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Archiv-Artikel

Mit Trainingssprüngen zur Silbermedaille

Oksana Tschussowitina gewinnt Silber bei den Turneuropameisterschaften. Für die 32-Jährige ist es der erste Erfolg im deutschen Turndress. Vorher war sie unter anderem für die Sowjetunion und Usbekistan erfolgreich

AMSTERDAM taz ■ Von weitem sieht sie aus wie die anderen kleinen Mädchen, die bei den Turn- Europameisterschaften in Amsterdam in die Luft springen, sich um die eigenen Achsen drehen und lächelnd landen. Mit 1,52 Meter und 43 Kilo ist sie kaum schwerer und größer als die neue Europameisterin Vanessa Ferrari aus Italien oder ihre Teamkollegin Anja Brinker. Doch aus der Nähe fällt auf: Diese Turnerin ist kein junges Mädchen. Im Jahr 1991, in dem ihre Konkurrentinnen geboren wurden, gewann Oksana Tschussowitina ihre erstes Gold bei einer WM, damals für die Sowjetunion.

„Ich bin zufrieden mit Silber,“ kommentierte sie gestern sehr gelassen die Medaille am Sprung. Der Umstand, dass das Kampfgericht ihren Überschlag Salto vorwärts mit ganzer Schraube nur gebückt und nicht gestreckt gesehen hatte, kostete sie zwar Gold, aber für Tschussowitina sind Medaillen bei internationalen Wettbewerben nichts Besonderes mehr. Sie habe keine Ahnung wie viele davon sie bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften bereits gewonnen hat. „Ich habe sie noch nie gezählt“, lacht sie – es sind ein knappes Dutzend. „Ich bin noch nicht in bester Form, ich will langsam rangehen und dann zur Weltmeisterschaft in Stuttgart am besten sein“, sagt sie und fügt hinzu: „Das hier ist für mich ein bisschen wie Training, es ist ein gutes Training.“

Noch nie war eine Biografie im Frauenturnen so lang: 1975 in Bukhara geboren begann sie als Sechsjährige mit dem Turnen, 1992 holte sie Olympia-Teamgold mit der ‚Gemeinschaft Unabhängiger Staaten‘, seit 1993 gewann sie für Usbekistan. Bei den Olympischen Spielen 1996 galt sie 21-jährig bereits als ‘Grande Dame‘ und verabschiedete sich zunächst von der internationalen Szene. Der Hochzeit mit dem usbekischen Ringer Bakhodir Kurpanov folgte 1999 die Geburt ihres Sohnes Alisher. 2000 bei den Spielen in Sydney gab sie ihr Comeback.

In Usbekistan wurde schon damals eine Briefmarke mit ihrem Konterfei gedruckt. Als 2002 bekannt wurde, dass Alisher an Leukämie erkrankt war, bemühte sich die gesamte Turnszene um die Organisation und Finanzierung der bestmöglichen Behandlung. Letztlich entschied sich Tschussowitina für die Kölner Uni-Klinik, hier hatte sie im Team von Toyota Köln bereits die Bundesliga bereichert und Kontakte zur weißrussischen Trainerin Shanna Poljakova. Damals sagte sie: „Ich muss turnen, für Alisher“, und finanzierte mit den mageren Preisgeldern auch seine letztlich erfolgreiche Behandlung.

In Amsterdam begeisterte sich der siebenjährige Alisher auf der Tribüne für seine Mutter, stolz und fröhlich zwischen all den Eltern, die mit ihren turnenden Kindern fiebern. Bereits im Vorfeld der Weltmeisterschaft 2003 in Anaheim hatte sich der Deutsche Turnerbund um eine Einbürgerung bemüht und war gescheitert. Man hatte gehofft, mit ihrer Hilfe die Team-Qualifikation für die Olympischen Spiele in Athen zu schaffen. Im vergangenen Jahr der zweite Anlauf: Drei Tage vor Abreise zur Weltmeisterschaft ins dänische Aarhus erhielt Tschussowitina – wegen sportlicher Dringlichkeit – ihre Einbürgerungsurkunde.

Sie gewann erneut Silber am Sprung, dieses Mal für Deutschland. Wenn es im September in Stuttgart wieder um die Team- Qualifikation für die Spiele in Peking geht, wird es vor allem an ihr hängen. Für Tschussowitina wäre es die fünfte Teilnahme bei Olympischen Spielen, für alle anderen deutschen Turnerinnen die erste. Aber für die war die Europameisterschaft in Amsterdam auch kein Training.

SANDRA SCHMIDT