damals in der taz geäußert, in einem Gespräch mit Adrienne Woltersdorf zum Thema ‚Das Land soll zurückkaufen‘, statt das Vermögen der Bürger in die Hände von Spekulanten zu geben. Also es ging erst mal um Aufklärung, und zwischen 2004 und 2006 gab es viele öffentliche Veranstaltungen, bei denen ich aufgetreten bin. Ich habe auch über den Renditevertrag gesprochen, über § 23 des Konsortialvertrages, der die Rendite zuspricht, und zwar bis zum Jahr 2028. Ich sagte das damals, als es noch keiner wusste und es eigentlich auch keiner glauben wollte, dass die gewählten Volksvertreter einen Vertrag zulasten der Bürger machen.

Beweisen konnte ich es nicht, und die Politik sagte immer, dass es nicht stimmt. Es mussten also diese Verträge unbedingt öffentlich zugänglich gemacht werden. Bei Attac gab es dann eine Arbeitsgemeinschaft ‚Argumente‘, mit der hatte ich Kontakt. Dort war Dorothea Härlin, sie kannte die internationale Situation der Wasserprivatisierung und auch die Entwicklung der Wasserkämpfe in Bolivien, in Cochabamba. Dort gab es im Jahr 2000 den ‚Guerra del Aqua‘. Die Wasserprivatisierer, u. a. der amerikanische Konzern Bechtel, hatten die Wasserpreise um 300 % erhöht, daraufhin sind die Leute mit Kochtöpfen auf die Straße gegangen. Polizei und Militär gingen mit Schusswaffen gegen sie vor, es gab sogar einen Toten. Aber am Ende waren die Bürger siegreich, die Regierung musste das Wasser zurückkaufen.

Das wollten wir auch. Dorothea Härlin, andere Frauen und ich haben uns gesagt, na, machen wir doch mal was! Es ist ja so, Wasser ist Frauensache. Sie kochen, sie waschen Wäsche, putzen, baden die Kinder, gießen die Pflanzen usf. Es ist Bestandteil ihrer alltäglichen Erfahrung und Arbeit. Ja, und im Mai 2006 haben wir dann den Berliner Wassertisch gegründet.

Ich hatte vorher schon Kontakte nach Hamburg, weil da auch die Wasserbetriebe privatisiert werden sollten. Dort habe ich auch sehr engagierte Filmemacher kennengelernt, Leslie Franke und Hermann Lorenz. Die machten 2005 den Film ‚Wasser unterm Hammer‘, da ist von mir auch eine Passage drin. Den Film finden Sie im Netz. Auch in Hamburg wussten viele Leute anfangs nicht, was die Politik vorhatte. Sie waren empört, gingen auf die Straße. In Hamburg wurde dann durch einen Volksentscheid die Privatisierung verhindert.

In Berlin war die Situation für uns vom Wassertisch schwieriger, weil das Wasser ja schon verkauft war. Man muss dazu wissen, Berlin hatte zur Wiedervereinigung 9 Milliarden D-Mark Schulden, und heute sind es 62 Milliarden Euro Schulden, und wenn man die Schattenhaushalte dazurechnet, sind es 72 Milliarden. Das allein kostet jährlich 2 Milliarden Euro Zinsen, die bezahlt werden müssen. Aber all diese Verkäufe – von denen ja gesagt wurde, das ist ‚Vermögensaktivierung‘, nur damit kommen wir wieder zu einem ausgeglichenen Haushalt –, die haben ja bis heute nichts gebracht. Im Gegenteil. Die Realität zeigt, die Schulden lassen sich nicht decken durch den Verkauf der Daseinsvorsorge. Diese Rechnung geht nicht auf!

