Ortstermin: Das Leiden der Osnabrücker Fussball-Fans nach dem Abstieg des VfL : Nach über 40 Jahren soll Schluss sein
DETLEF „DILLE“ JÜRGENS, VFL-FAN
3:1 für Dynamo Dresden, Gäste-Fans stürmen den Platz in der Osnatel-Arena. Polizei marschiert auf. Der Schiedsrichter pfeift die Partie zwei Minuten vor dem regulären Ende ab. Dynamo-Anhänger zünden Böller und Bengalos, reißen Stücke aus dem Rasen, randalieren auf der Tribüne. Detlef Jürgens sieht teilnahmslos zu. Der 48-jährige VfL-Fan sieht beinahe gelangweilt aus. Das Absteigen ist in Osnabrück längst Normalität geworden.
Seit über 40 Jahren geht Detlef Jürgens, den alle nur Dille nennen, zum VfL. Sein Vater hatte eine Kneipe im Osnabrücker Arbeiterviertel Schinkel, direkt gegenüber dem alten Stahlwerk, nur ein paar hundert Meter vom Stadion. Dille sagt, er habe alle Aufs und Abs miterlebt. In zehn Jahren ist der VfL nun vier Mal aus der 2. Fußball-Bundesliga abgestiegen. Früher ist der Mann mit dem Schnauzbart mit seiner Frau ins Stadion gegangen. Dann kamen die Kinder, zwei Dauerkarten sind zu teuer. „Da ist sie zu Hause geblieben“, sagt Dille.
Schon vor dem Spiel glaubt Dille nicht an den Klassenerhalt. „Ich hab die Truppe abgeschrieben, die Rückrunde war zu schlecht“, sagt er, zündet sich eine Zigarette an und zerdrückt sie zwischen Mittel- und Ringfinger.
Dennoch, Dille feuert seine Mannschaft an. Er zetert, hadert, rauft sich die Haare, flucht, schimpft mit dem Schiedsrichter, dem Gegner und dem eigenen Team. Manchmal überschlägt sich seine Stimme. Beim Führungstreffer des VfL durch Mauersberger springt Dille aus seinem Sitz. Er umarmt die Kumpels, die seit Jahren mit ihm auf der Südtribüne sitzen, und schreit seine Freude heraus. Gibt es doch noch eine Rettung?
In der Halbzeitpause erzählt Dille stolz, dass sein Achtjähriger Sohn alle VfL-Spieler kennt. Auf die Frage, warum er trotz allem immer noch zum VfL geht, antwortet er mit heiserer Stimme: „Spaß.“ Das Leiden gehört dazu.
Nach dem Ausgleichstreffer der Dresdner wird Dille immer ruhiger, wie alle VfL-Fans. Standen sich zu Anfang des Spiels noch zwei wild entschlossene Fan-Gruppen gegenüber, die sich mit Anfeuerungsrufen übertönten, so sind in der zweiten Halbzeit und vor allem in der Verlängerung nur noch die Dresdner zu hören.
Die Verlängerung nimmt Dille lethargisch hin. „Die Mannschaft hat den Glauben verloren“, kommentiert er willenlos das Spiel des VfL. Ein Fan hat diesen Glauben noch. Er springt über die Bande der Sitzplatztribüne, läuft vor den VfL-Block und fordert die Fans auf, die Osnabrücker anzufeuern. Er wird von Ordnern abgeführt.
Kurz vor 23 Uhr ist es amtlich: Der VfL Osnabrück ist aus der 2. Bundesliga abgestiegen. Dille findet erst spät wieder Worte. „Das ist die Scheiße, dass man immer mit ansehen muss, wie solche Idioten hier feiern“, sagt er und zeigt auf das Spielfeld, wo ein Großteil der 2.500 angereisten Dresdner Fans randaliert. Zwei junge Frauen klettern über den Zaun der Osnabrücker Fankurve und laufen auf die Dresdner zu. Sie werden nur mit Mühe von einigen Polizisten zurück gehalten. Der Frust bei den VfL-Fans sitzt tief. Sie singen: „Wir ha’m die Schnauze voll.“ Später meldet die Polizei, sie habe Osnabrücker Fans daran gehindert, den VIP-Raum zu stürmen.
Dille braucht jetzt ein Bier. Eine Dauerkarte für die nächste Saison in der 3. Liga will er sich nicht kaufen. „390 Euro für so’n Scheiß?“, fragt er, und liefert die Antwort gleich nach: „Nein.“ Nach über 40 Jahren soll nun Schluss sein mit dem VfL, meint Dille. Dann schiebt er hinterher: „Vielleicht gehe ich sporadisch hin.“ THOMAS WÜBKER