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Archiv-Artikel

Ist die FDP sozial?

Die Liberalen wollen ihr Image einer kalten Klientelpartei für Besserverdienende wieder einmal abstreifen: Auf ihrem Landesparteitag beschlossen sie ein neues sozialpolitisches Programm. Kann und will die FDP die Benachteiligten, die sozial Schwachen glaubhaft vertreten?

STEFAN ROMBERG, 38, ist sozialpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion. Der promovierte Psychotherapeut arbeitet zehn Stunden pro Woche in einer Hammer Psychiatrie und behandelt demente Menschen in Altenheimen – sie haben keine Lobby, sagt er. Unsozial sei, dass Politiker dreißig Jahre lang Geld auf Kosten der nächsten Generationen ausgegeben haben, sagt er.

JA

Ja, die FDP ist sozial. Seit den „Freiburger Thesen“ beruht das Selbstverständnis der FDP auf einem sozialen Liberalismus, der nicht nur für gesetzlich gesicherte Freiheits- und Menschenrechte, sondern auch für soziale Chancen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit eintritt. Daher ist es eine zentrale Aufgabe der Sozialpolitik, durch präventive Maßnahmen und Hilfe zur Selbsthilfe dafür zu sorgen, dass Menschen erst gar nicht in eine Notlage geraten.

Um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen, müssen die persönlichen Voraussetzungen des Einzelnen stärker als bisher Berücksichtigung finden. Zielgruppengerechte Bildung spielt hierbei eine Schlüsselrolle. Dennoch wird es immer Menschen geben, die sich nicht selbst helfen können. Sie müssen darauf vertrauen können, dass sie auf unbürokratische Weise die notwendige Unterstützung für ein menschenwürdiges Leben bekommen. Gleichzeitig dürfen sozialstaatliche Aktivitäten niemals dazu führen, die Selbstbestimmung von Menschen auszuhöhlen. Bevormundung und Entmündigung als Preis für eine allumfassende Sicherheit lehnen wir entschieden ab.

Wir stehen vor der großen Herausforderung, die sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest zu machen. Nur durch grundlegende Reformen wird es gelingen, auch für die kommenden Generationen einen funktionierenden Sozialstaat zu erhalten. Hier setzt der neue Leitantrag der FDP zur Sozialpolitik an.

„Mehr Freiheit, mehr Fairness, neue Chancen“ – konkret heißt das für uns, ein flexibles Renteneintrittsalter zu fordern. Die pauschale Festlegung einer „Rente mit 67“ wird der wachsenden Vielfalt von Lebensstilen nicht gerecht. Dass Toleranz gegenüber unterschiedlichen Lebensstilen ein zentrales Erkennungsmerkmal liberaler Sozialpolitik ist, zeigt sich auch in unserem Engagement gegen die Diskriminierung von Lesben und Schwulen.

Zudem wollen wir erreichen, dass neben bewährten Strategien auch neue und innovative Ansätze in der Sozialpolitik eine Chance erhalten. So fordert die FDP mit dem Bürgergeld eine solidarische Grundsicherung für alle.

Wir widmen uns Problemen, die zu Unrecht tabuisiert sind. Psychisch kranke Menschen werden stigmatisiert. Sie erhalten zu selten passgenaue Hilfen. Die oftmals nicht gerechtfertigten Beschneidungen der Freiheits- und Bürgerrechte psychisch Kranker durch Zwangseinweisungen wurden von der FDP immer wieder angeprangert. Mehr Prävention und eine bessere Versorgung sind daher Kernelemente liberaler Sozialpolitik.

STEFFEN ROMBERG

NEIN

Dass sich die FDP nach langer Passivität und Profillosigkeit auf diesem Politikfeld wieder der Sozialpolitik zuwendet, ist begrüßenswert, ändert jedoch nichts an ihrer unsozialen Parteinahme für Bessergestellte. Dahinter steckt die Legende, eine liberale Wirtschafts- sei im Grunde die beste Sozialpolitik.

Prof. Dr. Christoph Butterwegge, 56, lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Themen Armut und soziale Ausgrenzung, Migration und Demographie. Zuletzt erschien sein Buch „Krise und Zukunft des Sozialstaates“. Mit verantwortlich für die Entsolidarisierung der Gesellschaft sei die FDP, sagt Butterwegge – die Partei sei neoliberal, aber nicht sozial.

Unter Helmut Schmidt und Helmut Kohl hat die FDP den Sozialstaat demontiert, seither in der Opposition noch mehr Leistungskürzungen als die Regierungsparteien gefordert. Nun macht sie eben diesen Sozialstaat zum Sündenbock und wirft ihm gemäß der Methode, nach einem selbst begangenen Überfall laut „Haltet den Dieb!“ zu rufen, mangelnde Effizienz bei der Armutsbekämpfung vor.

Man betont „Eigenverantwortung und Eigeninitiative“, meint damit aber Mehrbelastungen für ArbeitnehmerInnen und RentnerInnen, während die Arbeitgeber von Sozialversicherungsbeiträgen („Lohnzusatzkosten“) und Kapitaleigentümer ebenso wie Topverdiener von Steuerlasten befreit werden sollen. Gleichzeitig hätte sich der Staat ausschließlich um „wirklich und dauerhaft Bedürftige“ zu kümmern, was suggeriert, ein Großteil der jetzigen EmpfängerInnen von Transferleistungen komme ohne Anspruchsberechtigung in deren Genuss. Man will aus dem Sozial- einen Minimalstaat und aus dem Sozialversicherungs- einen Fürsorgestaat machen. So verkümmert die Lebensstandardsicherung für ArbeitnehmerInnen etwa bei Erwerbslosigkeit zur „Existenzsicherung“ und das „streng an der Bedürftigkeit ausgerichtete“ Bürgergeld zu einem Kombilohn für alle, der dadurch „neue Rahmenbedingungen für einen Niedrig- bzw. Leichtlohnsektor“ schaffen und die „Lohnflexibilität nach unten“ erhöhen soll.

Die FDP ist neoliberal, aber nicht sozial. Wer die Sozialversicherung zerschlagen und alle Versicherungszweige privatisieren will, spaltet unser Gemeinwesen in einen Wohlfahrtsmarkt und einen Wohltätigkeitsstaat. Auf dem Wohlfahrtsmarkt kaufen sich jene BürgerInnen, die es sich finanziell leisten können, ein Höchstmaß an sozialer Sicherheit (z.B. eine luxuriöse Altersvorsorge durch teure Versicherungspolicen der Privatassekuranz). Die übrigen werden mit einem „aktivierenden Mindesteinkommen“ abgespeist, ansonsten jedoch der Privatwohltätigkeit überantwortet. Folgerichtig setzt die FDP auf „private Stiftungen“, preist das Ehrenamt und fordert „mehr Engagement“ im Sozialbereich. In ihrer „solidarischen Bürgergesellschaft“ herrscht „Fairness“, als ginge es dort um einen Wettkampf, aber keine soziale Gerechtigkeit.CHRISTOPH BUTTERWEGGE