Aber keine Partei hat sich unser Anliegen zu eigen gemacht, deshalb mussten die Bürger selbst auf die Straße gehen und durch ein Volksbegehren die Offenlegung der Geheimverträge erkämpfen. Und da haben wir – meine Tochter und ich – uns einen einfachen Slogan ausgedacht: „Schluss mit den Geheimverträgen – Wir Berliner wollen unser Wasser zurück“. Das fanden dann auch alle gut, das versteht jeder. Wir mussten nun den Regeln der Volksentscheide entsprechend diese Stufen absolvieren, also 1. Stufe, 38.000 Unterschriften sammeln. 2. Stufe 270.000 – wir hatten sogar 320.000 – und dann gibt es die 3. Stufe, das ist der Volksentscheid. Es wurden uns einige Steine in den Weg gelegt, ich komme noch darauf zurück. Es war jedenfalls die Strategie des Senats, dass wir das Quorum nicht schaffen, dass nicht genug Leute ihre Stimme abgeben, weil es ihnen zu unwichtig ist. Das Quorum ist sehr hoch, 25 % der Wahlberechtigten müssen hingehen und 25 % müssen unserem Anliegen zustimmen. Es zeigte sich dann, dass 27,5 % sogar hingegangen sind, und von denen haben 99,5 % Ja gesagt zum Volksentscheid. Das war im Februar 2011, und es war ein absoluter Sieg gegen die gesamte Lobby. Eine vorbildliche Ausübung der souveränen Staatsgewalt durch das Volk.

Wir haben ja einen Text gemacht, der durch die Abstimmung der Bürger Gesetz geworden ist. Das steht im Gesetz- und Verordnungsblatt. Ganz wichtig! Es steht drin, dass die Privatisierungs- und Rückkaufverträge alle offengelegt werden müssen. Das wäre sonst nie geschehen. Die Offenlegung erschien dann als Teilauszug in der taz. Und wichtig ist noch zu wissen, dass unser ‚Volksgesetz‘, unser Offenlegungsgesetz, über das Informationsfreiheitsgesetz – das es auch noch gibt – weit hinausgeht. Also wir haben da unser Herzblut reingegeben und tun es noch.

Man muss sich mal vorstellen, wie lange wir als Gruppe kämpfen mussten, fast 8 Jahre, ich insgesamt 14 Jahre. Alles ehrenamtlich natürlich. Aber wir hatten Unterstützung. Wir haben natürlich viele Bündnispartner gewonnen, auch die Kleingärtner, die Naturfreunde und auch Künstler natürlich, Theaterleute, andere Gruppen usw.

Und jetzt zu den Steinen, die man uns in den Weg legte, damit ich es nicht vergesse: Nachdem wir die 1. Stufe gewonnen hatten, da mussten wir 2008 vor dem Berliner Verfassungsgericht den rot-roten Senat verklagen, weil er behauptet hatte, unser Anliegen, die Offenlegung der Verträge, würde gegen das Grundgesetz verstoßen. Wir haben ja kein Geld und nix und mussten uns als Bürgerinitiative einen Rechtsanwalt nehmen. Und da hat uns Professor Kessler von der Verbraucherzentrale, ein Wirtschaftsrechtler, vor Gericht vertreten. Ich wurde auch angehört vom Gericht. Es war sehr aufregend, aber wir haben gewonnen. Das Gericht hat uns ausdrücklich reingeschrieben ins Urteil, dass Wasser – also Trink-und Abwasserversorgung – ein Kernbereich der Daseinsvorsorge von jeher gewesen ist. Das ist wichtig! Und der Staat darf sich bei Verkauf bzw. Privatisierung nicht aus dem öffentlichen Recht herausstehlen. Und das war ja hier geschehen.

Missbrauch der Preise

Aber wir haben es geschafft, 2011 666.235 Berliner und Berlinerinnen zu den Wahlurnen zu bitten.Weil wir letztendlich mehr Jastimmen hatten als SPD und PDS zusammen für die Regierungsbildung in Berlin, haben wir – wir, als Bürger – sozusagen die Machtfrage gestellt und das Privatisierungsschiff umgedreht. Der Tanker fuhr nun in die Gegenrichtung, zurück zur Rekommunalisierung. Unser Volksentscheid hat gezeigt, dass sich der Wille des Bürgers Bahn brechen kann. Aber es steckt eben sehr viel Arbeit dahinter, die Öffentlichkeit erst mal zu erreichen und zu ermutigen.

