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Archiv-Artikel

Ein unmögliches Gespräch

Die ARD kündigte eine Sensation an: den Ex-RAF-Terroristen Peter-Jürgen Boock und den Sohn eines RAF-Opfers, Michael Buback, im Dialog. Doch die Sensation blieb aus: ein Dialog fand nicht statt

VON SUSANNE LANG

So etwas nennt sich dann wohl Scoop: ein Angehöriger eines Opfers der RAF und ein ehemaliger Terrorist treffen aufeinander. Sie sind aufgefordert und bereit zum Dialog, auf der sprichwörtlichen Augenhöhe. Exklusiv und einmalig „im deutschen Fernsehen“, wie Volker Herres, Moderator dieser bemerkenswerten Begegnung, nicht müde wurde zu betonen. Ja, das wäre in der Tat ein Scoop – gäbe es da nicht einen kleinen Schönheitsfehler: Was die ARD am Mittwochabend auf ihrem extra freigeräumten Sendeplatz um 21.45 Uhr vorführte, war alles andere als ein Gespräch.

Weder wirkten Peter-Jürgen Boock, Ex-RAF-Terrorist, noch Michael Buback, Sohn des 1977 ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback, so, als hätten sie sich mehr zu sagen als die Antwort auf Bubacks bohrende Frage: Wer hat die tödlichen Schüsse auf meinen Vater abgefeuert? Bubacks Interesse gilt den „Fakten, die wichtiger sind als Reue“. Und die Antwort, die mittlerweile sogar die Bundesanwaltschaft wieder beschäftigt, ließ Buback nach einem Telefonat mit Boock bereits vor Wochen in der SZ verlautbaren: Es sei nicht Christian Klar gewesen. Später erfuhr die Öffentlichkeit: Stefan Wisniewski sei der Täter.

Wie schwer Buback ein Kontakt auf Augenhöhe mit dem Ex-Terroristen fällt, ließ sich an seiner Reaktion ablesen, als er nach der Glaubwürdigkeit der im Spiegel zitierten Aussagen von Verena Becker gefragt wurde, die bereits in den 80ern gegenüber dem Bundesverfassungsschutz Wisniewski beschuldigt hatte: „Ich weiß nicht“, sagte Buback und drehte seinen Kopf leicht in Richtung Boock, „das muss er sagen.“ Er, ohne Anrede, das immer noch namenlose Teil- chen eines unheimlichen Kollektivs. Diese Reaktion steht ihm fraglos zu. Aber ist sie von Interesse für die Öffentlichkeit? Nein.

Nichtsdestotrotz mühte sich Volker Herres redlich nachzubohren, flankiert von seinem Experten und Stichwortgeber Stefan Aust, Spiegel-Chefredakteur und Autor des Standardwerkes „Der Baader/Meinhof-Komplex“. Herres verhörte in vorwurfsvoller Strenge Boock, der aus Sicht der Zuschauer passend links außen saß: was Boock denn „empfindet“, wenn er heute einem Opfer gegenübersitze. Wo er am Tag des Mordes gewesen sei? Woher er denn wissen wolle, wer der Täter gewesen sei, wenn er gar nicht in Deutschland war? Und schließlich die Gretchen-Frage: Ob ihn die Opfer heute noch verfolgten? „Ja, in der Tat“, antwortete Boock mit bemerkenswert ruhiger Intonation. „Es tut mir unendlich leid, was geschehen ist, allein, ich weiß, man kann es nicht rückgängig machen.“

Boock gab in besten Resozialisierungsabsichten Einblicke in seine immer noch anhaltende Auseinandersetzung mit seiner Terror-Vergangenheit. Referierte bereitwillig nochmals den damaligen Tathergang, die Planungsphasen, die Zuständigkeiten, das „Auschecken, wie man das in unserem Jargon nannte“. Boock erntete entsetzte Gesichter ob genau jener Kader- und Kampfsprache. Sie macht eine Kommunikation, wie sie das angekündigte „Gespräch“ suggerieren sollte, bis heute unmöglich. Muss sie möglich sein? Nein.

Die ARD wollte sie, doch es gelang ihr nur ein wohlfeiles Experiment: Zu welchen Reaktionen würde es wohl kommen, wenn die Versuchsobjekte Opfer/Täter unter Beobachtung der Öffentlichkeit aufeinander träfen? Welche Erkenntnisse ließen sich daraus ableiten über die psychische Disposition nicht nur der Beteiligten, sondern auch dieser Republik 30 Jahre nach den Ereignissen des Deutschen Herbstes? Bekäme die Öffentlichkeit endlich die Menschen präsentiert hinter der gesichtslosen und mörderischen Brutalität auf Täterseite und dem bisher doch im Privaten verborgenen Schmerz der trauernden Opfer?

Auch wenn die ARD das Gespräch unter dem Titel „Das Opfer und der Täter“ mit dem Nimbus eines seriösen und an Aufklärung interessierten Mediums präsentierte – auch für den öffentlich-rechtlichen Sender gilt die goldene Regel des Fernsehens: Wer zum Reden in ein Studio geht, wird ausgeleuchtet, wird Zielobjekt eines voyeuristischen Interesses, selbst wenn ein Volker Herres die Fragen stellt und nicht etwa ein Intimkuschler wie Reinhold Beckmann. Wer ins Fernsehen geht, dem werden Emotionen abgefordert. Tränen, brüchige Stimme, Verzweiflung, Leid – oder aber bewegende Gesten der Reue, des Verzeihens.

Ansätze von Emotion gab es schließlich auch zu sehen: im anschließenden Beitrag der „Tagesthemen“, in dem eine im Gespräch geschnittene Reaktion Bubacks gezeigt wurde. Buback sprach sichtlich bewegt von seinem Vater, dem „Ermittler mit Herz“. Es mache ihn schwindelig, wie der zum brutalen Feind stilisiert werden konnte. Willkommen in der Mediengesellschaft.