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Archiv-Artikel

Agentur für maximale Bildkontrolle

KNIPS Gleich nach dem Mauerfall hat sich in Berlin die Fotoagentur Ostkreuz gegründet. Ihr anhaltender Erfolg bemisst sich in weitaus mehr als nur Geld. Ein Porträt

VON ANJA MAIER

Kommenden Monat wird Ute Mahler 65 Jahre alt. Die prominente Fotografin wird dann unzählige Glückwünsche bekommen. Denn Mahler ist Gründungsmitglied von Ostkreuz, der „Agentur der Fotografen“. Und Ostkreuz, das ist ein wichtiger Name in der Welt der Fotografie. Eine Marke wie Magnum Photos, jene Agentur, die in den Vierzigerjahren von Robert Capa und Henri Cartier-Bresson gegründet wurde und bis heute stilbildend ist.

Ute Mahler schätzt diesen Magnum-Vergleich nicht besonders. „Das suggeriert eine Nähe, die gar nicht da ist“, sagt sie der taz, „die waren vierzig Jahre früher da und hatten die weltbesten Fotografen.“ Was Ostkreuz und Magnum dennoch verbinde, sei die Idee: Fotografen gründen ihre eigene Agentur, um die Kontrolle über die Verwertung ihrer Arbeit zu haben. Maximale Bildkontrolle bei weitestgehend selbstbestimmter Arbeit. Eine wahrgewordene Utopie im – auch wegen der Digitalisierung der Fotografie – immer schneller und beliebiger werdenden Strom der Bilder.

Wie besonders Ostkreuz ist, wie professionell und zugleich, ja doch, innig die in der Agentur zusammengeschlossenen Fotografinnen und Fotografen arbeiten, zeigt die Dokumentation „Ostkreuz“, die Arte an diesem Sonntag ausstrahlt. Fünf Jahre lang hat der Filmemacher Maik Reichert die Mitglieder begleitet, sieben der neuerdings zwanzig stellt er genauer vor. In porträthaften Sequenzen erzählt er, wie politisch denkende Fotografen arbeiten. Er zeigt auch, wie sich der Übergang anbahnt. Von jenen, die die Agentur in wilden Umbruchzeiten gegründet haben, zu denen, die darüber selbst erwachsen geworden sind und längst ihre eigene künstlerische Sprache gefunden haben. Manche der Gründungsmitglieder und Wegbegleiter haben sich getrennt. Eine, Sibylle Bergemann, ist vor vier Jahren gestorben. Drei von sieben sind noch dabei.

Die Gruppe als Regulativ

Junge Fotografen haben die Plätze eingenommen. Ihre Bildsprache ist anders. Ihr Anliegen – gesellschaftlich relevante Fotografie – ist das gleiche. Auch sie schätzen den wertvollen Freiraum unter dem Dach der Agentur, an dem arbeiten zu können, was ihnen aktuell wichtig ist.

Eine kostbare Besonderheit der Agentur seien die gemeinsamen Arbeiten, sagt Mahler. „Alle paar Jahre machen wir ein Projekt, ohne Auftrag, ohne finanzielle Unterstützung, frei. Dann überlegen wir, was ist gerade das Thema? Heraus kommt gute Fotografie. Du kannst Dinge zu Ende erzählen, kein Redakteur oder Kurator redet dir rein, nur die Gruppe ist das Regulativ.“ Zuletzt waren das die Ausstellungen „Westwärts“, „Die Stadt – vom Werden und Vergehen“ sowie „Über Grenzen“.

Unglaublich, wie viel Aufmerksamkeit diese Projekte immer wieder erzielen. Bei der letzten Ausstellung „Über Grenzen“ kam der Bundespräsident zu einer Privatführung. Man sieht im Film, wie der Ostdeutsche Gauck vor den schwarz-weißen Großformaten von Ute und Werner Mahler steht; zu sehen sind letzte Spuren der innerdeutschen Grenzanlagen. Es herrscht kryptische Versunkenheit.

Die Mahlers haben in der DDR für Zeitschriften gearbeitet; es war eine wilde, stilbildende Nischenexistenz. Nach dem Mauerfall, mit der Gründung von Ostkreuz, zogen sie und die anderen Agenturkollegen hinaus in die Welt. Es gab so viel zu sehen. Der Markt kannte noch keine Medienkrise, sie schufen aufwändige Reportagen und Bildessays.

Heute, erzählt Ute Mahler, schlägt die Krise der Magazine voll durch. „Es gab zwar noch nie so viele Zeitschriften wie im Moment, aber die Qualität hat sich geändert. Die Verlage meinen, sie bieten den Fotografen da eine Plattform, das wäre attraktiv genug.“ Die Honorare werden niedriger, die Verhandlungsbasis schmaler. Für junge Fotografen wird es immer schwieriger, von ihrer Arbeit leben zu können.

Streit und Versöhnung

Im Film sieht man, wie zwei Kuratoren Ute und Werner Mahlers Werk durchpflügen, sie bereiten eine Werkschau in den Hamburger Deichtorhallen vor. Man sieht Jahrzehnte gelebter Arbeit: Mode, Porträts, Stillleben, Landschaften. Man erkennt, wie sich die künstlerische Sprache zweier Individualisten immer weiter zu einer verdichtet hat. Seit wenigen Jahren veröffentlicht das Paar unter gemeinsamem Namen. Auf dem Kunstmarkt erzielen ihre Bilder hohe Preise.

Als Fotoreporter arbeitet hingegen Julian Röder. Der Film begleitet das Agenturmitglied, Jahrgang 1981, zum G20-Protest nach Seoul und in Berlin zu einer Demo. Röder beschreibt seinen Antrieb für soziale Fotografie. „Angepisst“ sei er vom Neoliberalismus, sagt er. Man sieht ihm zu, wie er bedrängte Polizisten, aggressive Demonstranten, unübersichtliches Gerangel einfängt. Die Bilder erinnern an Schlachtengemälde, zahlreiche Medien haben sie gekauft, auch die taz.

Immer wieder durchbrochen werden diese begleitenden Porträts im Film von Feierszenen. Auch das gehört dazu: der gemeinsame Gang in die Natur, Essen, Wein, eine Schneeballschlacht. Streit und Versöhnung, Arbeit und Gelassenheit. „Es gab immer mal Krisen“, sagt Ute Mahler, aber: „Die haben wir alle hingekriegt.“ Das Schöne an Ostkreuz sei, dass man Leute habe, denen man vertrauen kann. Und die das Gleiche wollen, „nämlich gute Fotografie machen“.

Im Film wird sehr deutlich, dass Ostkreuz von Menschen gestaltet wird, die dieses Projekt wertschätzen. Und das, findet Ute Mahler: „Das ist schon sehr besonders.“

„Ostkreuz – Agentur der Fotografen“. So., 17.35 Uhr, Arte