Das ist aber nichts, gegen die Arbeit, die es kostet, um sozusagen die Räder der politischen Bürokratie anzukurbeln. Der Volksentscheid war erfolgreich, der Senat hat zurückgekauft. Viel zu teuer zurückgekauft außerdem. Den Kredit hat er aber nicht im Haushalt aufgenommen, sondern über eine GmbH & Co. KG bei einer Bank. Man fragt sich, weshalb, alles ist 100 % das Land Berlin, aber in einer privaten Rechtsform? Deshalb, weil der Kredit dadurch über die Gewinne der Wasserbetriebe abbezahlt werden muss, das heißt, von Ihnen und von mir, den Wasserkunden. Früher waren die Wasserpreise hoch wegen der Rendite. Damals, 2010, fing das Bundeskartellamt ja an, die Wasserbetriebe zu prüfen, und kam dann zur ‚Preismissbrauchsverfügung‘, dagegen haben die Wasserbetriebe geklagt. Nach dem Rückkauf hat der Senat die Klage weitergeführt, die Klage dauerte Jahre. Sie wurde entschieden im Februar 2014, und zwar gegen den Senat, zugunsten des Kartellamtes. Nun durfte es feststellen: Die Wasserpreise sind um 18 % zu hoch – geprüft wurde aber nur Trinkwasser, d. h., das Kartellamt hat nur einen Teil aufgedeckt, der andere blieb im Dunkeln.

Aber immerhin, für das Jahr 2012 wurden an die Berliner 60 Millionen Euro zurückerstattet, 2014 gibt es die Erstattung von 60 Millionen für 2013, und weil die Wasserpreise immer noch missbräuchlich hoch sind, muss 2015 auch noch mal für 2014 erstattet werden. Bis 2018 sollen die Preise auf dem Niveau bleiben. Man hätte ja sagen können, man macht die Preise gleich niedriger, aber da wird gemauert. Die Erfahrung jedenfalls lehrt, Widerstand ist wichtig. Es geht um die soziale Infrastruktur, um lebenswichtige Bereiche, die als hochwillkommene Geldanlage gehandelt werden. Das ist verheerend!

Man muss außerdem begreifen, dass bei der Privatisierung – egal, um was es sich handelt, Wasser, Energie, Bildung, Gesundheit –, beim Modell Public- private-Partnership ist der Gewinner immer der Käufer. In Berlin haben RWE und Veolia in 13 Jahren den vollständigen Kaufpreis wieder reingekriegt, dazu den Rückkaufpreis. Zwischenzeitlich gab es bis zu 11 % Rendite aufs eingelegte Kapital für die Anleger, ohne jedes Risiko. Das ist natürlich eine Traumrendite. Wir Wasserkunden mussten die bezahlen. Und nun zahlen wir für den Rückkauf.

Die Frage ist: Wo stehen wir jetzt? Die Wasserbetriebe sind zurück, und der Finanzsenator Nussbaum hatte versprochen, dass er diese komplizierte Holdingstruktur, also all diese privatrechtlichen Strukturen, auflöst. Das hat er aber nicht gemacht. Die bestehen weiter, obgleich das Land Berlin zu 100 % Eigentümer ist. Wir haben jetzt eine Mitteilung zur Kenntnisnahme an die Abgeordneten bekommen, da steht wieder drin: Gemäß Konsortialvertrag von 1999 und 2003 wird das so und so berechnet. Und das, obwohl es diesen Konsortialvertrag ja gar nicht mehr gibt, seitdem die Privaten raus sind. Wenn es so reingeschrieben wird, dann bedeutet das, der Senat schlüpft in die Hausschuhe von RWE und Veolia und will einfach nur so weitermachen. Das wollen wir aber nicht hinnehmen.

Wir wollen, dass die Wasserbetriebe raus aus dem privatrechtlichen Bereich und wieder in den öffentlichen Bereich kommen, ohne geheime Gremien usw., damit wir sie überhaupt kontrollieren können. Wir haben das Recht dazu! Um das durchzusetzen, haben wir Ende 2013 den ‚Berliner Wasserrat‘ als zusätzlich Initiative gegründet. Dorothea Härlin und ich gehören mit zu den Gründungsmitgliedern. Wir haben die verschiedensten Initiativen, Bürgerinitiativen, Verbände, Vereine usw. eingeladen.

Entwurf Wassercharta

Referenten halten regelmäßig Vorträge. Wir tagen einmal monatlich. Die Treffen sind öffentlich, jeder kann kommen. Unsere Diskussionsgrundlage ist der Entwurf einer Wassercharta, der von den Bürgern, von Initiativen und Verbänden weiterentwickelt werden soll. Er enthält Leitlinien für die Zukunft der Wasserbetriebe unter Bürgerbeteiligung und die Forderung, dass die rekommunalisierten Betriebe sich an sozialen, ökologischen und demokratischen Kriterien orientieren, statt sie der Gewinnmaximierung unterzuordnen.

Wir hatten im April dieses Jahres Anne le Strat bei uns zu Gast, die ehemalige Pariser Bürgermeisterin und amtierende Präsidentin von ‚Eau de Paris‘, den Pariser Wasserbetrieben in öffentlicher Hand. Es gab zwei gut besuchte Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen. Die haben in Paris ja die Rekommunalisierung früher gemacht, da saß übrigens auch Veolia mit drin. Anne le Strat hat 2010 das Modell eines kommunalen Betriebes mit Bürgerbeteiligung entwickelt, das ‚L’Observatoire Parisien de l’eau‘ (OPE). Das ist kein Bereich der Wasserbetriebe selbst, aber ein Organ, in dem der Bürger eingebunden ist, sozusagen ein beratendes Gremium der Stadt Paris. Es gibt vollständige Transparenz, und die Gelder der Wasserkunden werden ausschließlich für die Aufgaben der Wasserbetriebe verwendet.

Das entspricht genau unserer Forderung. Wir haben genug fürs Wasser gezahlt, wir wollen, dass unser Geld sozusagen in die Rohre fließt. Wir sagen: Wasser bezahlt Wasser und sonst nichts! Das ist bei uns auch zugleich eine Kampagne, die ist jetzt im Aufbau. Eine Art Beirat ist von uns auch vorgesehen. Wir möchten, dass Leute, die von uns berufen werden, dann auch im Aufsichtsrat sitzen, und im Senat wäre ja auch noch Platz für Vertreter aus dem Volk, für Leute, die sich Kompetenz erworben haben. Die gibt es nämlich. Das heißt, die Arbeit geht weiter. Jetzt muss erst mal das Problem, dass die Rekommunalisierung auf halber Strecke stecken geblieben ist, ins Gedächtnis der Berliner zurückgerufen werden.

Was es bedeutet, wenn das Sprudeln der Rendite oberste Priorität hat, zeigt auch der Film der Hamburger ‚Wasser unter dem Hammer‘ sehr anschaulich. Beispiel England, da hatte ja 1989 die damalige Regierungschefin Maggie Thatcher bereits das Londoner Wasser privatisiert. 2000 kaufte RWE ‚Thames Water‘. Die Wasserpreise wurden erhöht, die Investitionen gestreckt. Damit nicht so viele Reparaturen anfallen, wurde z. B. der Wasserdruck abgesenkt, das bedeutete dann, im 4. oder 5. Stock kam kein Wasser mehr an, auch in den Krankenhäusern. Dann hat die britische Behörde ‚Office of Water Services‘ von der RWE gefordert, sie muss 714 Millionen Euro für die Trinkwasserleitungen und 470 Millionen für die Abwässerkanäle investieren, und sie darf diese Investitionen nicht auf den Wasserpreis umlegen. RWE hat stattdessen 2006 ‚Thames Water‘ für 12 Milliarden Euro weiterverkauft.

Beim Kontakt unserer Bürgerinitiative mit den Amerikanern erfuhren wir, dass die RWE 2003 das US-amerikanische Wasserversorgungsunternehmen ‚American Water Works Company‘ aufgekauft hat und wie sich das dort ausgewirkte. Bürgermeister der betroffenen amerikanischen Städte waren nach Deutschland gekommen, um auf der Hauptaktionärsversammlung der RWE die Missstände vorzutragen. Es ist ja immer das Gleiche – Kürzung der Investitionen, Verteuerung und Verschlechterung der Wasserversorgung. Selbst die Hydranten ließen sich bei Feuer nicht mehr öffnen usw. Die Bürgermeister wollten die Wasserbetriebe zurückkaufen, aber der damalige RWE-Chef Roels lehnte ab und sagte: Nö, verkaufen wir am Kapitalmarkt. 2009 haben sie sich dann endgültig von ‚American Water‘ verabschiedet.

Weltweiter Ausverkauf

Der Ausverkauf des Wassers überall auf der Welt geht unbeirrt weiter. Wir vom Berliner Wassertisch sind international gut vernetzt, tauschen uns aus. Dorothea Härlin ist für uns auf vielen Konferenzen gewesen im Ausland, war in Schweden, auch in Istanbul usw. Jetzt war einer von uns, Claus Kittsteiner, auf eigene Kosten nach Griechenland gefahren, um zur Unterstützung über unsere Erfahrungen in Berlin zu berichten. Es wurde ja von der EU-Kommission verlangt, dass Thessaloniki seine Wasserversorgung privatisiert. Er erzählte, die Veranstaltungen waren voll, massenhaft interessierte Leute. Und dann haben die einen Volksentscheid hingelegt, das war grandios. Dabei hatte die griechische Regierung in Athen das Referendum als illegal erklärt und verboten, die Volksabstimmung durchzuführen. Sanktionen bis hin zu Haftstrafen drohten. Aber sie haben sich nicht einschüchtern las- sen.

An dem Tag, als parallel die Kommunalwahlen stattfanden, standen die Privatisierungsgegner mit Tischen und Wahlurnen für das Referendum vor den Wahllokalen. Am Ende hatten sie 98,04 %, 213,508 Stimmen gegen die Privatisierung. Darauf muss die Politik letztlich reagieren, würde man denken. Aber erst das Urteil des Obersten Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Mai hat bewirkt, dass die Privatisierung der Wasserbetriebe von Thessaloniki und Athen erst mal unterbleibt. In der Urteilsbegründung steht so in etwa drin, dass die Privatisierung des Wassers gegen die griechische Verfassung verstößt, weil die nämlich dem Bürger eine Fürsorge und Verantwortung des Staates für ein derart lebenswichtiges Gut garantiert. Dieser Sieg war für uns alle eine große Freude.

Die Freude wird aber nicht von Dauer sein. Es droht TTIP. Das Transatlantische Freihandelsabkommen zwischen Europa und den USA könnte alles Erreichte wieder hinwegfegen. Die Europäische Bürgerinitiative ‚Right 2 Water‘, also ‚Recht auf Wasser‘, kämpft dagegen an und hat alle Anforderungen erfüllt, die im Vertrag von Lissabon stehen. Das Quorum für ein Europäisches Volksbegehren muss über eine Million Stimmen erreichen, und das wurde geschafft, aber das nutzt womöglich gar nichts. Die Frage war ja, ob eine Privatisierung von öffentlichen Wasserbetrieben nach Binnenmarktregeln erfolgen muss – ob Ausschreibungen europaweit erfolgen müssen oder nicht. Die Kommission gab scheinbar klein bei. Öffentliche Wasserbetriebe wurden aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie herausgenommen.

Das hat mich sofort gewundert. Ich habe mich gefragt, warum geben sie so schnell nach? Da muss was dahinterstecken! Bald bin ich auch darauf gestoßen. Dahinter steckt TTIP, denn in diesem Abkommen wäre das Wasser wieder drin! Die Verhandlungen sind geheim, aber ab und zu sickert was durch, wie z. B., dass in einem europäischen Positionspapier steht, öffentliche Dienstleistungen können auf nationaler oder lokaler Ebene ‚sowohl von einem öffentlichen Monopol‘ als auch ‚von einem privaten Dienstleister erbracht werden‘. Wir sagen: Schluss mit diesem TTIP, denn auch hier geht es ja nur darum, die Staaten zu zwingen, Renditen zu bedienen, per Vertrag. Und der zwingt dann am Ende die Regierungen, den Vertrag einzuhalten und, wenn es sein muss, mit Waffengewalt gegen die eigenen Bürger vorzugehen. Sie sehen, die Chlorhühner sind eher nur ein Ablenkungsmanöver.“